L-Funktion

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Der Prototyp aller L-Funktionen: die Riemannsche Zeta-Funktion in der komplexen Ebene. Die Null, also der Ursprung der komplexen Ebene, befindet sich genau in der Mitte des Schaubildes. Verschiedene Farben kodieren verschiedene Argumente der komplexen Funktionswerte. Helle Farbtöne zeigen Funktionswerte mit großem Absolutbetrag an, dunkle einen niedrigen nahe Null.

L-Funktionen werden in der analytischen Zahlentheorie und darauf aufbauenden mathematischen Gebieten untersucht. Das prototypische Beispiel einer L-Funktion ist die Riemannsche Zeta-Funktion. L-Funktionen haben fundamentale Eigenschaften mit der Riemannschen Zeta-Funktion gemeinsam. Sie sind also Verallgemeinerungen der Riemannschen Zeta-Funktion. Zu den fundamentalen Eigenschaften der Riemannschen Zeta-Funktion zählen:

Basierend auf den grundlegenden Arbeiten von Leonhard Euler (1707–1783) zur heute so bezeichneten Riemannschen Zeta-Funktion, untersuchten die Mathematiker Bernhard Riemann (1826–1866), Peter Gustav Dirichlet (1805–1859), Richard Dedekind (1831–1916), Erich Hecke (1887–1947) und Emil Artin (1898–1962) grundlegende Unterklassen von L-Funktionen, die heute deren jeweiligen Namen tragen.

Die forschende Suche nach einer allgemeinen und eindeutigen Definition des Begriffs „L-Funktion“, welche die gewünschten und zum Teil noch unbewiesenen Eigenschaften von L-Funktionen beweisbar macht, ist noch nicht abgeschlossen. Vielmehr handelt es sich um ein wichtiges Ziel der analytischen Zahlentheorie, Klarheit über die sinnvollste Definition des Begriffs „L-Funktion“ zu gewinnen. In dieser Richtung hat Atle Selberg (1917–2007) im Jahr 1989 eine axiomatische Definition der Klasse aller L-Funktionen vorgeschlagen, die heute den Namen „Selberg-Klasse“ trägt.[1] Ob diese oder andere Definitionsvorschläge schon alle wünschenswerten Eigenschaften von L-Funktionen umfassen und unerwünschte ausschließen, ist noch nicht abschließend geklärt. Nach wie vor prägen mathematische Vermutungen (d. h. unbewiesene, aber für plausibel oder zumindest wünschenswert gehaltene Aussagen über Eigenschaften von L-Funktionen) die Theorie der L-Funktionen. Diese zählt somit weiterhin zu den Gebieten intensiver mathematischer Forschung.

Die beiden Begriffe „L-Funktion“ und „Zeta-Funktion“ werden häufig synonym verwendet. Trotzdem zählen nicht alle mathematischen Funktionen, deren Namen den Begriff „Zeta-Funktion“ enthalten, zu den L-Funktionen. Beispielsweise gehört die Primzetafunktion nicht zu den L-Funktionen, da sie analytisch nicht auf die ganze komplexe Ebene fortgesetzt werden kann.

Ein erstes Verständnis des Themenbereichs der L-Funktionen erfordert mathematische Kenntnisse im Bereich der komplexen Zahlen, der Funktionentheorie, der analytischen und algebraischen Zahlentheorie sowie der Darstellungstheorie von Gruppen. Solche Vorkenntnisse können in diesem Artikel zwar teilweise erläutert, aber nicht umfassend dargestellt werden.

Definition

Wie in der Einleitung erwähnt, gibt es noch keine allgemeine, eindeutige und weithin anerkannte Definition des Begriffs „L-Funktion“. Der nachfolgende Definitionsansatz folgt dem Ansatz, den die beiden Mathematiker Henryk Iwaniec und Emmanuel Kowalski in ihrem Lehrbuch zur analytischen Zahlentheorie angegeben haben.[2] Dieser Definitionsansatz ist zwar stellenweise abstrakt und unvollständig in dem Sinne, dass er die „arithmetischen Objekte“, denen er eine „L-Funktion“ zuordnet, sowie den genauen Mechanismus dieser Zuordnung nicht näher spezifiziert. Er umfasst aber die Eigenschaften, die von L-Funktionen im Allgemeinen erwartet werden, und ermöglicht es somit, die entscheidenden Merkmale dieser Funktionen zu erläutern. Nebenbei werden auch noch weitere Grundbegriffe der Theorie der L-Funktionen eingeführt:

Es sei f ein – im Rahmen dieser abstrakten Definition nicht näher spezifiziertes – arithmetisches Objekt, z. B. ein Dirichlet-Charakter oder ein algebraischer Zahlkörper. Diesem arithmetischen Objekt f zugeordnet ist eine Funktion L(f,s), die komplexe Argumente s auf komplexe Funktionswerte abbildet. Iwaniec und Kowalski nennen eine solche Funktion L(f,s) eine L-Funktion, wenn f die nachfolgenden, mathematischen Objekte zugeordnet sind (siehe D-1 bis D-6), die die anschließend genannten Bedingungen erfüllen (siehe B-1 bis B-9):

D-1: Dirichlet-Reihe und Euler-Produkt

Dem arithmetischen Objekt f zugeordnet sind eine Dirichlet-Reihe

nλ(f,n)ns,

welche man auch eine L-Reihe nennt, und ein Euler-Produkt

p(1α1(f,p)ps)1(1αd(f,p)ps)1.

Dabei ist λ(f,n) für alle natürlichen Zahlen n und λ(f,1)=1. symbolisiert die Menge aller Primzahlen. Die natürliche Zahl d heißt der Grad des Euler-Produkts oder auch der Grad der L-Funktion L(f,s). Für jede Primzahl p und jedes i{1,,d} ist αi(f,p). Die komplexen Zahlen αi(f,p) werden Lokale Wurzeln oder auch Lokale Parameter von L(f,s) bei p genannt. Für ein gegebenes p heißt der Ausdruck

(1α1(f,p)ps)1(1αd(f,p)ps)1,

also der p-te Faktor im Euler-Produkt, der Euler-Faktor von L(f,s) bei p.

D-2: Gamma-Faktor

Daneben ist dem Objekt f ein so genannter Gamma-Faktor

γ(f,s)=πds/2j=1dΓ(s+κj2)

zugeordnet, wobei Γ die Gamma-Funktion, π die Kreiszahl und d den oben genannten Grad der L-Funktion bezeichnen. Die Parameter κj sind komplexe Zahlen. Sie heißen die Lokalen Parameter von L(f,s) im Unendlichen oder an der unendlichen Primstelle.

D-3: Führer (Konduktor)

Ebenfalls zugeordnet ist dem Objekt f eine natürliche Zahl

q(f),

der so genannte Führer oder Konduktor von L(f,s). Primzahlen p, die q(f) nicht teilen, heißen unverzweigt bzgl. L(f,s).

D-4: Vollständige L-Funktion

Mit Hilfe der Dirichlet-Reihe, des Gamma-Faktors und des Führers, die f zugeordnet sind, definiert man jetzt die so genannte vollständige L-Funktion von f:

Λ(f,s)=q(f)s/2γ(f,s)L(f,s).

D-5: Wurzelzahl

Des Weiteren ist dem Objekt f eine komplexe Zahl

ϵ(f)

zugeordnet. Diese komplexe Zahl heißt die Wurzelzahl von L(f,s).

D-6: Duales, arithmetisches Objekt

Schließlich ist f noch ein weiteres, arithmetisches Objekt zugeordnet, das im Rahmen dieser abstrakten Definition nicht näher spezifiziert wird. Es wird das Dual von f genannt und mit f¯ bezeichnet. Wie im Fall von f sind auch f¯ eine Dirichlet-Reihe

nλ(f¯,n)ns,

ein Euler-Produkt

p(1α1(f¯,p)ps)1(1αd¯(f¯,p)ps)1

mit d¯, ein Gamma-Faktor γ(f¯,s) und ein Führer q(f¯) sowie eine vollständige L-Funktion Λ(f¯,s) zugeordnet. Ist f=f¯, so nennt man L(f,s) selbstdual, was nichts anderes bedeutet als λ(f,n) für alle n.[3]

Die oben genannten, dem arithmetischen Objekt f zugeordneten Objekte müssen nun die folgenden Bedingungen erfüllen, damit L(f,s) die Definition einer L-Funktion nach Iwaniec und Kowalski erfüllt:

B-1: Absolutbetrag von lokalen Parametern bei p

Für jede Primzahl p und jedes i{1,,d} ist |αi(f,p)|<p.

B-2: Werte von lokalen Parametern bei unverzweigtem p

Für alle Primzahlen p, die bzgl. L(f,s) unverzweigt sind, und alle i{1,,d} ist αi(f,p)0.

B-3: Anforderungen an die lokalen Parameter im Unendlichen

Die Parameter κj sind entweder reell oder kommen in Form komplex konjugierter Paare im Gamma-Faktor γ(f,s) vor. Außerdem ist (κj)>1 für jedes j{1,,d}. Diese letzte Bedingungen sorgt dafür, dass γ(f,s) keine Nullstellen in und keine Polstellen mit (s)1 besitzt. bezeichnet den Realteil einer komplexen Zahl.

B-4: Absolute Konvergenz der Dirichlet-Reihe und des Euler-Produkts

Sowohl die Dirichlet-Reihe als auch das Euler-Produkt, die f zugeordnet sind, konvergieren für (s)>1 absolut.

B-5: Übereinstimmung von L-Funktion, Dirichlet-Reihe und Euler-Produkt in einer komplexen Halbebene

Die L-Funktion, die Dirichlet-Reihe und das Euler-Produkt, die f zugeordnet sind, stimmen in der komplexen Halbebene (s)>1 überein:

L(f,s)=nλ(f,n)ns=p(1α1(f,p)ps)1(1αd(f,p)ps)1.

B-6: Analytische Fortsetzbarkeit und Polstellen

Schon aus den Bedingungen, die die f zugeordnete Dirichlet-Reihe erfüllen muss, folgt die Holomorphie der vollständigen L-Funktion Λ(f,s) in der Halbebene (s)>1. Diese muss aber auch analytisch fortsetzbar sein zu einer meromorphen Funktion der Ordnung 1 auf ganz , welche Polstellen höchstens in s=0 und s=1 besitzt.

B-7: Absolutbetrag der Wurzelzahl

Die Wurzelzahl ϵ(f) besitzt den Absolutbetrag 1. Also: |ϵ(f)|=1.

B-8: Anforderungen an die Objekte, die dem Dual von f zugeordnet sind

Was das Dual f¯ von f angeht, so muss gelten: λ(f¯,n)=λ¯(f,n) für alle n, sowie γ(f¯,s)=γ(f,s) und q(f¯)=q(f). Das bedeutet: In der Dirichlet-Reihe, die f¯ zugeordnet ist, sind die λ-Koeffizienten gerade die komplex konjugierten Zahlen der λ-Koeffizienten in der Dirichlet-Reihe, die f zugeordnet ist. Die Gamma-Faktoren und Führer, die f bzw. f¯ zugeordnet sind, stimmen überein.

B-9: Funktionalgleichung

Die beiden vollständigen L-Funktionen, die f bzw. f¯ zugeordnet sind, erfüllen die Funktionalgleichung

Λ(f,s)=ϵ(f)Λ(f¯,1s)

für alle s.

Atle Selberg (1917–2007)

Der Definitionsansatz von Iwaniec und Kowalski spiegelt die Tatsache wider, dass eine Funktion, die als L-Funktion angesehen wird, typischerweise als Zuordnung der L-Funktion zu einem mathematischen Objekt (z. B. Dirichlet-Charakter, algebraischer Zahlkörper) auftritt. Ihr Definitionsansatz ist abstrakt und unvollständig, da er die Frage offen lässt, was denn jene mathematischen Objekte genau sind und wie jene Zuordnung stattzufinden hat.

Ohne Bezug zu anderen, mathematischen Objekten kommt der Definitionsansatz des norwegisch-US-amerikanischen Mathematikers Atle Selberg von 1989 aus. In einer nicht-abstrakten, eindeutigen Definition spezifiziert er eine Teilmenge der Menge aller Dirichlet-Reihen, deren Elemente bestimmte Eigenschaften erfüllen müssen: absolute Konvergenz der Dirichlet-Reihe, analytische Fortsetzbarkeit, Funktionalgleichung, Ramanujan-Vermutung[Anm. 1] und Euler-Produkt. Diese Teilmenge wird heute als Selberg-Klasse bezeichnet.[4]

Die alles überragende Hypothese und der motivierende Hintergrund für die Definition der Selberg-Klasse ist die so genannte Große Riemannsche Vermutung. Auf die Selberg-Klasse angewandt besagt diese Vermutung: keine Nullstelle einer analytischen Fortsetzung einer Dirichlet-Reihe in der Selberg-Klasse besitzt einen Realteil größer als 1/2. Diese Vermutung entspricht im Fall des (vermeintlich) einfachsten Elements der Selberg-Klasse (Riemannsche Dirichlet-Reihe samt ihrer analytischen Fortsetzung zur Riemannschen Zeta-Funktion) der Riemannschen Vermutung, welche bis heute weder bewiesen noch widerlegt ist. Die Große Riemannsche Vermutung konnte bislang für kein einziges Element der Selberg-Klasse bewiesen oder widerlegt werden.

Vor diesem Hintergrund sind auch die noch existierenden Unzulänglichkeiten bei der Definition des Begriffs „L-Funktion“ zu sehen: man möchte den Begriff „L-Funktion“ so definieren, dass L-Funktionen die Große Riemannsche Vermutung beweisbar erfüllen – andererseits konnte man bislang noch nicht einmal den einfachsten Fall (Riemannsche Vermutung für die Riemannsche Zeta-Funktion) beweisen, was ein Zeichen für mangelndes Verständnis der Riemannschen Zeta-Funktion sein könnte und damit eine eindeutige Definition des verallgemeinernden Begriffs der „L-Funktion“ erschwert.

Beispiele von L-Funktionen

Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über grundlegende Beispiele von L-Funktionen.

Riemannsche Zeta-Funktion

Vorlage:Hauptartikel

Bernhard Riemann (1826–1866)

Das einfachste Beispiel einer L-Funktion und gleichzeitig Ausgangspunkt für jede Definition des Begriffs „L-Funktion“ ist die Riemannsche Zeta-Funktion ζ.[5] Eines der möglichen „arithmetischen Objekte“ f im Sinne des Definitionsansatzes von Iwaniec und Kowalski, welchem diese L-Funktion zugeordnet werden kann, ist der Körper der rationalen Zahlen. Ihre Dirichlet-Reihe

n1ns,

also

λ(,n)=1

für alle n, konvergiert für (s)>1 absolut. Zusammen mit ihrem ebenfalls absolut konvergenten Euler-Produkt gilt für (s)>1:[6]

ζ(s)=L(,s)=n1ns=p(1ps)1.
Riemannsche Zeta-Funktion ζ(s): Konturlinien Realteil(ζ(s))=0, blau, und Imaginärteil(ζ(s))=0, fliederfarben, für −5<Re(s)<3 und −25<Im(s)<65, sowie die „kritische Gerade“ Re(s)=1/2, braun. Für Re(s)<1 sind die Schnittpunkte der blauen und fliederfarbenen Konturlinien Nullstellen der Riemannschen Zeta-Funktion.

Da alle

λ(,n)

reell sind, nämlich gleich 1, ist

ζ(s)

selbstdual. Das zu

f=

duale Objekt ist also ebenfalls

, somit

f¯=

.

Der Grad des Euler-Produktes der Riemannschen Zeta-Funktion ist

d=1.

Für ihre lokalen Parameter bei p gilt:

α(,p)=1

für alle p. Üblicherweise wird für die Riemannsche Zeta-Funktion der folgende Gamma-Faktor verwendet:

γ(,s)=πs2Γ(s2).

Der lokale Parameter κ im Unendlichen ist dann also 0. Der Führer von ζ ist

q()=1,

so dass die vollständige Riemannsche Zeta-Funktion die Gestalt

Λ(,s):=γ(,s)L(,s)=πs2Γ(s2)ζ(s)

annimmt. Diese Definition ist nur für (s)>1 gültig, da nur in dieser Halbebene die Riemannsche Zeta-Funktion über ihre Dirichlet-Reihe oder ihr Euler-Produkt definiert werden kann. Allerdings besitzt die vollständige Riemannsche Zeta-Funktion eine analytische Fortsetzung zu einer meromorphen Funktion auf der ganzen komplexen Zahlenebene. Diese Fortsetzung ist holomorph bis auf zwei einfache Polstellen in s=0 und s=1 mit den Residuen −1 bzw. 1.[7] Bezeichnet man auch die fortgesetzte, vollständige Riemannsche Zeta-Funktion mit Λ, so erfüllt sie mit der Wurzelzahl

ϵ()=1

die Funktionalgleichung[8]

Λ(,s)=Λ(,1s).

Damit besitzt auch die zunächst nur für (s)>1 durch ihre Dirichlet-Reihe oder Euler-Produkt definierte Riemannsche Zeta-Funktion eine analytische Fortsetzung zu einer meromorphen Funktion auf , welche einzig in s=1 nicht definiert ist, da sie dort über eine einfache Polstelle mit Residuum 1 verfügt. Behält man die Bezeichnung ζ auch für die fortgesetzte Riemannsche Zeta-Funktion bei, so erfüllt sie die Funktionalgleichung[9]

πs2Γ(s2)ζ(s)=π1s2Γ(1s2)ζ(1s).

Die (analytisch fortgesetzte) Riemannsche Zeta-Funktion birgt eine der wichtigsten Fragen der analytischen Zahlentheorie, nämlich die Frage nach der genauen Lage ihrer sogenannten nicht-trivialen Nullstellen. Diese liegen im kritischen Streifen 0<(s)<1. Die Riemannsche Vermutung aus dem Jahr 1859 – bis heute weder bewiesen noch widerlegt – stellt die These auf, alle nicht-trivialen Nullstellen der Riemannschen Zeta-Funktion besäßen den Realteil 1/2. Ein Beweis dieser Vermutung würde besonders gute Abschätzungen über die Verteilung der Primzahlen gestatten.

Dirichletsche L-Funktionen

Vorlage:Hauptartikel Die nächsten Verwandten der Riemannschen Zeta-Funktion sind die Dirichletschen L-Funktionen, welche die Riemannsche Zeta-Funktion als Spezialfall enthalten. Sind in der zur Riemannschen Zeta-Funktion gehörenden Dirichlet-Reihe noch alle λ- Koeffizienten gleich 1, so werden diese bei Dirichletschen L-Funktionen mit Hilfe eines Dirichlet-Charakters definiert. Sie nehmen somit komplexe Werte mit dem Absolutbetrag 1 an oder sind gleich 0. Sei also für ein m ein Dirichlet-Charakter modulo m

χ:(/m)×S1:={z:|z|=1}
Peter Gustav Lejeune Dirichlet (1805–1859)

gegeben, d. h. ein Gruppenhomomorphismus von der Gruppe der bzgl. der Multiplikation invertierbaren Elemente des Restklassenrings /m in die Kreisgruppe S1 der komplexen Zahlen mit Absolutbetrag 1. Ein solcher Dirichlet-Charakter χ heißt primitiv und m der Führer von χ, wenn er nicht schon durch eine Komposition

(/m)×(/m)×χS1

aus einem Dirichlet-Charakter χ modulo m mit einem echten Teiler m von m hervorgeht. Mit Hilfe eines solchen Dirichlet-Charakters χ definiert man die nachfolgende Abbildung, welche ebenfalls mit χ und als Dirichlet-Charakter modulo m bezeichnet wird:[10]

χ: , χ(n)={χ(nmodm)fallsggT(n,m)=10fallsggT(n,m)>1.
Dirichletsche L-Funktion zum Dirichlet-Charakter χ modulo 7 mit χ(3)=exp(iπ/3) für komplexe s mit −7 < Re(s) < 8 und −20 < Im(s) < 20: Die Verwandtschaft mit der Riemannschen Zeta-Funktion ist augenfällig. Trotzdem gibt es deutliche Unterschiede: Da es sich bei χ um einen nicht-trivialen Dirichlet-Charakter handelt, ist die abgebildete Funktion ganz. Sie besitzt also keine Polstelle wie die Riemannsche Zeta-Funktion in s=1. Im Vergleich zur Riemannschen Zeta-Funktion sind die reellen (trivialen) Nullstellen um eine Einheit nach rechts verschoben. Sie sind als schwarze Punkte in −1, −3, −5 usw. im Schaubild erkennbar.[11] Die schwarzen Punkte im vertikalen Streifen 0<Re(s)<1 gehören zu den unendlich vielen, nicht-reellen (nicht-trivialen) Nullstellen dieser Dirichletschen L-Funktion. Die Große Riemannsche Vermutung erwartet jede dieser nicht-trivialen Nullstellen auf der vertikalen Geraden Re(s)=1/2.

Die trivialen Dirichlet-Charaktere χ0 modulo m besitzen den Funktionswert 1, falls ggT(n,m)=1, andernfalls 0. Der triviale Dirichlet-Charakter modulo 1 heißt der Hauptcharakter. Er erfüllt χ(n)=1 für alle n.

Ist nun χ: ein primitiver Dirichlet-Charakter modulo m, so ordnet man diesem arithmetischen Objekt χ folgendermaßen eine L-Funktion zu: Mit

λ(χ,n):=χ(n)

konvergiert die Dirichlet-Reihe (auch Dirichletsche L-Reihe genannt)

L(χ,s):=nλ(χ,n)ns=nχ(n)ns

für (s)>1 absolut.[12] Mit den lokalen Parametern bei p

α(χ,p):=χ(p)

gilt dies auch für das zugehörende Euler-Produkt, und man hat die Identität[13]

L(χ,s)=nχ(n)ns=p(1χ(p)ps)1

für (s)>1. Wie bei der Riemannschen Zeta-Funktion ist

d=1

der Grad des Euler-Produkts. Setzt man κ=0, falls χ(1)=1 (in diesem Fall heißt χ gerade), und κ=1, falls χ(1)=1 (in diesem Fall heißt χ ungerade), so ist

γ(χ,s)=πs2Γ(s+κ2)

der χ zugeordnete Gamma-Faktor. Jenes κ{0,1} ist also der lokale Parameter an der unendlichen Primstelle. Der Führer m des primitiven Dirichlet-Charakters χ ist auch der Führer der Dirichletschen L-Funktion:

q(χ)=m.

Die vollständige Dirichletsche L-Funktion besitzt somit die Form[14]

Λ(χ,s):=q(χ)s2γ(χ,s)L(χ,s)=(mπ)s2Γ(s+κ2)nχ(n)ns,

eine Definition, die nur für (s)>1 gilt, da nur dort die verwendete Dirichlet-Reihe konvergiert. Eine solche vollständige Dirichletsche L-Funktion kann aber analytisch auf fortgesetzt werden. Dabei entsteht eine ganze Funktion, falls χ ein nicht-trivialer Dirichlet-Charakter ist.[15] Andernfalls hat die fortgesetzte Funktion einen einfachen Pol in s=1 mit Residuum 1.[16] Das zu χ duale Objekt ist χ, also derjenige Dirichlet-Charakter, der aus χ durch komplexe Konjugation der Funktionswerte von χ hervorgeht, d. h.

χ(n)=χ(n)

für alle n. Die Wurzelzahl ϵ(χ) kann mit Hilfe der Gaußschen Summe[17]

τ(χ)=xmodq(χ)χ(x)exp(2πix/q(χ))

berechnet werden, in der sich die Summation über alle Restklassen modulo des Führers q(χ)=m erstreckt sowie π die Kreiszahl, i die imaginäre Einheit und exp die Exponentialfunktion bezeichnen. Mit

ϵ(χ)={τ(χ)q(χ)fallsχ(1)=1τ(χ)iq(χ)fallsχ(1)=1

erfüllt dann die fortgesetzte, vollständige Dirichletsche L-Funktion die Funktionalgleichung[18]

Λ(χ,s)=ϵ(χ)Λ(χ,1s).

Wie von Wurzelzahlen gefordert, ist |ϵ(χ)|=1, da |τ(χ)|=q(χ).[19] Die Dirichletschen L-Funktionen umfassen die Riemannsche Zeta-Funktion, da diese aus dem trivialen Dirichlet-Charakter modulo 1, also dem Hauptcharakter, entsteht.[20]

Der deutsche Mathematiker Peter Gustav Dirichlet verwendete 1837 die nach ihm benannten Dirichletschen L-Funktionen, um den Dirichletschen Primzahlsatz zu beweisen, wonach in jeder arithmetischen Folge (auch arithmetische Progression genannt)

a,a±n,a±2n,a±3n,, mit ggT(a,n)=1, wobei a,n,

d. h. in jeder Restklasse amodn, unendlich viele Primzahlen liegen.[21] [22] Das entscheidende Argument im Beweis des Dirichletschen Primzahlsatzes ist die Erkenntnis, dass Λ(χ,1)0 gilt für jeden nicht-trivialen Dirichlet-Charakter χ.[23]

Dedekindsche L-Funktionen

Vorlage:Hauptartikel Die Riemannsche Zeta-Funktion bezieht sich auf den Körper der rationalen Zahlen, dem einfachsten algebraischen Zahlkörper. Dedekindsche L-Funktionen verallgemeinern diesen Bezug auf beliebige algebraische Zahlkörper, also endlichen Körpererweiterungen von wie zum Beispiel (23). Sei also K ein algebraischer Zahlkörper und nK=[K:] sein Erweiterungsgrad über . Sei 𝒪K sein Ganzheitsring und dK seine Diskriminante. Weiter seien n10 die Anzahl der reellen Einbettungen und n20 die Anzahl der Paare komplexer Einbettungen von K. Es ist also nK=n1+2n2.

Richard Dedekind (1831–1916)

Die Dedekindsche L-Funktion (auch Dedekindsche Zeta-Funktion genannt) bzgl. K ist für (s)>1 definiert durch[24]

ζK(s):=L(K,s):=0𝔞𝒪K1𝒩(𝔞)s.

In der Summe durchläuft 𝔞 alle vom Nullideal {0} verschiedenen, ganzen Ideale von 𝒪K. 𝒩(𝔞) bezeichnet die Absolutnorm von 𝔞. Die Koeffizienten der Dirichlet-Reihe

0𝔞𝒪K1𝒩(𝔞)s=nλ(K,n)ns

sind also[25]

λ(K,n)=#{0𝔞𝒪K𝒩(𝔞)=n}0.

Sie geben zu jedem n die Anzahl der ganzen Ideale von 𝒪K mit Absolutnorm n an. Insbesondere sind alle Koeffizienten λ(K,n) reell und deshalb L(K,s) selbstdual. Jene Dirichlet-Reihe konvergiert für (s)>1 absolut, ebenso wie das zugehörende Euler-Produkt

0𝔭𝒪K11𝒩(𝔭)s.

Dabei erstreckt sich das Produkt über alle vom Nullideal verschiedenen Primideale 𝔭 von 𝒪K. Es gilt für (s)>1 die Identität[26]

L(K,s)=0𝔞𝒪K1𝒩(𝔞)s=nλ(K,n)ns=0𝔭𝒪K11𝒩(𝔭)s.

Diese Gestalt des Euler-Produkts zeigt noch nicht die einzelnen Euler-Faktoren (1α1(K,p)ps)1(1αd(K,p)ps)1. Der Grad des Euler-Produkts ist jedenfalls gleich dem Grad der Körpererweiterung K/: [27]

d=[K:]=nK=n1+2n2.

Die lokalen Parameter αj(K,p) hängen vom Zerlegungsverhalten der Ideale (p):=p𝒪K ab: jedes Ideal (p) besitzt eine, bis auf die Reihenfolge der Faktoren, eindeutige Primidealzerlegung

(p)=𝔭𝔭e𝔭

in Primideale 0𝔭𝒪K, in der gilt: e𝔭0 und e𝔭>0 für nur endlich viele Primideale 𝔭. Für höchstens nK viele Primideale 𝔭 kann e𝔭>0 gelten. Solche 𝔭 teilen (p) und man schreibt dafür 𝔭|(p). Der Exponent e𝔭 in der Primidealzerlegung von (p) heißt der Verzweigungsindex von 𝔭 über p. Ist 𝔭|(p), so gilt 𝒩(𝔭)=pf𝔭 für ein f𝔭, welches der Trägheitsindex von 𝔭 über p genannt wird. Für jedes p erfüllen die zum Ideal (p) gehörenden Verzweigungs- und Trägheitsindizes die folgende Beziehung zum Grad von K/:

𝔭|(p)e𝔭f𝔭=nK.

Mit Hilfe der Kenntnis der Trägheitsindizes für jedes p lassen sich nun die lokalen Parameter αj(K,p) bestimmen, nämlich über die Faktoren (1psf𝔭)1 in der Identität[28]

0𝔭𝒪K11𝒩(𝔭)s=p𝔭|(p)(1psf𝔭)1,

indem man die Polynome Xf𝔭1 im Polynomring [X] faktorisiert.

Der Gamma-Faktor bzgl. L(K,s) ist[29]

γ(K,s)=πsnK2Γ(s2)n1+n2Γ(s+12)n2.

Der Betrag der Diskriminante von K ist der Konduktor von L(K,s): [30]

q(K)=|dK|.

Damit ist die vollständige L-Funktion von K für (s)>1 gegeben durch

Λ(K,s):=q(K)s2γ(K,s)L(K,s)=(|dK|πnK)s2Γ(s2)n1+n2Γ(s+12)n20𝔞𝒪K1𝒩(𝔞)s.

Diese besitzt eine analytische Fortsetzung auf die komplexe Zahlenebene mit einfachen Polen bei s=0 und s=1 und den dortigen Residuen 2rhRw bzw. 2rhRw. Dabei ist r=n1+n2 die Anzahl der unendlichen Stellen, h die Klassenzahl und R der Regulator von K sowie w die Anzahl der Einheitswurzeln, die in K liegen.[31]

Dedekindsche L-Funktionen haben stets die Wurzelzahl 1: [32]

ϵ(K)=1.

Somit genügt die analytisch fortgesetzte, vollständige L-Funktion von K der Funktionalgleichung[33]

Λ(K,s)=Λ(K,1s).

Die analytisch fortgesetzte Funktion Λ(K,s) gestattet nun auch die analytische Fortsetzung von L(K,s), nämlich durch die Definition[34]

L(K,s):=Λ(K,s)|dk|s2γ(K,s)=(πnK|dK|)s2Λ(K,s)Γ(s2)n1+n2Γ(s+12)n2.

Dadurch wird L(K,s) zu einer meromorphen Funktion auf mit einem einfachen Pol in s=1. Eine ihrer faszinierenden Eigenschaften ist die sogenannte analytische Klassenzahlformel, wonach das Residuum von L(K,s) in s=1 die folgende Gestalt annimmt: [35]

Ress=1L(K,s)=2n1(2π)n2w|dK|hR.

Heckesche L-Funktionen

Heckesche L-Funktionen sind gemeinsame Verallgemeinerungen der Dirichletschen und der Dedekindschen L-Funktionen. Sie beziehen sich also einerseits auf beliebige algebraische Zahlkörper (wie die Dedekindschen L-Funktionen) und hängen andererseits von geeigneten Charakteren ab (wie die Dirichletschen L-Funktionen). Der deutsche Mathematiker Erich Hecke definierte die nach ihm benannten L-Funktionen mit Hilfe sogenannter Größencharaktere und konnte die bei L-Funktionen gewünschten Eigenschaften beweisen. Der modernere Zugang zu L-Funktionen mit Bezug zu beliebigen algebraischen Zahlkörpern und geeigneten Charakteren, der auch noch weitreichend verallgemeinert werden kann, verwendet Idelklassencharaktere.

L-Funktionen zu Größencharakteren

Heckesche L-Reihen zu Größencharakteren besitzen die Form[36]

Erich Hecke (1887–1947)
L(χ,s)=0𝔞𝒪Kχ(𝔞)𝒩(𝔞)s.

Wie bei Dedekindschen L-Funktionen bezeichnet K einen algebraischen Zahlkörper mit Ganzheitsring 𝒪K und Erweiterungsgrad n:=nK=[K:]. Die Summe durchläuft wieder alle vom Nullideal verschiedenen, ganzen Ideale 𝔞 von K und 𝒩(𝔞) bezeichnet die Absolutnorm von 𝔞. Die komplexen Werte χ(𝔞) beruhen auf einem Charakter (d. h. Gruppenhomomorphismus)

χ:J𝔪S1:={z:|z|=1}.

Dabei ist 𝔪 ein ganzes Ideal von 𝒪K und J𝔪 symbolisiert die Gruppe der zu 𝔪 teilerfremden, gebrochenen Ideale von K. Das bedeutet: ein gebrochenes Ideal 𝔟 von K liegt genau dann in J𝔪, wenn der Exponent von 𝔭 in der Primidealzerlegung von 𝔟 gleich 0 ist für alle Primideale 𝔭 von K, die das ganze Ideal 𝔪 teilen (d. h. 𝔭𝔪). Die Gruppe J𝔪 verallgemeinert die bei Dirichletschen L-Funktionen verwendeten Gruppen (/m)×.

Ist nun χ:J𝔪S1 ein beliebiger, solcher Charakter und setzt man χ(𝔞)=0 für alle Ideale 𝔞, die nicht teilerfremd zu 𝔪 sind, so konvergiert die oben angegebene L-Reihe L(χ,s) in der Halbebene (s)>1 absolut. Wegen der Eindeutigkeit der Primidealzerlegung von Idealen in 𝒪K gilt die nachfolgende Gleichheit mit dem zugehörenden Euler-Produkt, welches alle von Null verschiedenen Primideale 𝔭 von 𝒪K durchläuft:[37]

L(χ,s)=0𝔞𝒪Kχ(𝔞)𝒩(𝔞)s=0𝔭𝒪K11χ(𝔭)𝒩(𝔭)s.

Die eigentliche Herausforderung liegt nun aber in einer geeigneten Auswahl der Charaktere χ:J𝔪S1, so dass die für L-Funktionen typischen Eigenschaften bewiesen werden können. Die Charaktere mit diesen wünschenswerten Eigenschaften heißen Größencharaktere: Ein Größencharakter modulo eines ganzen Ideals 𝔪 des algebraischen Zahlkörpers K ist ein Gruppenhomomorphismus[38]

χ:J𝔪S1,𝔟χ(𝔟),

zu dem es zwei Charaktere

χe:(𝒪K/𝔪)S1 und χ:𝐑S1

gibt, so dass für alle zu 𝔪 teilerfremden Zahlen a𝒪K gilt:

χ((a))=χe(a)χ(a).

Zur Erläuterung dieser Definition:

  • (𝒪K/𝔪) symbolisiert die Einheitengruppe des Restklassenrings 𝒪K modulo 𝔪, besteht also aus allen Elementen von 𝒪K/𝔪, die invertierbar sind.
  • 𝐑 bezeichnet den Minkowski-Raum bzgl. K. Ist X die Menge aller Einbettungen τ:K, so besteht 𝐑 aus allen n-Tupeln (zτ)τX, zτ, mit zτ=(zτ) für alle τX.[39] Addition und Multiplikation in der n-dimensionale -Algebra 𝐑 sind komponentenweise definiert. Das Bild der Einbettungsfunktion Ka(τ(a))τX liegt in 𝐑.[40] Die multiplikative Gruppe 𝐑 besteht aus allen Elemente von 𝐑, bei denen sämtliche Komponenten von Null verschieden sind. Ist aK:=K{0}, so ist τ(a)0 für alle τX, denn die Einbettungen τX sind Körperhomomorphismen. Der Gruppenhomomorphismus ι:K𝐑,aι(a):=(τ(a))τX, bettet also die multiplikative Gruppe K in die multiplikative Gruppe 𝐑 ein.
  • Ein Element aK heißt teilerfremd zum ganzen Ideal 𝔪, wenn das Hauptideal (a):=a𝒪K teilerfremd zu 𝔪 ist. Bezeichnet K(𝔪):={aK(a,𝔪)=1} die Gruppe der zu 𝔪 teilerfremden Elemente aK und ist a=b/c mit zwei zu 𝔪 teilerfremden b,c𝒪K, so hat man den wohldefinierten Gruppenhomomorphismus ιe:K(𝔪)(𝒪K/𝔪), a[b+𝔪]/[c+𝔪], der a=b/c auf den Quotienten der Restklassen von b und c modulo 𝔪 abbildet.[41]
  • Entsprechend seiner Definition zerfällt χ auf den zu 𝔪 teilerfremden Hauptidealen (a)𝒪K in einen „endlichen“ Charakter χe und einen „unendlichen“ Charakter χ. Korrekterweise müssten in dieser Zerlegungsbedingung χe(a) durch χe(ιe(a)) und χ(a) durch χ(ι(a)) ersetzt werden, worauf der Kürze halber stets verzichtet wird. χe und χ sind durch χ eindeutig bestimmt.[42]

Ein Größencharakter modulo 𝔪 heißt primitiv, wenn er nicht als Einschränkung

χ=χ|Jm:J𝔪S1

eines Größencharakters χ:J𝔪S1 modulo 𝔪 dargestellt werden kann, in der das ganze Ideal 𝔪 ein echter Teiler des ganzen Ideals 𝔪 ist. χ ist genau dann nicht primitiv, wenn sein „endlicher“ Charakter χe über (𝒪K/𝔪) faktorisiert, d. h. wenn χe als Kompositum

χe:(𝒪K/𝔪)(𝒪K/𝔪)χeS1

geschrieben werden kann, in der χe der „endliche“ Charakter eines Größencharakters χ modulo 𝔪 ist mit einem echten Teiler 𝔪 von 𝔪. Der Führer eines Größencharakters χ modulo 𝔪 ist der kleinste Teiler 𝔣 von 𝔪, so dass χ als Einschränkung χ|J𝔪 eines Größencharakters χ:J𝔣S1 dargestellt werden kann. Der Führer von χ lässt sich auch mit Hilfe des „endlichen“ Charakters χe von χ definieren: 𝔣 ist der kleinste Teiler von 𝔪, so dass χe über (𝒪K/𝔣) faktorisiert.[43]

Mit Hilfe des Begriffs eines primitiven Größencharakters lassen sich nun alle für L-Funktionen typischen Objekte definieren und die gewünschten Aussagen nachweisen: vervollständigte Heckesche L-Funktion, analytische Fortsetzung, Führer, Wurzelzahl und Funktionalgleichung. Dies ist der Weg, den Erich Hecke beschritten hat und im Lehrbuch von Neukirch detailliert beschrieben wird.[44] Dieser Zugang verwendet allerdings mathematische Objekte (ideale Zahlen), die aus heutiger Sicht als überholt gelten können und das eigentliche Wesen der vervollständigten Heckeschen L-Funktionen verschleiern.[45]

L-Funktionen zu Idelklassencharakteren

Die modernere Theorie zur Behandlung von Heckeschen L-Funktionen, die auch noch weitreichend verallgemeinert werden kann, ist unter dem Namen Tate's Thesis (Doktorarbeit des US-amerikanischen Mathematikers John T. Tate) bekannt. Diese Theorie verwendet Idelklassencharaktere anstelle primitiver Größencharaktere[46], zu deren Definition die Begriffe Adel und Idel benötigt werden: Sei weiterhin K ein algebraischer Zahlkörper und

John T. Tate (1925–2019)
𝔸:=𝔸K:=vKv

der Adelring von K. Dabei durchläuft v die unendliche Menge aller Stellen, d. h. die Menge aller Äquivalenzklassen nicht-trivialer Absolutbeträge von K. Kv bezeichnet die komplette Hülle (Vervollständigung) von K bzgl. v.[Anm. 2] Das Auslassungszeichen am Produktsymbol zeigt die Einschränkung im Vergleich zum direkten Produkt vKv an, dass in jedem Adel (xv)v𝔸 für fast alle (d. h. für alle bis auf höchstens endlich viele) Stellen v die Komponente xvKv im Ring 𝒪v der v-ganzen Elemente von Kv liegen muss. Der kanonische Einbettungshomomorphismus K𝔸,x(xv)v, xv=x für alle v, ist wohldefiniert, da jedes xK für fast alle Stellen v ganz ist.[47] Die Elemente der multiplikativen Gruppe 𝔸× der Einheiten (invertierbaren Elemente) von 𝔸 heißen die Idele von K. Auch 𝔸× lässt sich als eingeschränktes Produkt schreiben:

𝔸×=vKv×.

Hier bedeutet das Auslassungszeichen, dass ein Element (xv)v des direkten Produkts vKv genau dann ein Idel ist, wenn xv𝒪v× für fast alle Stellen v gilt. Vermöge K×𝔸×, x(xv)v, xv=x für alle v, lässt sich die Einheitengruppe von K in die Gruppe der Idele einbetten, so dass man K× als Untergruppe der Idelgruppe 𝔸× auffassen kann, deren Elemente die Hauptidele von K genannt werden. Die Quotientengruppe 𝔸×/K× heißt die Idelklassengruppe von K. Idelgruppe und Idelklassengruppe werden mit geeigneten Topologien versehen, so dass man anschließend von stetigen Abbildungen sprechen kann.[48] Ein Idelklassencharakter von K ist ein stetiger Gruppenhomomorphismus

χ:𝔸××,

der auf K×𝔸× trivial ist, also dort ausschließlich den Wert 1 annimmt. Insofern kann man χ auch als Charakter 𝔸×/K×× der Idelklassengruppe auffassen, was den Namen „Idelklassencharakter“ rechtfertigt. Ein solcher Charakter besitzt stets eine Zerlegung

χ=vχv

in lokale Charaktere χv:Kv××, die für fast alle Stellen v von K unverzweigt sind. Dies wird durch das Auslassungszeichen am Produktsymbol angezeigt. Dabei heißt ein lokaler Charakter χv unverzweigt, wenn seine Einschränkung auf 𝒪v× trivial ist, andernfalls verzweigt.[49]

Der Führer 𝔣(χ) eines Idelklassencharakters ist ein ganzes Ideal in 𝒪K, nämlich

𝔣(χ)=v∤𝔭va(χv).

Das Produkt durchläuft alle endlichen Stellen von K. 𝔭v ist das durch v bestimmte Primideal. Die Exponenten a(χv) liegen in 0. Ist χv unverzweigt, so ist a(χv)=0 und 𝔭va(χv) trägt nichts zum Führer bei. Ist χv verzweigt, so ist a(χv) die kleinste natürliche Zahl k1, so dass χv auf 1+πvk𝒪v trivial ist. Dabei bezeichnet πv𝒪v ein uniformisierendes Element.[50]

Die (nicht vervollständigte) L-Funktion zum Idelklassencharakter χ ist definiert durch

L(χ,s):=v∤(1χv(πv)qvs)1.

Das Produkt wird über alle endlichen Stellen v von K gebildet, für die χ unverzweigt ist. qv bezeichnet die Ordnung des Restklassenkörpers 𝒪v/(πv). Da χv unverzweigt ist, hängt der Wert von χv(πv) nicht von der Wahl des uniformisierenden Elements πv ab. Das Produkt auf der rechten Seite der Definition von L(χ,s) konvergiert in einer rechten Halbebene der komplexen Zahlenebene absolut.[51]

Zur Vervollständigung von L(χ,s) werden noch L-Faktoren an den unendlichen Stellen benötigt:[52]

L(χ,s):=vL(χv,s).

Ist dabei v eine reelle, unendliche Stelle, so ist die Vervollständigung Kv gleich . Der lokale Charakter χv:Kv×× kann also mit einem Charakter ×× identifiziert werden. Letzterer besitzt notwendig die Form t|t|s0(t/|t|)m mit eindeutig bestimmten Zahlen s0 und m{0,1}. Der L-Faktor an der reellen, unendlichen Stelle v ist dann definiert durch

L(χv,s):=Γ(s+s0+m),Γ(z):=πz/2Γ(z/2).

Ist v eine nicht-reelle, unendliche, also komplexe Stelle, so ist Kv isomorph zu , und es gibt zwei Möglichkeiten der Identifikation von Kv mit . Man wählt eine davon und kann dann χv:Kv×× als Charakter ×× auffassen. Ein solcher Charakter von × hat stets die Form t|t|2s0(t/|t|)m mit eindeutig bestimmten Zahlen s0 und m. Der zu v gehörende L-Faktor ist dann gegeben durch

L(χv,s):=Γ(s+s0+|m|/2),Γ(z):=2(2π)zΓ(z).[53]

Die vollständige L-Funktion zum Idelklassencharakter χ ist nun definiert als[54]

Λ(χ,s):=(|dK|𝒩𝔣(χ))s/2L(χ,s)L(χ,s),

mit dem Absolutbetrag |dK| der Diskriminante von K und der Norm 𝒩𝔣(χ) des Führers von χ. Der Führer der L-Funktion Λ(χ,s) setzt sich also zusammen aus dem Absolutbetrag der Diskriminante des Zahlkörpers K und der Norm des Führers des Idelklassencharakters χ:[55]

q(χ):=|dK|𝒩𝔣(χ).

Der Grad von Λ(χ,s) ist der Grad der Körpererweiterung K/:[56]

d:=[K:].

Was die Funktionalgleichung der vollständigen L-Funktion Λ(χ,s) angeht, so gibt es eine relle Zahl r und eine Wurzelzahl ϵ(χ) mit |ϵ(χ)|=1, so dass gilt:[57]

Λ(χ,s)=ϵ(χ)Λ(χ,rs).

Ist χ:𝔸×× ein unitärer Idelklassencharakter, liegt also sein Bild auf dem Einheitskreis 𝒮1, so ist r=1.[58]

Artinsche L-Funktionen

Die bislang aufgeführten Beispiele von L-Funktionen beziehen sich direkt auf einzelne algebraische Zahlkörper und zugehörende Charaktere. Dem gegenüber sind Artinsche L-Funktionen den Darstellungen der Galoisgruppe einer galoisschen Körpererweiterung zugeordnet. Sie stehen in einer engen Beziehung zu den oben genannten L-Funktionen, verallgemeinern jene jedoch erheblich. Die initiale Beobachtung, welche zur Definition von Artinschen L-Funktionen motiviert, betrachtet den Isomorphismus

(/m)×G((μm)/)

zwischen der Gruppe der invertierbaren Restklassen des Restklassenrings /m, m, und der Galoisgruppe des Kreisteilungskörpers (μm) der m-ten Einheitswurzeln. Dieser Gruppenisomorphismus ordnet der Restklasse pmodm einer Primzahl p mit p∤m den Frobeniusautomorphismus ϕp:(μm)/(μm)/ zu, der jede m-te Einheitswurzel ζ auf ζp abbildet und dadurch festgelegt ist. Mit Hilfe dieser Isomorphie lässt sich ein Dirichlet-Charakter χ:(/m)×× auch als ein Charakter χ:G((μm)/)× auffassen. × kann als die allgemeine, lineare Gruppe GL1() des eindimensionalen -Vektorraums interpretiert werden. So erhält man aus dem ursprünglichen Dirichlet-Charakter eine eindimensionale Darstellung

χ:G((μm)/)GL1(),

mit deren Hilfe sich die dem Dirichlet-Charakter zugeordnete L-Reihe auch in der Form schreiben lässt:[59]

L(χ,s)=p∤m(1χ(ϕp)ps)1.
Emil Artin (1898–1962)

Ausgehend von dieser initialen Beobachtung sind Artinsche L-Reihen folgendermaßen definiert: Es sei E/K eine endliche, galoissche Erweiterung von Zahlkörpern mit Galoisgruppe G:=G(E/K), V ein endlich-dimensionaler -Vektorraum und

ρ:GGL(V),σρ(σ),

eine Darstellung (ρ,V) von G, also ein Gruppenhomomorphismus der Galoisgruppe G in die allgemeine, lineare Gruppe GL(V) der Vektorraumautomorphismen von V. Sei nun 𝔭 ein von Null verschiedenes Primideal von K und 𝔓 ein Primideal von E, das über 𝔭 liegt, d. h. 𝔓 ist ein Faktor in der Primidealzerlegung des Ideals 𝔭𝒪E des Ganzheitsrings 𝒪E von E. Die Zerlegungsgruppe G𝔓 von 𝔓 über K ist die Untergruppe {σGσ(𝔓)=𝔓} der Galoisgruppe G. Man hat einen kanonischen, surjektiven Gruppenhomomorphismus

G𝔓G(k𝔓/k𝔭),σσ,

von der Zerlegungsgruppe G𝔓 auf die Galoisgruppe der Erweiterung k𝔓/k𝔭 endlicher Restkörper k𝔓:=𝒪E/𝔓 und k𝔭:=𝒪K/𝔭. Dabei ist σ der Körperautomorphismus k𝔓k𝔓,xσxmod𝔓. Der Kern I𝔓G𝔓 dieses surjektiven Gruppenhomomorphismus heißt die Trägheitsgruppe von 𝔓 über K und liefert den kanonischen Gruppenisomorphismus

G𝔓/I𝔓G(k𝔓/k𝔭).

Als Galoisgruppe einer Erweiterung endlicher Körper ist G(k𝔓/k𝔭) zyklisch und wird vom Frobeniusautomorphismus

k𝔓/k𝔭k𝔓/k𝔭,ααq𝔭,q𝔭:=𝒩(𝔭)=#k𝔭,

erzeugt. Jedes seiner Urbilder in G𝔓 unter dem kanonischen Gruppenisomorphismus erzeugt die Faktorgruppe G𝔓/I𝔓 und wird ein Frobeniusautomorphismus ϕ𝔓 von 𝔓 über K genannt. Ist die Trägheitsgruppe nicht-trivial, so gibt es mehrere, solche Urbilder. Beschränkt man aber ein ϕ𝔓 auf den Fixmodul VI𝔓:={vVσI𝔓:ρ(σ)(v)=v}, einen Untervektorraum von V, so entsteht unabhängig von der Wahl von ϕ𝔓 ein wohldefinierter Automorphismus ϕ𝔓:VI𝔓VI𝔓. Es bezeichne d𝔓:=dimVI𝔓 die Dimension des Untervektorraums VI𝔓 und E𝔓 die d𝔓-dimensionale Einheitsmatrix.[60]

Die Artinsche L-Reihe zur Darstellung (ρ,V) der Galoisgruppe G=G(E/K) ist nun definiert durch[61]

L(ρ,s):=0𝔭𝒪Kdet(1ϕ𝔓q𝔭s;VI𝔓)1:=0𝔭𝒪K(det(E𝔓ϕ𝔓X)|X=q𝔭s)1,

in der das Produkt alle von Null verschiedenen Primideale des Ganzheitsrings von K durchläuft. Das erste Produkt ist die Kurzschreibweise dieser Definition, welche durch das zweite Produkt erläutert werden soll: Der Ausdruck det(E𝔓ϕ𝔓X) liefert ein Polynom vom Grad d𝔓 in [X]. Im Vergleich zum charakteristischen Polynom det(XE𝔓ϕ𝔓) von ϕ𝔓 ist in diesem Polynom die Reihenfolge der Koeffizienten umgekehrt. Die Schreibweise |X=q𝔭s bedeutet, dass q𝔭s an die Stelle von X in das Polynom det(E𝔓ϕ𝔓X) eingesetzt werden soll. Die einzelnen Euler-Faktoren (det(E𝔓ϕ𝔓X)|X=q𝔭s)1 hängen nicht von der Wahl des über 𝔭 gelegenen Primideals 𝔓 ab, da eine andere Wahl lediglich zu einem bzgl. G konjugierten Frobeniusautomorphismus führt, welcher das Polynom det(E𝔓ϕ𝔓X) nicht ändert. Artinsche L-Reihen sind somit wohldefiniert. Sie konvergieren in der Halbebene (s)>1 absolut und für jedes δ>0 gleichmäßig in (s)1+δ. Sie stellen dort also analytische (holomorphe) Funktionen dar.[62]

Der Charakter einer Darstellung ρ:GGL(V) der Galoisgruppe G wird definiert als die Funktion

χ:=χρ:G,σSpurρ(σ).

Zwei Darstellungen (ρ,V) und (ρ,V) der Galoisgruppe G heißen äquivalent, wenn die G-Moduln V und V, also die abelschen Gruppen V und V, auf denen die G als Automorphismengruppe operiert, isomorph sind. Dies ist genau dann der Fall, wenn ihre Charaktere χρ und χρ gleich sind.[63] Deshalb bezeichnet man die Artinsche L-Reihe L(ρ,s) in der Regel mit L(χ,s).[64] Entsprechend ihrer Definition durchläuft sie nur die endlichen Stellen von K, nämlich die von Null verschiedenen Primideale von 𝒪K. Es fehlt noch der Gamma-Faktor an den unendlichen Stellen:

γ(χ,s):=𝔭|L𝔭(χ,s),

wobei

L𝔭(χ,s)={Γ(s)dimVG𝔓Γ(s+1)dimV/VG𝔓falls𝔭reellΓ(s)dimVfalls𝔭komplex

mit Γ(z):=πz/2Γ(z/2) und Γ(z):=2(2π)zΓ(z) sowie G𝔓 als der Zerlegungsgruppe einer über 𝔭 gelegenen Stelle 𝔓. Sind 𝔭 und 𝔓 reell, so besteht G𝔓 nur aus der Identität und ist somit einelementig. Ist 𝔭 reell, aber 𝔓 komplex, so besitzt G𝔓 zwei Elemente: die Identität und das eindeutige Element in G, welches die beiden komplexen Einbettungen von E in , die zu 𝔓 gehören, vertauscht.[65][66]

Der Artin-Führer 𝔣(χ) eines Charakters χ einer Darstellung ρ von G ist ein Ideal von K, welches die Verzweigung von ρ misst.[67] Mit seiner Hilfe lässt sich nun die vervollständigte Artinsche L-Funktion definieren durch

Λ(χ,s):=q(χ)s/2γ(χ,s)L(χ,s)=(|dK|dimV𝒩𝔣(χ))s/2𝔭L𝔭(χ,s)𝔭∤(det(1ϕ𝔓q𝔭s;VI𝔓)1.

Dabei ist q(χ):=|dK|dimV𝒩𝔣(χ) der Führer der L-Funktion Λ(χ,s) , welcher eine Potenz des Betrags der Diskriminante dK von K und die Norm des Artin-Führers von ρ enthält. Diese Definition der vervollständigten Artinschen L-Funktion ist zunächst nur in der Halbebene (s)>1 gültig. Λ(χ,s) kann aber meromorph auf die ganze komplexe Zahlenebene fortgesetzt werden. Bezeichnet man auch diese fortgesetzte L-Funktion mit Λ, so erfüllt sie die Funktionalgleichung

Λ(χ,1s)=ϵ(χ)Λ(χ,s)

mit einer komplexen Konstanten ϵ(χ), welche den Absolutbetrag 1 besitzt und die Artinsche Wurzelzahl von Λ(χ,s) genannt wird.[68] Der Grad von Λ ist dimV über K bzw. dimV[K:] über .[69]

Die bislang unbewiesene Artin-Vermutung besagt, jede Artinsche L-Funktion lasse sich analytisch (holomorph) von der Halbebene (s)>1 auf fortsetzen, sofern der Charakter χ von ρ bei der Zerlegung in Charaktere zu irreduziblen Darstellungen von ρ keinen trivialen Charakter enthält. Diese Vermutung gilt z. B. für eindimensionale Darstellungen, ist aber im allgemeinen Fall unbewiesen.[70] Die Existenz von Artinschen L-Funktionen, die im kritischen Streifen 0<(s)<1 Polstellen besitzen, kann also bisher nicht ausgeschlossen werden.[71]

Artinsche L-Funktionen lassen sich nicht nur im Bezug auf Darstellungen von endlichen Galoiserweiterungen algebraischer Zahlkörper definieren. Allgemeiner kann man globale Körper zu Grunde legen, zu denen die algebraischen Zahlkörper gehören. Neben den Fall „K=algebraischer Zahlkörper“ tritt dann auch der Fall „K=𝔽p(T)=Funktionenkörper einer Variablen über einem endlichen Körper mit p vielen Elementen.“[72]

Vermutete Eigenschaften

Man kann aus bekannten Beispielen ablesen, welche Eigenschaften eine Theorie der L-Funktionen haben sollte, und zwar sollte sie

  1. die Position der Null- und Polstellen ergeben,
  2. Funktionalgleichungen bezüglich der Vertikallinien Re (s) = constant liefern,
  3. spezielle und interessante Werte für ganzzahlige Argumente ergeben.

Detailuntersuchungen haben eine große Zahl plausibler Vermutungen erzeugt, zum Beispiel über den genauen Typ der gerade angegebenen Funktionalgleichungen. Da die Riemannsche ζ-Funktion durch ihre Werte bei geradzahligen positiven ganzen Zahlen (und negativen ungeradzahligen Werten) mit den Bernoullischen Zahlen zusammenhängt, liegt es nahe, nach einer Verallgemeinerung der Bernoullischen Zahlen in der angegebenen Theorie zu suchen. Man verwendet dazu die Körper der p-adischen Zahlen, wodurch gewisse Galois-Moduln beschrieben werden.

Die statistischen Eigenschaften der Nullstellenverteilung der L-Funktionen sind unter anderen deshalb von Interesse, weil sie mit allgemeinen Problemen zusammenhängt, zum Beispiel mit einer Hypothese über die Primzahlverteilung und mit anderen sogenannten verallgemeinerten Riemannschen Hypothesen. Der Zusammenhang mit den Theorien der Zufallsmatrizen und des sogenannten Quantenchaos ist ebenfalls von Interesse. Die fraktale Struktur der Verteilungen wurde ebenfalls mit sogenannten Skalenanalysen untersucht.[73] Die Selbstähnlichkeit der Nullstellenverteilung ist sehr bemerkenswert und wird durch einen großen Wert der fraktalen Dimension, ~ 1.9, charakterisiert. Dieser sehr hohe Wert gilt für mehr als 15 Größenordnungen der Nullstellenverteilung der Riemannschen ζ-Funktion und auch für die Nullstellen anderer L-Funktionen.

Atle Selberg fasste 1991 die vermuteten oder bewiesenen Eigenschaften vieler Zeta- und L-Funktionen in seiner axiomatischen Definition der Selberg-Klasse zusammen.[74][75] Die vier Axiome sind Analytizität, Eulerprodukt, Ramanujan-Vermutung, Funktionalgleichung. Selberg stellte dann weitere Vermutungen über die Selberg-Klasse auf.

Siehe auch

Literatur

  • Vorlage:Literatur
  • Vorlage:Literatur
  • Daniel Bump u. a.: An Introduction to the Langlands Program. Herausgeber: Joseph Bernstein, Stephen Gelbart. Birkhäuser, Boston 2004, ISBN 3-7643-3211-5.
  • Henri Cohen: Advanced Topics in Computational Number Theory (= Graduate Texts in Mathematics. Band 193). 1. Auflage. Springer-Verlag, New York 2000, ISBN 0-387-98727-4. (Insbesondere Kapitel 3 und 4 sowie Abschnitt 10.3)
  • Ze Li Dou, Qiao Zhang: Six Short Chapters on Automorphic Forms and L-Functions. Springer, Berlin, Heidelberg 2012, ISBN 978-3-642-28708-4.
  • Stephen Gelbart, lIya Piatetski-Shapiro, Stephen Rallis: Explicit Constructions of Automorphic L-Functions (= Lecture Notes in Mathematics. Band 1254). Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York 1987, ISBN 3-540-17848-1.
  • Haruzo Hida: Elementary Theory of L-functions and Eisenstein Series (= London Mathematical Society Student Texts. Band 26). Cambridge University Press, Cambridge 1993, ISBN 978-0-521-43411-9.
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  • Kenkichi Iwasawa: Hecke's L-Functions - Spring, 1964. SpringerBriefs in Mathematics, Springer Singapore 2019, ISBN 978-981-13-9495-9.
  • Bruno Kahn: Zeta and L-Functions of Varieties and Motives (= London Mathematical Society Lecture Note Series. Band 462). Cambridge University Press, 2020, ISBN 978-1-108-70339-0.
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  • Wen-Ching Winnie Li: Zeta and L-functions in number theory and combinatorics (= CBMS regional conference series in mathematics. Band 129). American Mathematical Society, 2019, ISBN 978-1-4704-4900-1.
  • Jürgen Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1992, ISBN 3-540-54273-6 (insbesondere Kapitel VII).
  • Alberto Perelli: An Introduction to the Selberg Class of L-Functions. Vortragsskript, Vilnius Universität, Ph. D. Summer School in Number Theory and Probability, Druskininkai, Litauen, September 2007, Link.
  • Cristian Popescu, Karl Rubin, Alice Silverberg (Hrsg.): Arithmetic of L-functions (= IAS/Park City Mathematics Series. Band 18). 1. Auflage. American Mathematical Society, Providence, Rhode Island, USA 2011, ISBN 978-0-8218-5320-7.
  • Atle Selberg: Old and new conjectures and results about a class of Dirichlet series, Proceedings of the Amalfi Conference on Analytic Number Theory (Maiori, 1989), Salerno: Università di Salerno, 1992, S. 367–385. Auch enthalten in: Collected Papers II / Atle Selberg, Springer Collected Works in Mathematics (SCWM), Springer Berlin, Heidelberg 1991, S. 47–64, ISBN 978-3-642-41022-2.
  • Jörn Steuding: Value-Distribution of L-Functions (= Lecture Notes in Mathematics. Band 1877). 1. Auflage. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 2007, ISBN 978-3-540-26526-9.

Einzelnachweise

  1. Atle Selberg: Old and new conjectures and results about a class of Dirichlet series. 1989.
  2. Iwaniec, Kowalski: Analytic Number Theory. 2004, Kapitel 5, Abschnitt 1, S. 94.
  3. Iwaniec, Kowalski: Analytic Number Theory. 2004, Kapitel 5, Abschnitt 1, S. 95.
  4. Atle Selberg: Old and new conjectures and results about a class of Dirichlet-series. In: Enrico Bombieri u. a. (Hrsg.): Proceedings of the Amalfi Conference on Analytic Number Theory. 1992, S. 367–385; Collected Papers. Vol. II, Springer, 1991, S. 47–63.
  5. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 1, 1992, S. 439 ff.
  6. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 1, Satz 1.1, 1992, S. 439.
  7. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 1, Theorem 1.6, 1992, S. 445.
  8. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 1, Theorem 1.6, 1992, S. 445.
  9. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 1, Korollar 1.7, 1992, S. 446.
  10. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 2, 1992, S. 454 f.
  11. Tom M. Apostol: Note on the trivial zeros of Dirichlet L-functions. In: Proceedings of the American Mathematical Society. Band 94, Nummer 1, S. 29–30. doi:10.1090/S0002-9939-1985-0781049-8.
  12. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 2, Satz 2.1, 1992, S. 455.
  13. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 2, Satz 2.1, 1992, S. 455.
  14. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 2, 1992, S. 457.
  15. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 2, Theorem 2.8, 1992, S. 461.
  16. Iwaniec, Kowalski: Analytic Number Theory. 2004, Kapitel 5, Abschnitt 9, S. 119.
  17. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 2, Definition 2.5, 1992, S. 459.
  18. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 2, Theorem 2.8, 1992, S. 461.
  19. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 2, Satz 2.6, 1992, S. 459, Theorem 2.8, S. 461.
  20. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 2, 1992, S. 455.
  21. P. G. L. Dirichlet: Beweis des Satzes, dass jede unbegrenzte arithmetische Progression, deren erstes Glied und Differenz ganze Zahlen ohne gemeinschaftlichen Factor sind, unendlich viele Primzahlen enthält. In: Abhand. Ak. Wiss. Berlin. (1837), S. 45–81; Werke I (1889), S. 313–342.
  22. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 5, Satz 5.14, 1992, S. 490.
  23. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 5, Satz 5.13, 1992, S. 490.
  24. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 5, Definition 5.1, 1992, S. 478.
  25. Steuding: Value-Distribution of L-Functions. 2007, Kapitel 13, Abschnitt 1, S. 250.
  26. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 5, Satz 5.2, 1992, S. 478.
  27. Iwaniec, Kowalski: Analytic Number Theory. 2004, Kapitel 5, Abschnitt 10, S. 125.
  28. Steuding: Value-Distribution of L-Functions. 2007, Kapitel 13, Abschnitt 1, S. 250.
  29. Iwaniec, Kowalski: Analytic Number Theory. 2004, Kapitel 5, Abschnitt 10, S. 125.
  30. Iwaniec, Kowalski: Analytic Number Theory. 2004, Kapitel 5, Abschnitt 10, S. 125.
  31. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 5, Korollar 5.10, 1992, S. 487.
  32. Iwaniec, Kowalski: Analytic Number Theory. 2004, Kapitel 5, Abschnitt 10, S. 125.
  33. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 5, Korollar 5.10, 1992, S. 487.
  34. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 5, 1992, S. 488.
  35. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 5, Korollar 5.11, 1992, S. 488.
  36. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. 1992, Kapitel 7, Paragraph 6, S. 491.
  37. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. 1992, Kapitel 7, Paragraph 8, S. 515.
  38. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. 1992, Kapitel 7, Paragraph 6, Definition 6.1, S. 492.
  39. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. 1992, Kapitel 7, Paragraph 3, S. 464.
  40. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. 1992, Kapitel 1, Paragraph 5, S. 31.
  41. Cohen: Advanced Topics in Computational Number Theory. 2000, Kapitel 3, Abschnitt 3, S. 135.
  42. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. 1992, Kapitel 7, Paragraph 6, S. 492.
  43. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. 1992, Kapitel 7, Paragraph 6, S. 494.
  44. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. 1992, Kapitel 7, Paragraphen 6 bis 8, S. 491–525.
  45. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 377.
  46. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. 1992, Kapitel 7, Paragraph 8, Bemerkung 2, S. 525.
  47. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 377.
  48. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 378.
  49. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 378 und 379.
  50. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 382.
  51. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 379.
  52. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 383.
  53. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 358, 383 und 384.
  54. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 384, Abschnitt 3.2.
  55. Perelli: An Introduction to the Selberg Class of L-Functions. 2007, Kap. 3, Invariants, S. 17.
  56. Perelli: An Introduction to the Selberg Class of L-Functions. 2007, Kap. 2, Basic Theory of the Selberg Class, S. 7.
  57. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 384, Theorem 2.1.
  58. Popescu et al. (Hrsg.): Arithmetic of L-Functions. 2011, Part III, Lecture 2, S. 384, Abschnitt 3.2, mit S. 361, Proposition 1.1.
  59. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 10, Einleitung, 1992, S. 539.
  60. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 10, 1992, S. 539 und 540.
  61. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 10, Definition 10.1, 1992, S. 540.
  62. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 10, 1992, S. 540.
  63. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 10, 1992, S. 541.
  64. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 10, 1992, S. 544.
  65. Ehud de Shalit: Artin L Functions. In: An Introduction to the Langlands Program. Bernstein, Gelbart (Hrsg.), 2004, Kapitel 4, Abschnitt 3.1, S. 75, und Abschnitt 4.1, S. 80.
  66. Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Kapitel 7, Paragraph 12, 1992, S. 558 f.
  67. Ehud de Shalit: Artin L Functions. In: An Introduction to the Langlands Program. Bernstein, Gelbart (Hrsg.), 2004, Kapitel 4, Abschnitt 4.2, S. 80.
  68. Ehud de Shalit: Artin L Functions. In: An Introduction to the Langlands Program. Bernstein, Gelbart (Hrsg.), 2004, Kapitel 4, Abschnitt 4.3, Theorem 4.1, S. 81.
  69. Iwaniec, Kowalski: Analytic Number Theory. 2004, Kapitel 4, Abschnitt 5.13, S. 141.
  70. Ehud de Shalit: Artin L Functions. In: An Introduction to the Langlands Program. Bernstein, Gelbart (Hrsg.), 2004, Kapitel 4, Conjecture 5.1, S. 83.
  71. Iwaniec, Kowalski: Analytic Number Theory. 2004, Kapitel 5, Abschnitt 5.13, S. 142.
  72. Ehud de Shalit: Artin L Functions. In: An Introduction to the Langlands Program. Bernstein, Gelbart (Hrsg.), 2004, Kapitel 4, Abschnitt 3.1, S. 75.
  73. Vorlage:Literatur
  74. Selberg, Old and new conjectures and results about a class of Dirichlet series, Proceedings of the Amalfi Conference on Analytic Number Theory (Maiori, 1989), Salerno: Univ. Salerno, 1991, S. 367–385
  75. M. Ram Murty, Selberg's conjectures and Artin L-functions, Bull. AMS, Band 31, 1994, S. 1-14, Arxiv

Anmerkungen

  1. Die Ramanujan-Vermutung bezieht sich auf die Koeffizienten λ(f,n) der Dirichlet-Reihe. Sie besagt: Für beliebiges ϵ>0 ist λ(f,n)=O(nϵ). Dabei darf die implizite Konstante im Landau-Symbol O von ϵ abhängen.
  2. Erläuterung der Begriffe „Stelle“ und „komplette Hülle“: Die Stellen von sind, bis auf Äquivalenz der Absolutbeträge, der gewöhnliche Absolutbetrag ||:=||:0 sowie die p-adischen Absolutbeträge ||p:0,|x|p:=pep(x), wobei ep(x) den Exponenten der Primzahl p in der Primfaktorzerlegung von x0 bezeichnet und |0|p:=0 gesetzt wird. Die entsprechenden kompletten Hüllen sind der Körper := der reellen Zahlen sowie die p-adischen Körper p.