Orthogonale Gruppe

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Die orthogonale Gruppe O(n) ist die Gruppe der orthogonalen (n×n)-Matrizen mit reellen Elementen. Die Verknüpfung der orthogonalen Gruppe ist die Matrizenmultiplikation. Bei der orthogonalen Gruppe handelt es sich um eine Lie-Gruppe der Dimension n(n1)2. Da die Determinante einer orthogonalen Matrix nur die Werte ±1 annehmen kann, zerfällt O(n) in die beiden disjunkten Teilmengen (topologisch: Zusammenhangskomponenten)

  • die Drehgruppe SO(n) aller Drehungen (orthogonale Matrizen mit Determinante +1) und
  • O(n)SO(n) aller Drehspiegelungen (orthogonale Matrizen mit Determinante 1).

Die Untergruppe SO(n) heißt die spezielle orthogonale Gruppe. Insbesondere ist die SO(3) als die Gruppe aller Drehungen um eine durch den Koordinatenursprung verlaufende Achse im dreidimensionalen Raum von großer Bedeutung in zahlreichen Anwendungen, wie etwa der Computergraphik oder der Physik.

Orthogonale Abbildungen und Matrizen aus algebraischer Sicht

Koordinatenfreie Beschreibung

Ausgehend von einem n-dimensionalen euklidischen Vektorraum V mit einem Skalarprodukt ,:V×V definiert man: Ein Endomorphismus f:VV heißt orthogonal, falls f das Skalarprodukt erhält, also falls für alle u,vV

f(u),f(v)=u,v

gilt. Eine lineare Abbildung erhält genau dann das Skalarprodukt, wenn sie längen- und winkeltreu ist.[1] Die Menge aller orthogonalen Selbstabbildungen von V heißt die orthogonale Gruppe von V, geschrieben als O(V).

Bezüglich einer Orthonormalbasis von V werden orthogonale Endomorphismen durch orthogonale Matrizen dargestellt. Gleichbedeutend hierzu ist folgende Formulierung: Versieht man den n mit dem Standardskalarprodukt, so ist die Abbildung nxAxn genau dann orthogonal, wenn die Matrix A orthogonal ist.

Diagonalisierbarkeit unitärer Matrizen

Jede orthogonale Matrix A ist eine unitäre Matrix mit reellen Elementen. Damit entspricht sie einer unitären Abbildung f:nn. Nach dem Spektralsatz für endlich dimensionale unitäre Räume ist A als unitäre Matrix diagonalisierbar. Die dabei auftretenden Diagonalelemente λj mit 1jn sind genau die Eigenwerte von A. Diese sind aber notwendig vom Betrag Eins (vgl. unitäre Matrix). Sie lassen sich daher in der Form λj=eiφj für gewisse, bis auf die Reihenfolge eindeutige Winkel φj[0;2π[ schreiben. Da die Matrix nur reelle Elemente besitzt, treten dabei die nichtreellen Eigenwerte in Paaren zueinander konjugierter komplexer Zahlen auf. Im Reellen ist A in der Regel nicht diagonalisierbar, jedoch lässt sich auch hier eine Zerlegung in ein- bzw. zweidimensionale invariante Unterräume angeben.

Auswirkungen auf orthogonale Matrizen

Zu jeder orthogonalen Matrix AO(n) lässt sich eine Drehung des Koordinatensystems PSO(n) finden, so dass die Matrix PTAP von „beinahe diagonaler“ Gestalt ist:

PTAP=(+1+111D(φ1)D(φd))

Alle hier nicht angegebenen Elemente haben den Wert 0. Die auftretenden (2×2)-Matrizen D(φj)SO(2) beschreiben zweidimensionale Drehungen um die Winkel φj]0;π[]π;2π[ der Form

D(φ)=(cosφsinφsinφcosφ)

Jedes φj gehört dabei zu einem Paar konjugiert komplexer Eigenwerte e±iφj. Dabei gilt natürlich p+m+2d=n, falls p die Anzahl der Diagonalelemente mit Wert +1 und m die Anzahl der Diagonalelemente mit Wert 1 repräsentieren.[2] Offenbar ist A genau dann eine Drehung, wenn m, die geometrische wie auch algebraische Vielfachheit des Eigenwertes 1, eine gerade Zahl ist.

Ebene Drehspiegelung

Neben den ebenen Drehungen, die den Matrizen D(φ)SO(2) entsprechen, sind auch die Drehspiegelungen

S(φ)=(cosφsinφsinφcosφ)

orthogonale Matrizen. Die Eigenwerte von S sind 1 und 1; folglich handelt es sich um eine Achsenspiegelung die sich nach einer Drehung des Koordinatensystems um φ2 als (1001) schreiben lässt.[3]

Räumliche Drehung

Nach der oben beschriebenen Normalform lässt sich jede Drehung im Raum durch Wahl einer geeigneten Orthonormalbasis durch eine Matrix

D1(φ)=(1000cosφsinφ0sinφcosφ)

beschreiben, wobei mit φ[0;2π[ auch alle Sonderfälle erfasst werden. Die genannte Matrix D1(φ) beschreibt eine Drehung um die x1-Achse. Insbesondere verfügt jede echte räumliche Drehung über eine Drehachse. Fischer[4] verdeutlicht dies am Beispiel eines Fußballes auf dem Anstoßpunkt: Nach dem ersten Tor gibt es zwei sich gegenüberliegende Punkte auf dem Ball, die jetzt exakt genauso zum Stadion ausgerichtet sind, wie zu Beginn des Spieles. Der Winkel φ ist aufgrund des orientierungserhaltenden Charakters der zugelassenen Transformationsmatrizen PSO(3) eindeutig festgelegt; dies geht mit der aus dem Alltag bekannten Erfahrung einher, dass es – zumindest theoretisch – stets feststeht, in welche Richtung man eine Schraube drehen muss, um diese fester anzuziehen.

Räumliche Drehspiegelung

Nach der oben beschriebenen Normalform lässt sich jede Drehspiegelung im Raum durch Wahl einer geeigneten Orthonormalbasis durch eine Matrix

(1000cosφsinφ0sinφcosφ)

beschreiben, wobei mit φ[0;2π[ auch alle Sonderfälle erfasst werden. Auch hier ist der Winkel φ eindeutig, sofern man die Orientierung des Raumes nicht umkehrt.

Eine doppelte Drehung im vierdimensionalen Raum

Im vierdimensionalen Raum ist eine gleichzeitige Drehung mit zwei unabhängigen Drehwinkeln möglich:

D(φ,ψ)=(D(φ)00D(ψ))SO(4)

Vertauscht man bei einer zweidimensionalen Drehung D(φ) die beiden Basisvektoren, so erhält man die Drehung D(2πφ). Das ist nicht verwunderlich, hat man doch gleichzeitig die Orientierung der Ebene verändert. Vertauscht man nun im vorliegenden Beispiel gleichzeitig den ersten mit dem zweiten wie auch den dritten mit dem vierten Basisvektor, so bleibt die Orientierung erhalten, aber aus D(φ,ψ) wird D(2πφ,2πψ).

Die Orthogonale Gruppe als Lie-Gruppe

Ausgehend vom linearen Raum n×n aller Matrizen gelangt man zur Untermannigfaltigkeit O(n) durch die Forderung, dass die Matrix A orthogonal ist, d. h. ATA=E gilt. Da orthogonale Matrizen insbesondere invertierbar sind, ist O(n) eine Untergruppe der allgemeinen linearen Gruppe GL(n,).

Topologische Eigenschaften

Wie die allgemeine lineare Gruppe besteht auch die orthogonale Gruppe aus zwei Zusammenhangskomponenten: Matrizen mit positiver bzw. negativer Determinante im Fall der reellen GL(n); SO(n) und die Menge der orthogonalen Matrizen mit Determinante 1 im Falle der O(n). Ein eleganter Beweis für den Wegzusammenhang der SO(n) lässt sich wie folgt führen[5]: Man verbinde die Einheitsmatrix E mit einer gegebenen Drehung A durch einen Weg innerhalb der GL(n). Wendet man auf jeden Punkt dieses Weges nun das Gram-Schmidtsche Orthogonalisierungsverfahren an, so erhält man einen Weg, der ganz in der SO(n) verläuft. Da die Multiplikation mit der Diagonalmatrix diag(1,1,,1) einen Diffeomorphismus von SO(n) mit seinem Komplement in der O(n) liefert, ist auch Letzteres zusammenhängend.

Weiterhin sind SO(n) und O(n) kompakt. Es handelt sich um eine abgeschlossene Teilmenge der Einheitskugel bezüglich der Spektralnorm im n×n.

Operation der SO(n) auf der Einheitssphäre

Die SO(n) operiert in natürlicher Weise auf dem n. Da orthogonale Abbildungen längentreu sind, sind die Bahnen dieser Operation genau die Sphären um den Ursprung. Die Operation schränkt also zu einer transitiven Operation auf der Einheitssphäre Sn1n ein. Die zugehörige Isotropiegruppe des kanonischen Einheitsvektors en der Standardbasis des n besteht genau aus der SO(n1), aufgefasst als Untergruppe der SO(n) mit einer 1 an der Matrix-Position (n,n). Man erhält somit die kurze exakte Sequenz

SO(n1)SO(n)Sn1

beziehungsweise das Hauptfaserbündel (vgl. auch Faserbündel)

SO(n)/SO(n1)Sn1.

Hieraus lässt sich induktiv folgern, dass die Fundamentalgruppe der SO(n) für n3 zu /2 isomorph ist.[6] Sie ist damit ähnlich „verdreht“ wie das Möbiusband. Die Fundamentalgruppe der Kreisgruppe SO(2) ist , da die SO(2) topologisch dem Einheitskreis S12 entspricht.

Die Lie-Algebra zur O(n) und SO(n)

Die Lie-Algebra 𝔬(n) besteht genau aus den schiefsymmetrischen Matrizen, die Lie-Algebra 𝔰𝔬(n), also der Tangentialraum der SO(n) im Punkt der Einheitsmatrix En, besteht genau aus den schiefsymmetrischen Matrizen[7], die zugleich spurlos sind, was im Reellen bereits durch die Schiefsymmetrie impliziert ist. Daher sind beide Lie-Algebren gleich

𝔬(n)=𝔰𝔬(n)={A𝑀𝑎𝑡(n,):AT=A}.

Ist also A=AT schiefsymmetrisch, so liefert die Exponentialabbildung für Matrizen die zugehörige Einparametergruppe

αA:texp(tA)SO(n).

In allgemeinen Lie-Gruppen ist die Exponentialabbildung nur lokal surjektiv, von einer Umgebung der Null auf eine Umgebung der Eins; die Exponentialabbildung von 𝔰𝔬(n) nach SO(n) dagegen ist tatsächlich (global) surjektiv[8].

Offensichtlich ist eine schiefsymmetrische Matrix durch die (n2)=n(n1)2 Einträge oberhalb der Hauptdiagonale eindeutig bestimmt. Damit ist die Dimension der SO(n) ebenfalls geklärt.[9]

Im Fall n=2 haben die Matrizen der zugehörigen Lie-Algebren die einfache Form

𝔬(2)=𝔰𝔬(2)={(0λλ0):λ}=span(0110)=span(iσ2)

wobei σ2 die zweite Pauli-Matrix ist.

Im Fall n=3 ist die zugehörige Lie-Algebra 𝔰𝔬(3) isomorph zum 3 mit dem Kreuzprodukt als Lie-Klammer. Zum Nachweis muss man lediglich den Kommutator zweier generischer, also mit je drei freien Variablen gebildeter, schiefsymmetrischer Matrizen berechnen und das Ergebnis mit der Formel für das Kreuzprodukt vergleichen.

Literatur

  • Theodor Bröcker, Tammo tom Dieck: Representations of Compact Lie Groups (= Graduate Text im Mathematics. Band 98). Springer, New York NY u. a. 1985, ISBN 3-540-13678-9.
  • Gerd Fischer: Lineare Algebra (= Vieweg-Studium. Band 17). 5. Auflage. Vieweg, Braunschweig u. a. 1979, ISBN 3-528-17217-7.
  • Horst Knörrer: Geometrie (= Vieweg-Studium. Band 71). Vieweg, Braunschweig u. a. 1996, ISBN 3-528-07271-7.
  • Serge Lang: Linear Algebra. 2nd edition. Addison-Wesley, Reading MA u. a. 1971.
  • Hermann Weyl: The classical Groups. Their invariants and representations (= Princeton Mathematical Series. Band 1, Vorlage:ISSN). 2. edition, with supplement, reprinted. Princeton University Press u. a., Princeton NJ 1953.

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. Das Skalarprodukt eines euklidischen Vektorraums lässt sich sogar aus dem zugehörigen Längenbegriff alleine rekonstruieren. Vgl. Polarisationsformel.
  2. G. Fischer: Lineare Algebra. 5. Auflage. 1979, S. 204 f.
  3. Es handelt sich bei S(φ) um eine Spiegelung an der x-Achse gefolgt von einer Drehung um φ. Dabei bleibt ein um φ/2 zur x-Achse gedrehter Vektor fest.
  4. G. Fischer: Lineare Algebra. 5. Auflage. 1979, S. 205.
  5. Bröcker, tom Dieck: Representations of Compact Lie Groups. 1985, S. 5.
  6. Bröcker, tom Dieck: Representations of Compact Lie Groups. 1985, S. 36 und S. 61.
  7. Bröcker, tom Dieck: Representations of Compact Lie Groups. 1985, S. 20. Wenn man beispielsweise die Funktion tD(t)SO(2) mit der oben definierten zweidimensionalen Drehung D(φ) in t=0 ableitet, so erhält man die schiefsymmetrische Matrix (0110).
  8. Vorlage:Literatur
  9. Die insgesamt n2 Gleichungen, die die Orthogonalität einer Matrix sicherstellen, haben also nur (bzw. beim zweiten Nachdenken tatsächlich) den Rang n2nn12=nn+12.