Pfaffsche Form

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In den mathematischen Teilgebieten der Analysis und der Differentialgeometrie bezeichnet Pfaffsche Form (nach Johann Friedrich Pfaff)[1], Kovektorfeld[2] oder kurz 1-Form[3] ein Objekt, das in gewisser Weise dual zu einem Vektorfeld ist. Es ist eine Differentialform vom Grad 1. Pfaffsche Formen sind die natürlichen Integranden für Wegintegrale.

Definition

Mit Un wird im Folgenden eine offene Teilmenge des euklidischen Raums bezeichnet. Eine Pfaffsche Form ω auf U ordnet jedem Punkt pU eine Linearform ωp:TpU zu. Derartige Linearformen heißen Kotangentialvektoren; sie sind Elemente des Dualraumes Tp*U des Tangentialraumes TpU. Der Raum Tp*U wird Kotangentialraum genannt. Mit pUTp*U wird die disjunkte Vereinigung aller Kotangentialräume bezeichnet. Dieser Raum heißt Kotangentialbündel.

Eine Pfaffsche Form ω ist also eine Abbildung

ω:UpUTp*U,pωpTp*U.

Andere Definitionen

Sei weiterhin Un eine offene Teilmenge. Obige Definition ist zu jeder der folgenden Aussagen äquivalent:

  • Eine differenzierbare Pfaffsche Form ist eine C(U)-lineare Abbildung Γ(TU)C(U), wobei Γ(TU) den Vektorraum der differenzierbaren Vektorfelder auf U bezeichnet. Stetige oder messbare Pfaffsche Formen sind analog definiert.
  • Die oben gegebene Menge pUTp*U wird als Kotangentialbündel bezeichnet. Das ist nichts anderes als das duale Vektorbündel des Tangentialbündels. Eine Pfaffsche Form kann damit als Schnitt des Kotangentialbündels definiert werden.
  • Die Pfaffschen Formen sind genau die kovarianten Tensorfelder erster Stufe.

Totales Differential einer Funktion

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Ein zentrales Beispiel einer Pfaffschen Form ist das totale Differential einer differenzierbaren Funktion.

Sei also f:U eine differenzierbare Funktion und ist XTpU ein Tangentialvektor, so ist das totale Differential df definiert als

(df)p(X)=Xf,

also gleich der Richtungsableitung von f in Richtung X.

Ist also γ:(ε,ε)U ein Weg mit γ(0)=p und γ˙(0)=X, so ist

(df)p(X)=ddt|t=0f(γ(t)).

Es gilt:

  • dλ=0, falls λ eine konstante Funktion ist;
  • d(fg)=fdg+gdf für differenzierbare Funktionen f,gC(U).

Ist auf U ein Skalarprodukt , gegeben, so lässt sich das totale Differential von f mit Hilfe des Gradienten darstellen:

(df)p(X)=gradf,X.

Koordinatendarstellung

Es sei x1,,xn ein Koordinatensystem auf der offenen Menge Un. Die Koordinaten können als Funktionen

xi:U,pxi(p)

aufgefasst werden, die einem Punkt seine i-te Koordinate zuordnen. Die totalen Differentiale dx1,,dxn dieser Funktionen bilden eine lokale Basis. Das heißt, für jeden Punkt pU ist

{(dx1)p,,(dxn)p}

eine Vektorraumbasis von Tp*U. Somit hat jeder Kotangentialvektor ϕTp*U eine Koordinatendarstellung

ϕ=i=1nci(dxi)p

mit eindeutig bestimmten Koeffizienten ci. Also kann auch jede Pfaffsche Form ω auf eindeutige Weise durch

ω=f1dx1++fndxn=i=1nfidxi

mit Funktionen fi:U dargestellt werden.[4]

Die totale Ableitung einer beliebigen differenzierbaren Funktion f:U hat die Darstellung

df=fx1dx1++fxndxn=i=1nfxidxi.

Kurvenintegral

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Definition des Kurvenintegrals

Es sei φ:[a,b]U ein stetig differenzierbarer Weg in U und ω eine 1-Form auf U. Dann ist das Integral von ω entlang φ definiert als:

φω=abωφ(t)(φ˙(t))dt

Dabei bezeichnet φ˙ die Ableitung von φ nach dem Parameter t.

Geometrische Interpretation des Kurvenintegrals

Eine stetig differenzierbare Funktion φ:[a,b]3 stellt die Parametrisierung einer Raumkurve dar. Der Parameter t[a,b] kann als Zeitparameter aufgefasst werden. Zum Zeitpunkt t=a befindet man sich am Ort φ(a). Dann wird entlang einer bestimmten Bahn oder Kurve zum Ort φ(b) gefahren. Also zum Zeitpunkt t=b ist der Endpunkt φ(b) der Kurve erreicht. Wird zu jedem Zeitpunkt t der Ort des Überfahrens notiert, so ergibt sich die Abbildung φ:[a,b]3.

Dieselbe Kurve kann auf unterschiedliche Weise durchfahren werden. So ist konstante Geschwindigkeit eine Möglichkeit. Eine weitere ergibt sich aus einem langsamen Start und mit anschließender Beschleunigung. Für dieselbe Kurve gibt es unterschiedliche Parametrisierungen. Die Bezeichnung „Kurvenintegral“ ist gerechtfertigt, weil gezeigt werden kann, dass der Wert des Integrals unabhängig von der gewählten Parametrisierung der Kurve ist, mit einer Ausnahme: Wird der Anfangs- und Endpunkt der Kurve vertauscht, erfolgt also die Bewegung vom Endpunkt zurück zum Anfangspunkt der Kurve, so ändert sich das Vorzeichen des Integrals.

Kurve φ(t) nach der Bogenlänge parametrisiert

Im Anschauungsraum 3 können Tangential- und Kotangentialvektoren mithilfe des Skalarproduktes miteinander identifiziert werden: Einem Kotangentialvektor ω entspricht der Vektor w, für den

ω(x)=w,x für alle x3

gilt. So können 1-Formen mit Vektorfeldern identifiziert werden.

Dem Integral einer 1-Form entspricht das (gewöhnliche) Integral über das Skalarprodukt mit dem Tangentenvektor:

φω=abw,φ˙(t)dt

Ist die Kurve nach der Bogenlänge parametrisiert, so ist der Integrand die (gerichtete) Länge der Projektion des Vektors w auf die Tangente τ an die Kurve:

φω=wcos(w,τ)ds

Kurvenintegral des totalen Differentials

Für das Kurvenintegral des totalen Differentials dF entlang eines Weges φ:[a,b]U gilt:

φdF=F(φ(b))F(φ(a))

Das Integral des totalen Differentials hängt also nicht von der Kurvenform, sondern nur von den Endpunkten der Kurve ab. Das Integral über eine geschlossene Kurve, also φ(a)=φ(b), ist somit gleich Null:

φdF=0

Im Spezialfall U und φ(t)=t ergibt sich der Fundamentalsatz der Analysis, da das Integral auf der linken Seite

φdF=abF(t)dt

ist. Die obigen Aussagen lassen sich direkt auf den Fundamentalsatz zurückführen.

Stammfunktion

Jede stetige Differentialform fdx auf einem Intervall I besitzt nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung eine Stammfunktion, also eine Funktion F mit dF=fdx. Im mehrdimensionalen Fall gilt dies nicht mehr.

Definition der Stammfunktion für Pfaffsche Formen

Eine stetig differenzierbare Funktion F:U heißt Stammfunktion der Pfaffschen Form ω, wenn

dF=ω

gilt.[5]

Exakte und geschlossene Formen

Eine 1-Form heißt exakt, wenn sie eine Stammfunktion besitzt.

Eine 1-Form ω=i=1nfidxi heißt geschlossen, wenn gilt:

fixj=fjxi für alle i,j

Allgemeiner kann ein totales Differential definiert werden, das jeder 1-Form eine 2-Form dω zuordnet. Eine Form heißt genau dann geschlossen, wenn dω=0 gilt. Aus dem Satz von Schwarz folgt, dass jede exakte Form geschlossen ist.

Existenz einer Stammfunktion

Geschlossenheit einer Pfaffschen Form ist also eine notwendige Bedingung für Exaktheit. Das Poincaré-Lemma macht eine Aussage darüber, wann geschlossene Pfaffsche Formen auch exakt sind. Die Voraussetzungen für die Umkehrung sind von globaler Natur: In einem sternförmigen Gebiet Un besitzt jede geschlossene Pfaffsche Form eine Stammfunktion – ist also exakt. Insbesondere ist jede geschlossene Pfaffsche Form lokal exakt.

Eine stetige Pfaffsche Form ω auf einem Gebiet Un besitzt genau dann eine Stammfunktion, wenn das Integral von ω entlang jeder geschlossenen Kurve φ in U verschwindet.[6]

Pfaffsche Formen auf Mannigfaltigkeiten

Bisher wurden Pfaffsche Formen auf einer offenen Menge des n betrachtet. Es ist möglich, diese Definition auf differenzierbare Mannigfaltigkeiten zu erweitern. Mannigfaltigkeiten sind Räume die lokal wie der n aussehen. So kann man Pfaffsche Formen auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M ebenfalls als Schnitt im Kotangentialbündel T*M definieren.[3]

Gleichungen der Form ω=0, wobei ω eine Pfaffsche Form ist, werden Pfaffsche Gleichungen genannt. Ist NM eine (immersierte) Untermannigfaltigkeit von M, so heißt N Integralmannigfaltigkeit, wenn ein ω existiert, so dass für alle ξTpN die Pfaffsche Gleichung ωp(ξ)=0 für alle pN erfüllt ist.[7]

Physikalische Beispiele für Pfaffsche Formen

Kraftfeld

Ein Kraftfeld beschreibt die Kraft, die auf einen Gegenstand an einem beliebigen Ort r ausgeübt wird. Beispielsweise bewegt sich die Erde im Kraftfeld der Sonne. Das Kraftfeld ordnet jedem Punkt r3 einen Kraftvektor F(r) zu. Jedem Kraftvektor F(r) kann eine lineare Abbildung F, zugeordnet werden, die mittels des Skalarproduktes , einen beliebigen Vektor r linear auf den Zahlenkörper abbildet. Aufgrund dieser Interpretation kann das Kraftfeld als Pfaffsche Form oder Differentialform 1. Ordnung verstanden werden.

Wird das Kraftfeld in kartesischen Koordinaten dargestellt, wobei ei mit i=1,2 oder 3 die Einheitsvektoren in kartesischen Koordinaten sind, so gilt für die Koordinatendarstellung der Pfaffschen Form:

F,=i=13Fidxi

Die Differentiale dxi sind einfach die entsprechenden Basisvektoren des Dualraums, also:

ei,=dxi.

Es muss Arbeit geleistet werden, um einen Gegenstand in einem Kraftfeld entlang eines Weges φ:[a,b]3 von einem Ort φ(a) zu einem Ort φ(b) zu bewegen. Die Größe W der geleisteten Arbeit ist gegeben durch das Kurvenintegral entlang des Weges:

W=φF,=abF(φ(s)),φ˙(s)ds.

In einem konservativen Kraftfeld ist die Größe W der geleisteten Arbeit wegunabhängig. Eine konservative Kraft leistet auf einem geschlossenen Weg keine Arbeit.

Die Stammfunktion V eines konservativen Kraftfeldes wird Potential oder potentielle Energie der Kraft F genannt. Also stellt das totale Differential des Potentials V wiederum die Kraft F dar. Es gilt:

F=gradV=V.

Das Vorzeichen ist lediglich Konvention.

Thermodynamik

In der Thermodynamik werden Gesetzmäßigkeiten meist als Beziehungen zwischen 1-Formen formuliert. Den Gleichgewichtszuständen eines thermodynamischen Systems entsprechen im mathematischen Modell Punkte einer reellen Mannigfaltigkeit Zg. Zur eindeutigen Kennzeichnung eines Gleichgewichtszustandes reicht bei einfachen thermodynamischen Systemen die Angabe von n Arbeitskoordinaten und dem Wert der inneren Energie U des Systems aus. Diese Größen bilden Tupel (U,α1,...,αn) eines Koordinatensystems, das die Mannigfaltigkeit Zg eineindeutig auf ein Gebiet 𝒰n+1 abbildet. Die Arbeitsparameter α1,...,αn sind je nach dem betrachteten konkreten System etwa Volumenwerte oder andere messbare Größen, mit welchen im mathematischen Modell der Zustand der äußeren Bedingungen des Systems erfasst werden kann.[8][9]

Wenn bei einer adiabatischen Zustandsänderung allein die Arbeitsparameter quasistatisch verändert werden, so dass dem System praktisch zu jedem Zeitpunkt ein Gleichgewichtszustand zZg zugeordnet werden kann, ergibt ein Wegintegral längs des Prozessweges in Zg über eine 1-Form der Gestalt

i=1nβi(z)dαi

die an dem System bei dem Prozess geleistete Arbeit und damit die Zunahme der inneren Energie. In einführenden Lehrbüchern der Thermodynamik wird häufig das einfache thermodynamische System bestehend aus einem Gas in einem Kolben als Beispiel betrachtet. In diesem Fall gibt es nur eine einzige Arbeitskoordinate nämlich das Volumen, die obige 1-Form reduziert sich auf den Ausdruck

pdV

und die Funktion β1(z) ist gleich dem Negativen des Gasdrucks: β1(z)=p(z).

Die innere Energie U ist als eine Zustandsgröße eines thermodynamischen Systems eine reelle Funktion über der Mannigfaltigkeit Zg. Änderungen der inneren Energie werden durch ihr totales Differential dU beschrieben. Für konkrete einfache thermodynamische Systeme lässt sich jeweils eine 1-Form finden, welche die Energieänderungen durch verschiedene äußere Beeinflussungen und Stoffumwandlungen in dem System erfasst. Die 1-Form dU lässt sich durch

dU=TdS+i=1nβi(z)dαi+j=1mμj(z)dNj

darstellen. In dieser Beziehung beschreibt der Anteil TdS die dem System zugeführte Wärme, wobei T die Temperatur und S die Entropie des Systems sind. Der zweite Term auf der rechten Seite berücksichtigt, die oben erläuterte Arbeit an dem System mittels äußerer Vorrichtungen. Die N1,...,Nm im dritten Term entsprechen den Stoffmengen der Reinstoffe jeweils getrennt für die einzelnen Phasen des Systems und die μ1,...,μm sind die zugeordneten chemischen Potentiale. Im Allgemeinen müssen die Stoffmengen einen Satz von stöchiometrischen Bilanzgleichungen befriedigen. Stoffmengen, die durch diese stöchiometrischen Gleichungen unbestimmt bleiben, werden in dem oben betrachteten Tupel als zusätzliche Koordinaten berücksichtigt.[10]

Da bei thermodynamischen Fragestellungen oft nicht die Größen U,α1,...,αn und N1,...,Nm konstant gehalten oder im Experiment kontrolliert verändert werden können, sondern eher andere Größen wie die Temperatur T oder der Druck p, wechselt man je nach Fragestellung oft zu anderen Koordinaten und schreibt die zugehörigen 1-Formen in anderen Koordinatendifferentialen, hierbei ist die Kenntnis der thermodynamischen Potentiale von Vorteil.[10]

Literatur

  • Otto Forster: Analysis. Band 3: Maß- und Integrationstheorie, Integralsätze im n und Anwendungen. 8. verbesserte Auflage. Springer Spektrum, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-16745-5.
  • Martin Schottenloher: Geometrie und Symmetrie in der Physik. Leitmotiv der mathematischen Physik (= Vieweg-Lehrbuch mathematischen Physik). Vieweg, Braunschweig 1995, ISBN 3-528-06565-6.
  • Konrad Königsberger: Analysis 2. Springer, 5. Auflage, 2006, ISBN 9783540350774, Kapitel Felder von Linearformen, Pfaffsche Formen, Kurvenintegrale, S. 177–196.

Einzelnachweise

  1. Günther J. Wirsching: Gewöhnliche Differentialgleichungen. Eine Einführung mit Beispielen, Aufgaben und Musterlösungen. Teubner Verlag, Wiesbaden 2006, ISBN 3-519-00515-8, S. 63, books.google.de
  2. Vorlage:Literatur
  3. 3,0 3,1 John M. Lee: Introduction to Smooth Manifolds (= Graduate Texts in Mathematics 218). Springer-Verlag, New York NY u. a. 2003, ISBN 0-387-95448-1, S. 130.
  4. Otto Forster: Analysis. Band 3: Integralrechnung im n mit Anwendungen. 4. Auflage. Vieweg + Teubner, Braunschweig u. a. 2007, ISBN 978-3-528-37252-1, S. 193–194.
  5. Konrad Königsberger: Analysis 2. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg, 2000, ISBN 3-540-43580-8, S. 182.
  6. Konrad Königsberger: Analysis 2. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg, 2000, ISBN 3-540-43580-8, S. 183–184.
  7. Vorlage:Literatur
  8. Vorlage:Literatur
  9. Vorlage:Literatur
  10. 10,0 10,1 Vorlage:Literatur