Arithmetische Gruppe

Aus testwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

In der Mathematik spielen arithmetische Gruppen eine wichtige Rolle in der Zahlentheorie, Differentialgeometrie, Topologie, Algebraischen Geometrie und in der Theorie der Lie-Gruppen. Es handelt sich um arithmetisch definierte Gitter in Lie-Gruppen; klassische Beispiele sind die Modulgruppe SL(2,) und allgemein die Gruppen SL(n,) für n2. Arithmetizität ist stets in Bezug auf eine umgebende Lie-Gruppe definiert. Nach einem Satz von Margulis sind alle irreduziblen Gitter in halbeinfachen Lie-Gruppen vom Rang 2 ohne kompakten Faktor immer arithmetische Untergruppen.

Definition

Sei G eine nichtkompakte halbeinfache Lie-Gruppe, ΓG eine Untergruppe. Γ heißt arithmetisch, wenn es

gibt, so dass ϕ(ΓK) kommensurabel zu (G()G()0)K ist.

Anmerkung: Eine über definierte lineare algebraische Gruppe ist – per Definition – eine durch Polynome mit rationalen Koeffizienten definierte Untergruppe GGL(n,). Wenn G eine über definierte lineare algebraische Gruppe ist, dann ist nach dem Satz von Borel und Harish-Chandra G() ein Gitter in G(). Folglich ist jede arithmetische Gruppe ein Gitter in der Zusammenhangskomponente der umgebenden Lie-Gruppe.

Beispiele

  • Nach Definition ist klar, dass SL(n,)SL(n,) und auch zu SL(n,) kommensurable Gruppen arithmetisch sind.
  • Bezeichne [i] die Gruppe der ganzen Gaußschen Zahlen. GL(n,[i]) ist eine arithmetische Untergruppe von GL(n,), denn es ist ϕ(GL(n,[i])=ϕ(GL(n,))GL(2n,) für die kanonische Einbettung ϕ:GL(n,)GL(2n,).
  • Sei SO(1,n)={gSL(n+1,):gI1,ngT=I1,n}, wobei I1,n die Diagonalmatrix I1,n=diag(1,1,1,,1) bezeichnet und sei SO(1,n,)=SO(1,n)SL(n+1,). Dann ist SO(1,n,) eine arithmetische Untergruppe von SO(1,n), denn SO(1,n) ist durch Polynome mit rationalen Koeffizienten definiert.
  • Im Folgenden wollen wir die Definition auf eine Klasse von weniger offensichtlichen Beispielen anwenden, nämlich auf die Hilbertschen Modulgruppen.

Sei

k=Q[D]={a+bD:a,b}

ein reeller quadratischer Zahlkörper – für eine quadratfreie ganze Zahl D>0 mit D3 mod 4 – und Okk sein Ganzheitsring. Es gibt zwei durch σ±(a+bD)=a±bD definierte Einbettungen σ±:k und dementsprechend zwei Einbettungen σ±:SL(2,k)SL(2,).

Wir betrachten die halbeinfache Lie-Gruppe

G=SL(2,)×SL(2,)

und die Untergruppe

Γ={(σ+(A),σ(A)):ASL(2,Ok)}G

und wollen zeigen, dass Γ eine arithmetische Gruppe ist.

Wir betrachten zunächst die algebraische Varietät

H:={(abcd):d=a,c=bD}Mat(2,)

und den durch

ψ(a+bD)=(abbDa) definierten Homomorphismus :ψ:kH()Mat(2,).

Dann ist ψ(Ok)=H().

Wir bemerken, dass es einen bijektiven (additiven und multiplikativen) Homomorphismus Ψ:×H() mit

Ψ(σ+,σ)=ψ,

also Ψ(a+bD,abD)=ψ(a+bD) für alle a+bDk gibt, nämlich Ψ(x,y)=(x+y2xy2Dxy2Dx+y2).

Nun betrachten wir die lineare algebraische Gruppe

G:={X=(ABCD):A,B,C,DH,ADBC=(1001)}GL(4,).

(Hier sind A,B,C,D 2x2-Blöcke in einer 4x4-Matrix.)

Wir definieren einen Gruppen-Homomorphismus

ϕ:SL(2,)×SL(2,)G()GL(4,) durch ϕ((abcd),(abcd))=(Ψ(a,a)Ψ(b,b)Ψ(c,c)Ψ(d,d)).

ϕ bildet tatsächlich nach G() ab: offensichtlich liegen die Blöcke der Bildmatrizen in H, außerdem ist Ψ(a,a)Ψ(d,d)Ψ(b,b)Ψ(c,c)=(det(X)+det(Y)2det(X)det(Y)2Ddet(X)det(Y)2Ddet(X)+det(Y)2)=(1001) mit X=(abcd),Y=(abcd).

Aus der Bijektivität von Ψ folgt, dass auch ϕ bijektiv und mithin ein Isomorphismus ist.

Wegen ϕ(Γ)=G() beweist das die Arithmetizität von Γ.

Arithmetische Untergruppen von SL(n,R)

Alle arithmetischen Untergruppen von SL(n,) kann man mittels Divisionsalgebren, mittels unitärer Gruppen oder mittels einer Kombination dieser beiden Methoden konstruieren.

Divisionsalgebren

Sei eine Körpererweiterung von mit [F:]=d und sei 𝒪 der Ganzheitsring von F. Sei j mit jd und jx=η(x)j für das nichttriviale Element ηGal(F/) und alle xF.

Wir betrachten die Divisionsalgebra D=F+Fj+Fj2++Fjd1 und D=𝒪+𝒪j+𝒪j2++𝒪jd1.

Dann ist SL(n,D) eine arithmetische Untergruppe von SL(dn,).

Unitäre Gruppen

Sei F=[r] mit r und sei ηGal(F/) das nichttriviale Element der Galoisgruppe. Sei AGL(n,F) eine hermitesche Matrix.

Wir betrachten SU(A,η;F)={gSL(n,F):gA(η(g))T=A}.

Dann ist SU(A,η;[r])=SU(A,η;F)SL(n,[r]) eine arithmetische Untergruppe von SL(n,).

Kombination

Sei F=[r] mit r und sei ηGal(F/) das nichttriviale Element. Sei D eine Divisionsalgebra über F, so dass η zu einem Antiautomorphismus von D fortgesetzt werden kann. Sei AGL(n,D) eine hermitesche Matrix, d. h. (η(A))T=A.

Dann ist SU(A,η;D) eine arithmetische Untergruppe von SU(A,η;D).

Q-Rang und R-Rang

Spaltende Tori

Sei GGL(n,) eine algebraische Gruppe. Ein Torus ist eine abgeschlossene, zusammenhängende Untergruppe TG, die (über ) diagonalisierbar ist, das heißt, es gibt einen Basiswechsel BGL(n,), so dass BTB1 aus diagonalisierbaren Matrizen besteht.

Der Torus heißt -spaltend, wenn man BGL(n,) wählen kann. Zum Beispiel ist SO(2) kein -spaltender Torus in SL(2,), die Gruppe der Diagonalmatrizen (mit Determinante 1) aber doch. Der -Rang einer algebraischen Gruppe ist die maximale Dimension eines -spaltenden Torus. Zum Beispiel ist rk(SL(n,))=n1 oder rk(SO(n))=0.

Ein Torus heißt -spaltend, wenn er über definiert ist und man BGL(n,) wählen kann.

Q-Rang

Für eine arithmetische Gruppe ΓG gibt es per Definition eine über definierte zusammenhängende lineare algebraische Gruppe G und einen Isomorphismus ϕ, so dass (modulo kompakter Gruppen) das Bild von Γ zu G()G()0 isomorph ist. Der -Rang von Γ wird definiert als die Dimension eines maximalen -spaltenden Torus in G. (Man beachte, dass rk(Γ) nur von G abhängt, dass aber verschiedene arithmetische Untergruppen Γ1,Γ2G einer Lie-Gruppe G unterschiedlichen -Rang haben können, weil die zu wählenden algebraischen Gruppen G1,G2 sich unterscheiden.)

Beispiele

Man sieht leicht, dass rk(SL(2,)×SL(2,))=rk(SL(2,)×SL(2,))=2. Die arithmetische Untergruppe SL(2,)×SL(2,)SL(2,R)×SL(2,) hat also -Rang 2. Der -Rang der oben besprochenen Hilbertschen Modulgruppe ist hingegen der -Rang der oben konstruierten Gruppe G:={X=(ABCD):A,B,C,DH,det(X)=1}GL(4,). Man kann zeigen, dass {diag(λ,λ,1λ,1λ):λ×} ein maximaler -spaltender Torus in G() ist, mithin rk(Γ)=rk(G())=1.

Geometrische Interpretation

Sei G eine nichtkompakte halbeinfache Lie-Gruppe ohne kompakten Faktor, K eine maximal kompakte Untergruppe und ΓG ein arithmetisches Gitter. Die Killing-Form definiert eine riemannsche Metrik auf G/K, man erhält einen symmetrischen Raum. Der -Rang von G lässt sich interpretieren als die Dimension eines maximalen flachen Unterraumes (d. h. einer einfach zusammenhängenden total-geodätischen Untermannigfaltigkeit mit Schnittkrümmung konstant 0) in G/K.

Der Quotient X=ΓG/K ist ein lokal symmetrischer Raum. Der -Rang von Γ lässt sich interpretieren als die maximale Dimension eines flachen Unterraumes in einer endlichen Überlagerung von X oder als die kleinste Zahl r, so dass ganz X in endlichem Abstand von einer endlichen Vereinigung r-dimensionaler flacher Unterräume ist. Insbesondere ist rk(Γ)=0, falls X kompakt ist.

Charakterisierung arithmetischer Gitter

Satz (Margulis): Ein irreduzibles Gitter ΓG in einer halbeinfachen Lie-Gruppe G ist arithmetisch dann und nur dann, wenn Γ unendlichen Index in seinem Kommensurator hat, also wenn [commG(Γ):Γ]=.

Arithmetizitäts-Satz von Margulis

Satz: Sei G eine halbeinfache Lie-Gruppe ohne kompakten Faktor mit rk(G)2. Dann ist jedes irreduzible Gitter ΓG arithmetisch.

Erläuterungen: Ein Gitter ist eine diskrete Untergruppe ΓG mit vol(ΓG)<, wobei das Volumen bzgl. des Haarmaßes berechnet wird. Ein Gitter heißt irreduzibel, falls es keine Zerlegung G=G1×G2,Γ=Γ1×Γ2 mit Gittern Γ1G1,Γ2G2 gibt.

Margulis bewies diesen Satz als eine Folgerung aus dem von ihm bewiesenen Superstarrheitssatz.[1]

Literatur

  • Lizhen Ji: Arithmetic groups and their generalizations. What, why, and how (= Studies in Advanced Mathematics. Bd. 43). American Mathematical Society, Providence RI 2008, ISBN 978-0-8218-4675-9.
  • Vladimir Platonov, Andrei Rapinchuk: Algebraic Groups and Number Theory (= Pure and Applied Mathematics. Bd. 139). Academic Press, Boston MA u. a. 1994, ISBN 0-12-558180-7, Digitalisat (PDF; 22,46 MB).

Einzelnachweise

  1. Margulis, G.A.: Arithmeticity of the irreducible lattices in the semisimple groups of rank greater than 1. Invent. Math (1984) 76 - 93. doi:10.1007/BF01388494