Pettis-Integral

Aus testwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Pettis-Integral ist ein nach Billy James Pettis benannter Begriff aus dem mathematischen Teilgebiet der Funktionalanalysis. Es handelt sich um ein Integral für Funktionen auf einem Maßraum mit Werten in einem Banachraum. Ist der Banachraum gleich dem eindimensionalen Raum , so erhält man das übliche Integral reellwertiger Funktionen auf dem Maßraum. Das Pettis-Integral verallgemeinert aber nicht nur das Integral reellwertiger Funktionen, sondern auch das Bochner-Integral und das Birkhoff-Integral, welche ebenfalls Integrale Banachraum-wertiger Funktionen sind.

Konstruktion

Wir gehen von einem vollständigen Maßraum (Ω,𝒜,μ) mit einem endlichen, positiven Maß μ aus und wollen für Funktionen f:ΩX mit Werten in einem Banachraum X ein Integral definieren. Für die im Folgenden beschriebene Konstruktion nutzen wir aus, dass φf für jedes φ aus dem Dualraum X eine reellwertige Funktion Ω ist und dass maßtheoretische Begriffe für solche Funktionen bereits definiert sind. Wir nennen f:ΩX schwach-messbar, wenn φf für jedes φX eine messbare Funktion ist. Dagegen nennt man f wie üblich messbar, wenn das Urbild jeder offenen Menge aus 𝒜 ist. Für die Beziehung dieser beiden Messbarkeitsbegriffe siehe den Messbarkeitssatz von Pettis. Schließlich nennen wir f schwach-integrierbar, wenn φf für jedes φX eine integrierbare Funktion ist.

Wir betrachten nun eine schwach-integrierbare Funktion f:ΩX. Für jedes φX ist dann φfL1(Ω,𝒜,μ), wobei letzteres den L1-Raum über dem vorgegebenen Maßraum bezeichne, der nach dem Satz von Fischer-Riesz bzgl. der 1-Norm ein Banachraum ist. Wir erhalten damit einen linearen Operator

Sf:XL1(Ω,𝒜,μ),φφf,

von dem man mittels des Satzes vom abgeschlossenen Graphen zeigen kann, dass er sogar stetig ist. Man kann daher den adjungierten Operator Tf=Sf:L1(Ω,𝒜,μ)X bilden. Identifiziert man den Dualraum von L1 mittels Lp-Dualität wie üblich mit L(Ω,𝒜,μ), so erhält man einen Operator

Tf:L(Ω,𝒜,μ)X,(Tf(g))(φ)=Ωg(t)φ(f(t))dμ(t),gL(Ω,𝒜,μ),φX.

Insbesondere kann man Tf auf charakteristische Funktionen χE:Ω{0,1} für messbare Mengen E𝒜 anwenden. Tf(χE)X nennt man das Dunford-Integral[1], nach Nelson Dunford, oder das Gelfand-Integral[2], nach Israel Gelfand, und schreibt

Efdμ=Ef(t)dμ(t):=Tf(χE).

Stellt man sich ein Integral Efdμ einer Funktion mit Werten in X als μ-Mittelung der f-Werte vor, so wird man erwarten, dass das Integral wieder in X liegt. Im Allgemeinen ist das nicht der Fall. Nun ist aber XX durch die sogenannte kanonische Einbettung, daher definiert man:

Eine schwach-integrierbare Funktion f:ΩX heißt Pettis-integrierbar, falls EfdμX für alle E𝒜, und man nennt Efdμ das Pettis-Integral von f über E.

Beispiele

Reflexive Räume

Ist X reflexiv, so ist X=X und es ist EfdμX für alle E𝒜 und jede schwach-integrierbare Funktion f. Das heißt, dass jede schwach-integrierbare Funktion mit Werten in einem reflexiven Raum Pettis-integrierbar ist.

Birkhoff-Integral

Jede Birkhoff-integrierbare Funktion f:ΩX ist Pettis-integrierbar und das Birkhoff-Integral stimmt mit dem Pettis-Integral überein. Daher ist das Pettis-Integral eine Verallgemeinerung des Birkhoff-Integrals.

Bochner-Integral

Jede Bochner-integrierbare Funktion f:ΩX ist Pettis-integrierbar und das Bochner-Integral stimmt mit dem Pettis-Integral überein. Deshalb ist das Pettis-Integral auch eine Verallgemeinerung des Bochner-Integrals. Es gilt

Bochner-integrierbar     Birkhoff-integrierbar     Pettis-integrierbar     schwach-integrierbar.

Pettis-integrierbar aber nicht Bochner-integrierbar

Als Maßraum betrachten wir das Einheitsintervall [0,1] mit dem Lebesgue-Maß dt auf der σ-Algebra der Lebesgue-messbaren Mengen und als Banachraum den Folgenraum X=c0 der reellen Nullfolgen. Es sei In das halboffene Intervall (1n+1,1n][0,1] und

f:[0,1]c0,f(t):=(nχIn(t))n.

Jedes f(t) ist tatsächlich eine Nullfolge. Das ist klar für t=0, denn es ist f(0)=(0,0,0,) und für t>0 gibt es genau ein n mit tIn und daher ist f(t)=(0,0,,n,0,0,). Diese Funktion ist Pettis-integrierbar aber nicht Bochner-integrierbar. Zur Verdeutlichung obiger Konstruktionen führen wir die erforderlichen Rechnungen aus und beginnen mit der schwachen Integrierbarkeit.

Für jedes φ=(vn)n1=c0 ist nach Definition der Dualität c0=1

(φf)(t)=n=1vnnχIn(t)

und daher

[0,1]|(φf)(t)|dtn=1|vn|n[0,1]χIn(t)dt=n=1|vn|n1n(n+1)=n=1|vn|1n+1<,

denn das Intervall In hat die Länge 1n(n+1). Also ist f schwach-integrierbar.

Zur Bestimmung der Gelfand-Integrale betrachte gL([0,1]). Bezeichnen wir die L1-L-Dualität mit spitzen Klammern, so ist für φ=(vn)n1=c0

Tf(g),φ=g,Sf(φ)=g,φf=[0,1]g(t)(φf)(t)dt=[0,1]g(t)n=1vnnχIn(t)dt
=n=1vnn[0,1]g(t)χIn(t)dt=n=1vnnIng(t)dt=(nIng(t)dt)n,(vn)n=(nIng(t)dt)n,φ

und man liest ab

Tf(g)=(nIng(t)dt)nN=c0.

Tatsächlich liegt diese Folge aber bereits in c0, denn

|nIng(t)dt|gnIndt=g1n+10.

Daher ist f Pettis-integrierbar. f ist aber nicht Bochner-integrierbar, denn

tf(t)=(nχIn(t)=n=1nχIn(t)

ist nicht integrierbar.[3]

Schwach-integrierbar aber nicht Pettis-integrierbar

Zur Konstruktion einer schwach-integrierbaren Funktion, die nicht Pettis-integrierbar ist, wandeln wir obiges Beispiel leicht ab. Wieder betrachten wir den Maßraum [0,1] mit dem Lebesgue-Maß und den Banachraum c0. Die gesuchte Funktion ist

f:[0,1]c0,f(t):=(n(n+1)χIn(t))n.

Für jedes φ=(vn)n1=c0 ist

(φf)(t)=n=1vnn(n+1)χIn(t)

und daher

[0,1]|(φf)(t)|dtn=1|vn|n(n+1)[0,1]χIn(t)dt=n=1|vn|n(n+1)1n(n+1)=n=1|vn|<.

Also ist f schwach-integrierbar.

Ist eL([0,1]) die konstante Funktion mit Wert 1, so ist für jedes φ=(vn)n1=c0

Tf(e),φ=e,Sf(φ)=e,φf=[0,1]e(t)(φf)(t)dt=[0,1](φf)(t)dt
=[0,1]n=1vnn(n+1)χIn(t)dt=n=1vnn(n+1)Indt=n=1vn=(1,1,1,),φ.

Also ist [0,1]f(t)dt=Tf(e)=(1,1,1,)=c0 und das ist nicht aus c0. Daher ist f nicht Pettis-integrierbar.[4]

Eigenschaften

Schwache Kompaktheit

Ist mit obigen Bezeichnungen f:ΩX Pettis-integrierbar, so ist der zugehörige Operator Tf:L(Ω,𝒜,μ)X schwach-kompakt.

Operatoren

Es seien (Ω,𝒜,μ) ein endlicher, vollständiger Maßraum, X eine Banachraum und f:ΩX Pettis-integrierbar. Ist A:XY ein stetiger, linearer Operator zwischen Banachräumen, so ist auch Af:ΩY Pettis-integrierbar und es gilt

EAfdμ=A(Efdμ) für jede messbare Menge EΩ.[5]

Vektorraum der Pettis-integrierbaren Funktionen

Leicht zeigt man, dass Summen und skalare Vielfache Pettis-integrierbarer Funktionen wieder Pettis-integrierbar sind und dass sich das Integral linear verhält, das heißt

Ω(αf+g)dμ=αΩfdμ+Ωgdμ

für Pettis-integrierbare Funktionen f,g:ΩX und α.

Die messbaren, Pettis-integrierbaren Funktionen ΩX bilden daher einen Vektorraum P(1)(Ω,𝒜,μ,X). Die Menge der Funktionen, die μ-fast-überall den Wert 0X annehmen, bilden einen Untervektorraum, und den Quotientenraum nach diesem Unterraum bezeichnet man mit P1(Ω,𝒜,μ,X). In der maßtheoretisch üblichen Sichtweise ist das der Raum der messbaren, Pettis-integrierbaren Funktionen, wobei μ-fast-überall gleiche Funktionen identifiziert werden.

Die 1-Norm für Pettis-integrierbare Funktionen

Ist mit obigen Bezeichnungen f:ΩX messbar und Pettis-integrierbar, so ist

|f|1:=sup{Ω|φf|dμ;φX,φ1}=sup{Tf(g);gL(Ω,𝒜,μ),g1}

endlich. ||1 ist eine Halbnorm auf P(1)(Ω,𝒜,μ,X) und eine Norm auf P1(Ω,𝒜,μ,X). Dieser normierte Raum ist in der Regel nicht vollständig, die Vervollständigung sei P1(Ω,𝒜,μ,X).

Injektives Tensorprodukt

Es seien wieder (Ω,𝒜,μ) ein endlicher, vollständiger Maßraum und X ein Banachraum. Dann ist

L1(Ω,𝒜,μ)×XP1(Ω,𝒜,μ,X),(f,x)f()x

eine bilineare Abbildung, und es gilt

Ωf()xdμ=(Ωfdμ)xX.

Diese bilineare Abbildung definiert eine lineare Abbildung auf dem Tensorprodukt

L1(Ω,𝒜,μ)XP1(Ω,𝒜,μ,X).

Vervollständigt man dieses Tensorprodukt zum injektiven Tensorprodukt, so erhält man einen isometrischen Isomorphismus

L1(Ω,𝒜,μ)^εXP1(Ω,𝒜,μ,X).[6]

Einzelnachweise

  1. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Kapitel 3.3: The Dual Space of L1(μ)^εX and the Pettis Integral.
  2. Joseph Diestel: Geometry of Banach Spaces – Selected Topics, Lecture Notes in Mathematics 485, Springer-Verlag (1975), ISBN 3-540-07402-3, Kapitel 6, §1, Theorem 3
  3. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Seite 53
  4. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Seite 52
  5. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Satz 3.7
  6. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Satz 3.13