Semidirektes Produkt

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In der Gruppentheorie, einem Teilgebiet der Mathematik, stellt das semidirekte Produkt (auch halbdirektes Produkt oder verschränktes Produkt) eine spezielle Methode dar, mit der aus zwei gegebenen Gruppen eine neue Gruppe konstruiert werden kann. Diese Konstruktion verallgemeinert das Konzept des direkten Produkts von Gruppen und ist selbst ein Spezialfall des Konzepts der Gruppenerweiterung zweier Gruppen.

Ist umgekehrt eine Gruppe mit zwei Untergruppen vorgegeben, so lässt sich an den Eigenschaften der letzteren erkennen, ob sie deren semidirektes Produkt ist.

Äußeres semidirektes Produkt

Definition

Gegeben seien zwei Gruppen N und H, sowie ein Homomorphismus θ:HAut(N) der Gruppe H in die Gruppe der Automorphismen von N.

Das kartesische Produkt G=N×H der Mengen N und H ist die Menge aller Paare (n,h) mit nN und hH. Es bildet mit der Verknüpfung der Paare

(n1,h1)(n2,h2):=(n1θ(h1)(n2),h1h2)           (A)

eine Gruppe.

Beweis  

Die Ersetzungsregel

(n1,h1)(n3,h3)(n1θ(h1)(n3),h1h3)

schafft die rechte Komponente des ersten Operanden beim Ergebnis in die rechte Komponente sowie die linke Komponente des zweiten Operanden in die linke.

In der Tat erfüllt die mit dieser Verknüpfung ausgestattete Menge N×H die Gruppenaxiome. Mit (n,h):=(θ(h1)(n1),h1) ist das Inverse gefunden, denn

(n,h)(n,h)=(n,h)(θ(h1)(n1),h1)=(nθ(h)[θ(h1)(n1)],hh1)=(n[θ(h)θ(h1)](n1),hh1)=(nθ(1H)(n1),1H)=(nidAut(N)(n1),1H)=(nn1,1H)=(1N,1H)

Das Assoziativgesetz ergibt sich wie folgt:

((n1,h1)(n2,h2))(n3,h3)=(n1θ(h1)(n2),h1h2)(n3,h3)=(n1θ(h1)(n2)θ(h1h2)(n3),h1h2h3)=(n1θ(h1)(n2)θ(h1)θ(h2)(n3),h1h2h3)=(n1θ(h1)(n2)θ(h1)[θ(h2)(n3)],h1h2h3)=(n1θ(h1)[n2θ(h2)(n3)],h1h2h3)=(n1,h1)(n2θ(h2)(n3),h2h3)=(n1,h1)((n2,h2)(n3,h3))

Diese Gruppe wird (externes) semidirektes Produkt von N und H (mittels θ) genannt und als NθH notiert, da der (vermittelnde) Homomorphismus θ die Struktur dieser Gruppe wesentlich mitbestimmt. Beispielsweise erhält man das direkte Produkt N×H, wenn man θ trivial wählt, also θ(h):=idNAut(N) für alle hH.

Anders als beim direkten Produkt spielen in dieser Definition die beiden konstituierenden Faktoren unterschiedliche Rollen beim Aufbau des Produkts. Durch θ operiert die Gruppe H auf N, nicht umgekehrt. Genauer: Die Regel (A) macht mit einem θ:HAut(N) den Faktor N zum Normalteiler. Gibt es verschiedene Homomorphismen θ, dann sind bei gleichen Faktoren normalerweise die semidirekten Produkte verschieden (d. h. nicht isomorph).

Während beim direkten Produkt beim Vertauschen der Faktoren zwar nicht dieselbe, aber eine isomorphe Struktur entsteht, fehlt beim Vertauschen im semidirekten Produkt die Gruppenoperation von N auf H. Aus ähnlichen Gründen ist eine Erweiterung auf mehr als zwei Faktoren kaum sinnvoll und in der Literatur nicht üblich. Pointiert, wenn auch ungenau formuliert: Das semidirekte Produkt ist assoziativ, aber nicht kommutativ.

Eigenschaften

  1. Das direkte Produkt N×H, das sich zu beliebigen Gruppen N und H konstruieren lässt, ist ein semidirektes Produkt mit trivialem θ.
  2. Ist aus zwei beliebigen Gruppen N und H und einem θ:HAut(N) das äußere semidirekte Produkt G:=NθH gebildet worden, dann enthält die Gruppe G mit N:=N×{1H} einen zu N isomorphen Normalteiler und mit H:={1N}×H eine zu H isomorphe Untergruppe und kann als inneres semidirektes Produkt von N und H aufgefasst werden.
  3. Die Gruppe NθH ist genau dann abelsch, wenn N und H abelsch sind und θ trivial ist.

Inneres semidirektes Produkt

Gegeben sei eine Gruppe G, ein Normalteiler NG und eine Untergruppe H<G, dann sind die folgenden Bedingungen äquivalent:

Definition

Ist eine dieser Bedingungen erfüllt, dann ist G das (interne) semidirekte Produkt von N und H, in Zeichen

NH.

Die Komponenten N und H spielen unterschiedliche Rollen und sind im Allgemeinen nicht vertauschbar. Der Normalteiler steht immer auf der offenen Seite des Zeichens , meist wird er zuerst notiert.

Vorlage:AnkerZerfallende kurze exakte Sequenz (Splitting-Lemma)

Die letzten beiden der obigen Bedingungen sind andere Formulierungen des Zerfällungs-Lemmas:

1N u G v H1
sowie einen Homomorphismus r:HG, so dass vr=idH die Identität auf H ist. Man sagt: die exakte Sequenz zerfällt oder G zerfällt in der kurzen exakten Sequenz oder G zerfällt über N.

Der das semidirekte Produkt NθH vermittelnde Homomorphismus θ:HAut(N) ist

θ(h)(n)=u1(r(h)u(n)r(h1)).

Wegen der Normalteilereigenschaft von u(N) ist n:=gu(n)g1u(N) für alle gG, so dass u1(n) stets definiert ist.

Das Lemma ist ein Kriterium für Semidirektheit sowohl im internen wie im externen Fall, bei dem N und H nicht Untergruppen sind.

Beispiele

  • In der Liste kleiner Gruppen ist als nicht-kommutative Gruppe der Ordnung 16 das semidirekte Produkt C4C4 ohne Angabe eines vermittelnden Homomorphismus θ aufgeführt. Nun besteht die Automorphismengruppe Aut(C4)={aαa|α{1,3}} aus 2 Elementen, die den primen Restklassen in C4 entsprechen. Das triviale θ(a)=1a mit a{0,1,2,3} vermittelt als semidirektes Produkt die kommutative Gruppe C4×C4. Das nicht-kommutative semidirekte Produkt wird von θ(a)=3a vermittelt. Es bestehen dann folgende Formeln, wobei alle Angaben in /4, d. h. modulo 4, zu verstehen sind:
(a,b)(c,d)=(a+3bc,b+d),a,b,c,d{0,1,2,3}
(0,0)   ist das neutrale Element.
(a,b)1=(3ba,b),a,b{0,1,2,3}.
Insbesondere ist (a,1)(b,1)=(a+3b,2), woran man erkennt, dass die Gruppe nicht kommutativ ist.
  • Es gibt 4 (nicht-isomorphe) Gruppen, die semidirektes Produkt der zyklischen Gruppen C8=/8 und C2=/2 sind. Diese semidirekten Produkte entsprechen den 4 Automorphismen des Restklassenrings /8, die wiederum den primen Restklassen 1,3,5,7(/8)× entsprechen.
  1. Das direkte Produkt C8×C2 (α=1)
  2. Die Quasi-Diedergruppe der Ordnung 16 (α=3)
  3. Die nicht-hamiltonsche, nichtabelsche Gruppe der Ordnung 16 (engl. Iwasawa-Gruppe) (α=5)
  4. Die Diedergruppe der Ordnung 16 (α=7)
  • Die Gruppe der Automorphismen Aut(𝔤) einer komplexen oder reellen einfachen Lie-Algebra 𝔤 ist das semidirekte Produkt der Gruppe der inneren Automorphismen Inn(𝔤)=Aut(𝔤)0 mit der Gruppe der „äußeren Automorphismen“ Out(𝔤)=Aut(𝔤)/Aut(𝔤)0, das heißt die folgende kurze exakte Sequenz zerfällt: 1Aut(𝔤)0Aut(𝔤)Aut(𝔤)/Aut(𝔤)01.[1]

Theorie endlicher Gruppen

  • Die Diedergruppe Dn, also die Symmetriegruppe eines ebenen regelmäßigen Vorlage:Nowrap ist isomorph zum semidirekten Produkt der zyklischen Drehsymmetriegruppe NCn (die durch eine zyklische Vertauschung der Ecken des Vielecks beschrieben werden kann) mit einer zweielementigen zyklischen Gruppe H=σC2. Das Element σ operiert dabei durch
θ(σ):NN;gg1
auf N, d. h. die Konjugation mit σ entspricht der Inversenbildung in N. Das Element σ kann als Spiegelung des Vielecks an einer seiner Symmetrieachsen aufgefasst werden.
  • Für n>1 ist die Symmetrische Gruppe Sn isomorph zu einem semidirekten Produkt ihres Normalteilers N=An (der alternierenden Gruppe) und einer zweielementigen zyklischen Gruppe H=τ(jk)C2. Das Element τ=τ(jk) operiert auf N, indem in der Permutationsdarstellung von αN=An die Zahlen j und k vertauscht werden (1j<kn). Als inneres semidirektes Produkt aufgefasst: Für n>1 ist die Symmetrische Gruppe Sn ein semidirektes Produkt ihres Normalteiler An mit ihrer durch eine beliebige Transposition τSn erzeugten Untergruppe τ.
  • Der Satz von Schur-Zassenhaus ist ein Kriterium, wann man eine endliche Gruppe als ein semidirektes Produkt schreiben kann.

Der Holomorph einer Gruppe

Verwendet man speziell den Homomorphismus θ:=idAut(G):Aut(G)Aut(G) als vermittelnden, so erhält man als semidirektes Produkt GθAut(G) den Holomorph von G.

Anwendungsbeispiele in Transformationsgruppen

Wichtige Beispiele semidirekter Produkte sind:

Euklidische Gruppe

Ein Beispiel ist die euklidische Gruppe E(n)=nO(n). Jede orthogonale Matrix RO(n) beschreibt einen Automorphismus im Raum der Translationen Tn durch

θ(R):nnTRT.

Eine Bewegung (T,R)E(n) operiert auf Punkten pn durch (T,R)[p]:=T+Rp und es gilt

(T1,R1)[(T2,R2)[p]]=T1+R1(T2+R2p)=(T1+R1T2,R1R2)[p].

Somit gilt für Produkte in E(n):

(T1,R1)(T2,R2)=(T1+θ(R1)[T2],R1R2) .

Dieses Produkt ist nicht abelsch, denn es gilt für R𝟏 und T𝟎:

(T,𝟏)(𝟎,R)=(T,R)(𝟎,R)(T,𝟏)=(RT,R)

Poincaré-Gruppe

Die Poincaré-Gruppe ist das semidirekte Produkt der Gruppe der Translationen N=3+1 und der Gruppe der Lorentztransformationen H=O(3,1). Das Element Ta aus N bezeichne eine Verschiebung mit dem Vektor Vorlage:Nowrap Der Homomorphismus θ ist dann durch θ(L)(Ta)=TLa für jede Lorentztransformation L und jeden Vektor a gegeben. Die Poincaré-Gruppe ist besonders wichtig für die spezielle Relativitätstheorie, wo sie als Invarianzgruppe auftaucht.

Siehe auch

Literatur

  • Thomas W. Hungerford: Algebra. 5. Springer-Verlag, 1989, ISBN 0-387-90518-9

Einzelnachweise