Orthoptische Kurve

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Die orthoptische Kurve (Vorlage:ElS) einer ebenen Kurve k ist in der Mathematik der geometrische Ort aller Schnittpunkte orthogonaler Tangenten der Kurve k.

Parabel mit orthoptischer Kurve (lila Gerade).
Ellipse mit orthoptischer Kurve (lila Kreis)
Hyperbel mit orthoptischer Kurve (lila Kreis)

Beispiele: Die orthoptische Kurve

  1. einer Parabel ist ihre Leitlinie (Beweis: siehe unten),
  2. einer Ellipse x2a2+y2b2=1 ist der Kreis x2+y2=a2+b2 (s. unten),
  3. einer Hyperbel x2a2y2b2=1,a>b, ist der Kreis x2+y2=a2b2 (im Fall ab gibt es keine orthogonalen Tangenten, s. unten),
  4. einer Astroide x2/3+y2/3=1 ist die 4-blättrige Rosette (Quadrifolium)[1] mit der Gleichung (in Polarkoordinaten)
    r=12cos(2φ), 0φ<2π, (siehe unten).

Verallgemeinerungen:

  1. Eine isoptische Kurve einer ebenen Kurve k ist der geometrische Ort aller Schnittpunkte von Tangenten der Kurve k, die sich unter einem festen Winkel schneiden (s. unten).
  2. Eine isoptische Kurve zweier ebener Kurven k1,k2 ist der geometrische Ort aller Schnittpunkte von Tangenten der Kurven k1,k2, die sich unter einem festen Winkel schneiden.
  3. Der Thaleskreis über einer Strecke P1P2 lässt sich als orthoptische Kurve von zwei zu den Punkten P1,P2 degenerierten Kreisen auffassen.

Bemerkung: In der Augenheilkunde gibt es die ähnlich lautenden Begriffe Orthoptik und Orthoptistin.

Orthoptische Kurve einer Parabel

Eine beliebige Parabel lässt sich durch eine geeignete Verschiebung und Drehung in einem kartesischen Koordinatensystem durch eine Gleichung y=ax2 beschreiben. Die Steigung in einem Parabelpunkt (x,ax2) ist m=2ax. Ersetzt man in (x,ax2) die Variable x durch x=m2a, so erhält man eine Parameterdarstellung der Parabel mit der Steigung als Parameter:  (m2a,m24a). Die Tangente in einem Parabelpunkt hat die Gleichung y=mx+n mit dem noch unbekannten y-Abschnitt n, der durch Einsetzen der Koordinaten des Parabelpunktes bestimmt werden kann. Man erhält  y=mxm24a. Für einen beliebigen Punkt (x,y)=(x0,y0) einer solchen Tangente gilt also für die Steigung m die quadratische Gleichung

y0=mx0m24a  m24ax0m+4ay0=0,

deren Lösungen m1,m2 die Steigungen der beiden Tangenten durch (x0,y0) sind. Das Absolutglied dieser Gleichung ist nach dem Satz von Vieta dem Produkt ihrer Lösungen gleich, das wegen der vorausgesetzten Orthogonalität der Tangenten gleich −1 sein muss:

m1m2=4ay0=1

Die letzte Gleichung ist zu

y0=14a

äquivalent. Sie ist die Gleichung der Leitlinie der Parabel.

Orthoptische Kurve einer Ellipse bzw. Hyperbel

Ellipse

Sei E:x2a2+y2b2=1 die betrachtete Ellipse.

(1) Die senkrechten Tangenten an E durch die Hauptscheitel (±a,0) schneiden die waagrechten Tangenten durch die Nebenscheitel (0,±b) in den Punkten (±a,±b). Diese vier Schnittpunkte liegen auf einem Kreis um den Koordinatenursprung mit Radius a2+b2.

(2) Bis auf die Hauptscheitel ist jeder Punkt (u,v) der Ellipse E Berührpunkt einer Tangente mit der Hauptform y=mx+n. Auflösen der Tangentengleichung ua2x+vb2y=1 (s. Ellipse) nach y ergibt

m=b2ua2v und n=b2v.

Wegen Punktsymmetrie zum Koordinatenursprung existieren zu jeder Steigung m zwei parallele Tangenten t1,2, deren Hauptformen sich genau im Vorzeichen von n unterscheiden. Für je ein Paar t1,2 ist n2 nur von m abhängig, und die Lage von (u,v) auf der Ellipse ermöglicht eine koordinatenfreie Darstellung:

n21=b4v2(u2a2+v2b2)=(±b2uav)2+b2=m2a2+b2

Das ergibt für die allgemeine Hauptform einer nicht senkrechten Tangente an E:

y=mx±m2a2+b2

Für einen beliebigen Punkt (x,y)=(x0,y0) einer solchen Tangente ergibt Auflösen der Funktionsgleichung nach m die quadratische Gleichung

m22x0y0x02a2m+y02b2x02a2=0,

deren Lösungen m1,m2 die Steigungen der beiden Tangenten durch (x0,y0) sind. Das Absolutglied dieser Gleichung ist nach dem Satz von Vieta dem Produkt ihrer Lösungen gleich. Bis auf die in (1) betrachteten schneiden sich zwei Tangenten mit dem Steigungsprodukt orthogonaler Geraden in (x0,y0) genau dann orthogonal, wenn

y02b2x02a2=m1m2=1

oder äquivalent

x02+y02=a2+b2.

(3) Mit (1) und (2) gilt allgemein:

  • Die Schnittpunkte orthogonaler Tangenten liegen auf einem Kreis um den Ursprung mit Radius a2+b2; dieser ist die orthoptische Kurve der Ellipse E. Äquivalent:
  • Von einem beliebigen Punkt des orthoptischen Kreises aus erscheint die Ellipse unter einem Öffnungswinkel von 90.

Hyperbel

Der Ellipsenfall lässt sich für den Hyperbelfall fast wörtlich übernehmen. Die einzigen notwendigen Änderungen sind: 1) man ersetze b2 durch b2 und 2) schränke m durch |m|>b/a ein. Damit erhält man:

  • Die Schnittpunkte orthogonaler Tangenten liegen auf einem festen Kreis mit Radius a2b2. Dabei muss a>b sein.

Orthoptische Kurve einer Astroide

Orthoptische Kurve (lila) einer Astroide

Eine Astroide lässt sich durch die Parameterdarstellung

c(t)=(cos3t,sin3t),0t<2π

beschreiben. Mit Hilfe der Bedingung c˙(t)c˙(t+α)=0 stellt man fest, in welchem Abstand α (im Parameterbereich) sich eine zu c˙(t) orthogonale Tangente befindet. Unabhängig vom Parameter t ergibt sich, dass α=±π2 gilt. Die Gleichungen der (orthogonalen) Tangenten in den Punkten c(t) und c(t+π2) sind:

y=tant(xcos3t)+sin3t
y=1tant(x+sin3t)+cos3t

Ihr Schnittpunkt hat die Koordinaten:

x=sintcost(sintcost)
y=sintcost(sint+cost)

Dies ist zugleich eine Parameterdarstellung der zugehörigen orthoptischen Kurve. Eliminiert man den Parameter t, so ergibt sich die implizite Darstellung

2(x2+y2)3(x2y2)2=0.

Führt man den neuen Parameter φ=t54π ein, so ergibt sich (Beweis: Additionstheoreme):

x=12cos(2φ)cosφ
y=12cos(2φ)sinφ

Hieran lässt sich die einfache Polardarstellung

r=12cos(2φ), 0φ<2π

ablesen.

  • Die orthoptische Kurve einer Astroide ist ein Vierblatt (Quadrifolium).

Isoptische Kurven von Parabel, Ellipse und Hyperbel

Isoptische Kurven (lila) einer Parabel für die Winkel 80 bzw. 100 Grad
Isoptische Kurven (lila) einer Ellipse für die Winkel 80 und 100 Grad
Isoptische Kurven (lila) einer Hyperbel für die Winkel 80 und 100 Grad

Im Folgenden werden die isoptischen Kurven zu einem Schnittwinkel α90 angegeben und als α-isoptische Kurven bezeichnet. Zu den Beweisen s. unten.

Gleichungen der isoptischen Kurven

Parabel

Die α-isoptischen Kurven der Parabel mit der Gleichung y=ax2 sind die Äste der Hyperbel

x2tan2α(y+14a)2ya=0.

Die beiden Äste der Hyperbel liefern die isoptischen Kurven für die beiden Winkel α,180α (s. Bild).

Ellipse

Die α-isoptischen Kurven der Ellipse mit der Gleichung x2a2+y2b2=1 sind Teile der Kurve 4. Grades

tan2α(x2+y2a2b2)2=4(a2y2+b2x2a2b2) (s. Bild).
Hyperbel

Die α-isoptischen Kurven der Hyperbel mit der Gleichung x2a2y2b2=1 sind Teile der Kurve 4. Grades

tan2α(x2+y2a2+b2)2=4(a2y2b2x2+a2b2).

Die isoptischen Kurven von Ellipse und Hyperbel sind spirische Kurven.

Beweise

Parabel

Eine Parabel y=ax2 lässt sich durch die Tangentensteigung m=2ax parametrisieren:

c(m)=(m2a,m24a),m

Die Tangente mit der Steigung m hat die Gleichung

y=mxm24a.

Ein Punkt (x0,y0) liegt auf der Tangente, wenn

y0=mx0m24a

gilt, das heißt, die Steigungen m1,m2 der beiden Tangenten durch (x0,y0) erfüllen die quadratische Gleichung

m24ax0m+4ay0=0.

Damit der Schnittwinkel der beiden Tangenten α oder 180α ist, muss

tan2α=(m1m21+m1m2)2

gelten. Löst man die quadratische Gleichung für m, setzt die beiden Lösungen m1,m2 in die letzte Gleichung ein, ergibt sich nach Beseitigung der Nenner, die x0,y0 enthalten, die Gleichung

x02tan2α(y0+14a)2y0a=0.

Dies ist die obige Hyperbelgleichung, deren Äste die beiden isoptischen Kurven der Parabel zu den Winkeln α und 180α sind.

Ellipse

Für eine Ellipse x2a2+y2b2=1 kann man den Ansatz für die orthoptische Kurve bis zur quadratischen Gleichung

m22x0y0x02a2m+y02b2x02a2=0

übernehmen. Hier muss man, wie im Parabelfall, die quadratische Gleichung lösen, die Lösungen m1,m2 in die Gleichung tan2α=(m1m21+m1m2)2 einsetzen und die Nenner beseitigen. Es ergibt sich die behauptete Gleichung 4. Grades:

tan2α(x02+y02a2b2)2=4(a2y02+b2x02a2b2)
Hyperbel

Die Lösung für den Hyperbelfall ergibt sich aus dem Ellipsenfall durch die Ersetzung von b2 durch b2 (wie bei den orthoptischen Kurven, siehe oben).

Bemerkung: Zur Visualisierung der Kurven siehe implizite Kurve.

Literatur

  • Boris Odehnal: Equioptic Curves of Conic Sections. In: Journal for Geometry and Graphics. Band 14, 2010, Nr. 1, S. 29–43.
  • Hermann Schaal: Lineare Algebra und Analytische Geometrie. Band III, Vieweg, 1977, ISBN 3-528-03058-5, S. 220.
  • Jacob Steiner’s Vorlesungen über synthetische Geometrie. B. G. Teubner, Leipzig 1867 (Google Books), 2. Teil, S. 186.
  • Maurizio Ternullo: Two new sets of ellipse related concyclic points. In: Journal of Geometry. 2009, 94, S. 159–173.
  • Thierry Dana-Picard, Nurit Zehavi, Giora Mann: From conic intersections to toric intersections: The case of the isoptic curves of an ellipse. In: The Mathematics Enthusiast. Band 9, Artikel 4 (PDF; 1,6 MB).

Einzelnachweise

  1. Quadrifolium in der englischsprachigen Wikipedia.