Buch der Lemmata

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Propositio I im Liber Assumptorum (1661)
Die erste Seite des Book of Lemmas in The Works of Archimedes (1897).

Das Buch der Lemmata (auch Buch der Hilfssätze) ist eine Sammlung von 15 Aussagen über die Geometrie von Kreisen. Sie wird dem antiken griechischen Mathematiker Archimedes zugeschrieben; seine Urheberschaft ist allerdings fraglich.

Geschichte

Der syrische Mathematiker Thabit ibn Qurra hat das Manuskript im 9. Jahrhundert aus dem Griechischen ins Arabische (Titel: K. al-Ma'hūdāt fī usūl al-handasa) übersetzt und es Archimedes zugeschrieben; aus dem 10. Jahrhundert ist ein Kommentar von Alī ibn Ahmad al-Nasawī überliefert.[1] Im Jahre 1661 wurde der Text von Abraham Ecchellensis ins Lateinische übertragen und von Giovanni A. Borelli als Archimedis Liber Assumptorum in seinem Werk Apollonii Pergaei Conicorum lib. V, VI, VII herausgegeben.[2] Der englische Mathematikhistoriker Thomas L. Heath wiederum erstellte eine englische Fassung des Liber Assumptorum und nahm diese 1897 unter dem Titel Book of Lemmas in seinen Sammelband The Works of Archimedes auf.[3] Dieser Band wurde – ergänzt u. a. um einen Beitrag des dänischen Mathematikhistorikers Johan Ludvig Heiberg über die Methoden Archimedes' – 1914 von Fritz Kliem ins Deutsche übersetzt (Archimedes' Werke);[4] das Kapitel Book of Lemmas heißt hier Buch der Hilfssätze.[5]

Siebzehn Aussagen, einzeln mit „Propositio“ bezeichnet, enthält das Liber Assumptorum (obwohl in der Einleitung „sechzehn Sätze“ angekündigt sind)[6][7]. Davon sind fünfzehn im Book of Lemmas mit der Benennung „Proposition“ und in der deutschen Übersetzung Kliems im Buch der Hilfssätze mit der Bezeichnung „Satz“ enthalten.[5] Auf Griechisch ist das Werk nicht überliefert.[1]

Autorschaft

Die Autorschaft Archimedes’ ist nicht gesichert. Zweifel erregen insbesondere Passagen des Textes, in denen auf Archimedes in der dritten Person Bezug genommen wird. In Satz 4 ist beispielsweise die Rede von einer Figur (gemeint ist der Arbelos), die „ein von Archimedes sogenannter Άρβυλος“[8] genannt wird („quam vocat Archimedes ARBELON“[9] bzw. „what Archimedes called an Άρβυλος“)[10].

Vorlage:Absatz Zur Frage der Autorschaft Archimedes’ führt Heath aus (rechts daneben die Übersetzung Kliems):

Vorlage:Zitat
Vorlage:Zitat

Vorlage:Absatz

Zusammengefasst bedeutet dies, dass zumindest der Arbelos (das oben erwähnte „Schuster-Messer“), das Salinon (das „Salzfaß“) und die in Proposition 8 dargelegte Methode der Dreiteilung des Winkels mit hoher Wahrscheinlichkeit Archimedes zugeschrieben werden können.

Hilfssätze aus dem Buch (Auswahl)

Die 15 Abschnitte des Textes enthalten Aussagen über Kreise, zu ihren Durchmessern und Radien, zu Sekanten und Tangenten und zu den Verhältnissen dieser Elemente untereinander, sowie die zugehörigen Beweise. Sie sind in der lateinischen Fassung alle, in der englischen und deutschen Fassung mit Ausnahme von Satz 7 illustriert.

Die Aussagen beziehen sich unter anderem auf folgende Themen der Geometrie und Stereometrie:

Berührende Kreise

Formulierung

Berührende Kreise, Punkte A,D und F liegen auf einer gemeinsamen Geraden

Gegeben seien ein Kreis k1 mit dem Mittelpunkt M und ein Kreis k2 mit dem Mittelpunkt C, die sich im Punkt A berühren. Der Durchmesser EF von k1 und der Durchmesser BD von k2 seien parallel zueinander.

Dann liegen die Punkte A, D und F auf einer gemeinsamen Geraden.[11]

Herleitung

Der Beweis verwendet Seitenverhältnisse bei ähnlichen Dreiecken (siehe abgebildete Planfigur).

Die Strecke [DH] sei parallel zu der Strecke [CM]. Somit ist das Viereck MHDC ein Parallelogramm.

Da außerdem AM und FM Radius von k1 und AC und CD Radius von k2 ist, gilt AM=FM und MH=CD=AC.

Nach dem Strahlensatz gilt: AMFM=DHFH. Also sind ACD und DHF ähnliche gleichschenklige Dreiecke.

Es seien α, bzw. β, bzw. γ die Winkelweiten von ADC, bzw. DFH, bzw. CDF. Dann gilt: α=β.

Durch Addition von γ auf beiden Seiten dieser Gleichung erhält man: β+γ=α+γ = 180°.

Damit ist bewiesen, dass die Punkte A, D und F auf einer gemeinsamen Geraden liegen.[12]

Halbkreise

Formulierung

Halbkreise, DF=FE

Gegeben sei ein Punkt D auf einem Halbkreis mit dem Durchmesser AB, dessen Tangenten in den Punkten B und D sich im Punkt T schneiden. E sei der Fußpunkt des Lotes von D auf AB und F der Schnittpunkt dieses Lotes mit der Strecke AT.

Dann ist F der Mittelpunkt von DE.[13]

Herleitung

Der Schnittpunkt der Verlängerungen von AD und BT über D, bzw. T hinaus sei H. Nach dem Satz des Thales sind die Winkel ADB und damit auch BDH jeweils rechte Winkel. Da somit D auf dem Thaleskreis über BH mit dem Mittelpunkt T liegt, gilt BT=TD und BT=TH. Da wegen der Parallelität von DE und BH die Dreiecke AED und ABH ähnlich zueinander sind und T der Mittelpunkt von BH ist, gilt auch, dass F der Mittelpunkt von DE ist.[14]

Arbelos und Salinon

Vorlage:Hauptartikel Vorlage:Hauptartikel Im Besonderen werden die beiden komplexeren, jeweils aus mehreren Halbkreisen bestehenden geometrischen Figuren Arbelos und Salinon eingeführt: Der Arbelos selbst in Satz 4,[15] die Zwillingskreise des Archimedes in Satz 5,[16] der Inkreis des Arbelos (der wiederum in Beziehung zur Pappos-Kette steht, wie Kliem in einer Fußnote anmerkt)[17] in Satz 6.[18]

Quadrat, umschreibender und einbeschreibender Kreis

Formulierung

Quadrat mit Um- und Inkreis, Aku:Aki=AQAB:AQCD=2:1

Wird ein Kreis einem Quadrat umschrieben und ein anderer einbeschrieben, so ist der umschriebene Kreis das Doppelte des einbeschriebenen.[19][20]

Herleitung

Das Verhältnis des Umkreises (umschreibender Kreis) zum Inkreis (einbeschreibender Kreis) ist gleich dem Quadrat über der Diagonale AB zu dem Quadrat mit der Seitenlänge CD, d. h. deren Flächen verhalten sich wie 2:1.[19]

Beispiel

Sei ein Quadrat mit der Seitenlänge gleich 2, dann hat der Umkreis ku mit Radius gleich 2 den Flächeninhalt (Flächeneinheit =[FE])

Aku=22π=2π[FE]

und der Inkreis ki mit Radius gleich 1 den Flächeninhalt

Aki=12π=π[FE].

Das Quadrat mit der Seitenlänge CD=2 hat den Flächeninhalt

AQCD=22=4[FE]

Das Quadrat über seiner Diagonale AB mit der Seitenlänge AB=22+22=8 hat den Flächeninhalt

AQAB=82=8[FE],

daraus folgt

Aku:Aki=AQAB:AQCD=2:1.

Dreiteilung des Winkels, Neusis-Konstruktion

Vorlage:Hauptartikel

Beweisskizze, Dreiteilung des Winkels,FOD=180[(90β)+(90β)]=2β

Formulierung

Ist AB eine Sehne eines Kreises, dessen Mittelpunkt O ist, und wird AB bis C so verlängert, daß BC gleich dem Radius ist, trifft ferner CO den Kreis in D und verlängert zum zweitenmal in E, so ist der Bogen AE das Dreifache des Bogens BD.[21]

Herleitung

Zur Verdeutlichung wird noch die Parallele EF zur Sehne AB gezogen und der Mittelpunkt O mit F und B verbunden. Wegen des sogenannten Z-Winkels sind die Winkel an den Scheiteln C und E gleich.

Da im gleichschenkligen Dreieck EFO die Basiswinkel an den Scheiteln E und F gleich sind, hat der Winkel am Scheitel O des Dreiecks FDO – nach dem Kreiswinkelsatzes – die doppelte Winkelweite eines Basiswinkels.

Winkel am Scheitel O des Dreiecks FDO anhand der Winkelsumme 180:

FOD=180[(90β)+(90β)]=2β,

daraus und wegen EF parallel zu AC folgt

FOB und AOE=3β.

Neusis-Konstruktion

Neusis-Konstruktion, Dreiteilung des Winkels mit Handhabung des markierten Lineals in Beweisskizze

Vorlage:Hauptartikel Für die Dreiteilung eines beliebigen Winkels bedarf es einer Neusis-Konstruktion. Archimedes ließ die Vorgehensweise der sogenannten Einschiebung (Neusis) offen.[22][23]

Um die Einschiebung mithilfe eines markierten Lineals (Radius r, grün) in der Beweisskizze nach Archimedes zu verdeutlichen, wird der Winkelschenkel FO über die Kreislinie hinaus verlängert. Der Schnittpunkt mit der Kreislinie ist G. Mit der Annahme die Strecke AB wäre nicht vorhanden – somit nur BC – legt man das Lineal auf die Zeichnung. Es folgt das Vorpositionieren des Lineals mit der Kante auf den Punkt B und der Ecke auf die Verlängerung des Winkelschenkels FO. Abschließend wird die Ecke bzw. Kante des Lineals soweit an der Verlängerung und am Punkt B entlang geführt, bis die Markierung (grün) die Kreislinie in A schneidet und die Länge der Strecke |AH| gleich r ist.

Somit ist der Kreisbogen OAG ein Drittel des Kreisbogens OFB und der Winkel β bei H der gesuchte Drittelwinkel.

Überblick

Einen vollständigen Überblick über die zentralen Themen der 15 Hilfssätze gibt die folgende Auflistung:

  • Satz 1: Berührende Kreise und parallele Durchmesser
  • Satz 2: Halbkreis, Durchmesser, Tangente, Sekante
  • Satz 3: Halbkreis, Senkrechte zum Durchmesser, Sehnen
  • Satz 4: Halbkreise, Senkrechte zum Durchmesser, Arbelos
  • Satz 5: Arbelos, Zwillingskreise des Archimedes, Halbkreise, Kreise
  • Satz 6: Arbelos, Halbkreise, Kreis
  • Satz 7: Quadrat, umschreibender und einbeschreibender Kreis
  • Satz 8: Dreiteilung des Winkels, Neusis-Konstruktion
  • Satz 9: Senkrechte Sehnen, Bogensumme
  • Satz 10: Tangenten an einen Kreis, Sekanten und Sehnen, Parallelen
  • Satz 11: Senkrechte Sehnen und Radius
  • Satz 12: Halbkreis, Durchmesser, Sehnen, Tangenten, Senkrechte
  • Satz 13: Kreis, Durchmesser, Sehne, Senkrechte
  • Satz 14: Salinon: Halbkreise, Senkrechte, Kreise, Flächen
  • Satz 15: Kreis, Durchmesser, einbeschriebenes regelmäßiges Fünfeck, Bogen, Mittelpunkt, Senkrechte, Radius[24]

Vorlage:Anker Weiteres archimedisches Werk aus der Stereometrie

Umbeschreibt ein Zylinder mit dem Radius r und der Höhe 2r eine Kugel mit dem gleichen Radius r, dann stehen deren Volumina im Verhältnis
VK:VZ=4312VK:VZ=2:3

In einem weiteren Werk Über Kugel und Zylinder (Originaltitel περὶ σφαίρας καὶ κυλίνδρου, latinisiert De Sphaera et Cylindro) behandelte Archimedes ein Theorem der Stereometrie, ein Teilgebiet der Geometrie. Mit ihm bestimmte Archimedes als Erster mit Hilfe von Methoden, welche als Vorläufer der Methoden der modernen Integralrechnung gelten,[25] den exakten Zusammenhang zwischen Volumen und Oberfläche von Kugel und Kreiszylinder.

Verwandter Satz

Der folgende Satz wird manchmal auch als Satz des Archimedes bezeichnet:[26]

Das Volumen einer Halbkugel ist gleich der Differenz der Volumina des umgebenden Kreiszylinders und des darin enthaltenen Kreiskegels gleicher Höhe und gleicher Grundfläche.

Literatur

Digitalisate

Faksimiles der lateinischen (Liber Assumptorum), der englischen (Book of Lemmas) und der deutschen (Buch der Hilfssätze) Fassung sind als Digitalisate verfügbar, und zwar jeweils zum Online-Lesen und zum Download als PDF-Dokument.

Visualisierungen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Vorlage:Internetquelle
  2. Vorlage:Internetquelle
  3. Aaboe: Episodes from the Early History of Mathematics. 1998, S. 77
  4. Vorlage:Literatur
  5. 5,0 5,1 Vorlage:Literatur
  6. Vorlage:Literatur
  7. Vorlage:Literatur
  8. Vorlage:Literatur
  9. Vorlage:Literatur
  10. Vorlage:Literatur
  11. Vorlage:Literatur
  12. Claudi Alsina, Roger B. Nelsen: Perlen der Mathematik: 20 geometrische Figuren als Ausgangspunkte für mathematische Erkundungsreisen. Springer, 2015, ISBN 978-3-662-45461-9, S. 49
  13. Vorlage:Literatur
  14. Claudi Alsina, Roger B. Nelsen: Perlen der Mathematik: 20 geometrische Figuren als Ausgangspunkte für mathematische Erkundungsreisen. Springer, 2015, ISBN 978-3-662-45461-9, S. 34
  15. Vorlage:Literatur
  16. Vorlage:Literatur
  17. Vorlage:Literatur
  18. Vorlage:Literatur
  19. 19,0 19,1 Vorlage:Literatur
  20. Vorlage:Literatur
  21. Vorlage:Literatur
  22. Vorlage:Literatur
  23. Vorlage:Literatur
  24. Geometry: Archimedes' Book of Lemmas Index aus gogeometry.com, abgerufen am 11. Dezember 2022
  25. Eves: S. 85
  26. Vorlage:Literatur