Potenz (Geometrie)

Aus testwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Geometrische Bedeutung der Potenz

Der Begriff Potenz bezeichnet in der Geometrie ein spezielles, von Jakob Steiner 1826 eingeführtes Maß dafür, wie weit außerhalb oder innerhalb eines Kreises sich ein Punkt befindet[1]. Die Potenz eines Punktes P bezüglich eines Kreises k mit Mittelpunkt M und Radius r ist die reelle Zahl

Π(P)=|PM|2r2.

Falls P außerhalb des Kreises liegt, ist Π(P)>0 und gleich dem Quadrat der tangentialen Distanz |PT| von P zum Kreis k (siehe Bild). Dies folgt aus dem Satz des Pythagoras.
Falls P auf dem Kreis liegt, ist Π(P)=0.
Falls P innerhalb des Kreises liegt, ist Π(P)<0.

Steiner benutzte die Potenz eines Kreises, um zahlreiche Aussagen über Kreise und Kugeln zu beweisen. Z.B.:

  • Bestimmung eines Kreises, der vier vorgegebene Kreise unter dem gleichen Winkel schneidet[2].
  • Lösung des Apollonischen Problems
  • Konstruktion der Malfatti-Kreise[3]: Bestimme zu einem Dreieck drei Kreise, die sich gegenseitig berühren und jeweils zwei Seiten berühren.
  • Sphärische Version des Malfatti Problems[4]: Bestimme zu einem sphärischen Dreieck drei Kreise, die sich gegenseitig berühren und jeweils zwei Seiten des Dreiecks berühren.
  • Auf einer Quadrik[5]: Bestimme zu drei ebenen Kurven auf einer Quadrik drei weitere ebene Kurven, die sich gegenseitig berühren und jeweils zwei der gegebenen Kurven berühren.

Als wesentliches Hilfsmittel verwendet Steiner Ähnlichkeitspunkte und die gemeinschaftliche Potenz zweier Kreise.

Der Begriff Potenz bezüglich eines Kreises lässt sich auf den Raum als Potenz einer Kugel übertragen.

Geometrische Bedeutung

Außer den im ersten Bild mit Hilfe des Satzes von Pythagoras erkennbaren geometrischen Bedeutungen der Potenz, gibt es weitere Eigenschaften:

Orthogonalkreis

Orthogonalkreis (grün)

Zu einem Punkt P außerhalb des Kreises k gibt es zwei Berührpunkte T1,T2 auf dem Kreis k (siehe Bild), die gleich weit von P entfernt sind. Der Kreis mit P als Mittelpunkt durch T1 geht also auch durch T2 und schneidet den Kreis k senkrecht. Dies liefert eine weitere geometrische Bedeutung der Potenz:

  • Der Kreis mit Mittelpunkt P und Radius Π(P) schneidet den Kreis k senkrecht.
Schnittwinkel zweier Kreise

Falls der Radius ρ des Kreises um P ungleich Π(P) ist, erhält man den Schnittwinkel φ der beiden Kreise mit Hilfe des Kosinussatzes (siehe Bild):

ρ2+r22ρrcosφ=|PM|2
cosφ=ρ2+r2|PM|22ρr=ρ2Π(P)2ρr

(PS1 und MS1 sind Normalen zu den Kreistangenten.)

Liegt P in dem blauen Kreis, ist Π(P)<0 und damit φ immer ungleich 90.

Falls der Winkel φ vorgegeben wird, erhält man den Radius ρ aus der quadratischen Gleichung

ρ22ρrcosφΠ(P)=0.
Sekantensatz, Sehnensatz

Sekantensatz, Sehnensatz

Im Sekantensatz und Sehnensatz spielt die Potenz eines Punktes die Rolle einer Invarianten:

  • Sekantensatz: Liegt der Punkt P außerhalb des Kreises und sind S1 und S2 die Schnittpunkte einer beliebigen Geraden g durch P mit dem Kreis, so ist |PS1||PS2|=Π(P), also unabhängig von der Gerade g. Diese Aussage ist auch dann noch richtig, wenn S1 und S2 zusammenfallen (Sekanten-Tangenten-Satz).
  • Sehnensatz: Sind S1 und S2 die Schnittpunkte einer beliebigen Geraden g durch P mit dem Kreis, so ist |PS1||PS2|=Π(P).

Potenzgerade

Betrachtet man zu zwei vorgegebenen Kreisen (Mittelpunkte M1,M2 und Radien r1,r2), einen Punkt P, so hat dieser die Potenz Π1(P) bezgl. des ersten Kreises und die Potenz Π2(P) bezgl. des zweiten Kreises. Bestimmt man die Gesamtheit aller Punkte, die bezgl. beider Kreise dieselbe Potenz besitzen, es ist also Π1(P)=Π2(P), so erhält man eine Gerade, die Potenzgerade der beiden Kreise.

Sekantensatz, Sehnensatz: einheitlicher Beweis

Bei den Sätzen Sekantensatz, Sekanten-Tangenten-Satz und Sehnensatz spielt die Potenz eines Punktes als Invariante eine wesentliche Rolle. Diese Sätze lassen sich mit Hilfe von ähnlichen Dreiecken und dem Kreiswinkelsatz koordinatenfrei beweisen.

Sekanten-/Sehnen - Satz: Beweis

Der folgende einfache Beweis verwendet Vektorrechnung:

Es sei P:p ein Punkt, k:x2r2=0 ein Kreis mit dem Ursprung als Mittelpunkt und v ein beliebiger Einheitsvektor. Die Parameter t1,t2 möglicher Schnittpunkte der Gerade g:x=p+tv (durch P) und dem Kreis k können durch Einsetzen der Parameterdarstellung von g in die Kreisgleichung bestimmt werden:

(p+tv)2r2=0t2+2tpv+p2r2=0 .

Aus dem Satz von Vieta ergibt sich:

t1t2=p2r2=Π(P)  (unabhängig von v !)

Π(P) ist die Potenz von P bezüglich des Kreises k.

Wegen |v|=1 ergibt sich für die Punkte S1,S2:

|PS1||PS2|=t1t2=Π(P) , falls P außerhalb des Kreises ist,
|PS1||PS2|=t1t2=Π(P) , falls P in dem Kreis liegt (t1,t2 haben verschiedene Vorzeichen !).

Falls t1=t2 ist, ist g eine Tangente und Π(P) das Quadrat der tangentialen Distanz des Punktes P zu dem Kreis k.

Ähnlichkeitspunkte, gemeinschaftliche Potenz zweier Kreise

Ähnlichkeitspunkte

Ein wesentliches Werkzeug Steiners bei seinen Untersuchungen sind die Ähnlichkeitspunkte zweier Kreise[6].

Es seien

 k1:(xm1)r12=0,k2:(xm2)r22=0,  zwei Kreise.

Eine zentrische Streckung (Ähnlichkeitsabbildung) σ, die k1 auf k2 abbildet, muss den Radius r1 auf r2 strecken (stauchen) und hat ihr Zentrum Z:z auf der Gerade M1M2 (σ(M1)=M2). Liegt das Zentrum zwischen M1,M2 ist der Streckfaktor s=r2r1. Im anderen Fall ist s=r2r1. In jedem Fall ist:

σ(m1)=z+s(m1z)=m2.

setzt man s=±r2r1 ein und löst nach z auf erhält man:

z=r1m2r2m1r1r2.
Ähnlichkeitspunkte zweier Kreise: verschiedene Lagen

Den Punkt

E:e=r1m2r2m1r1r2

nennt man äußeren Ähnlichkeitspunkt und

I:i=r1m2+r2m1r1+r2

inneren Ähnlichkeitspunkt.

(Um nachzuweisen, dass die Streckung an E mit dem Faktor r2r1 den Kreis k1 auf den Kreis k2 abbildet, darf man annehmen, dass E der Ursprung ist. Analog für die Streckung an I.)

Im Fall M1=M2 ist E=I=Mi.
Im Fall r1=r2 ist E der Fernpunkt der Gerade M1M2 und I der Mittelpunkt von M1,M2.
Im Fall r1=|EM1| berühren sich die Kreise in E innerlich (beide Kreise auf einer Seite der gemeinsamen Tangente).
Im Fall r1=|IM1| berühren sich die Kreise in I äußerlich (beide Kreise auf verschiedenen Seiten der gemeinsamen Tangente).

Ferner gilt:

  • Liegen die zwei Kreise getrennt (die Kreisflächen haben keine Punkte gemeinsam), so gehen von den vier gemeinsamen Tangenten die äußeren durch E und die inneren durch I.
  • Liegt ein Kreis in dem anderen, so liegen A,I innerhalb beider Kreise.
  • Die Punktepaare M1,M2;E,I liegen harmonisch: Sie haben das Doppelverhältnis (M1,M2;E,I)=1.

Der Satz von Monge zeigt, dass die äußeren Ähnlichkeitspunkte von drei getrennt liegenden Kreisen auf einer Gerade liegen.

Gemeinschaftliche Potenz zweier Kreise

Ähnlichkeitspunkte zweier Kreise

Sind k1,k2 zwei Kreise, E ihr äußerlicher Ähnlichkeitspunkt und g eine Gerade durch E, die die beiden Kreise in Punkten G1,H1,G2,H2 schneiden, so folgt aus der Eigenschaft von E

|EG1||EG2|=r1r2=|EH1||EH2| 
 |EG1||EH2|=|EH1||EG2| 

und aus dem Sekantensatz (siehe oben)

|EG1||EH1|=Π1(E),|EG2||EH2|=Π2(E).

Aus den drei Gleichungen folgt:

Π1(E)Π2(E)=|EG1||EH1||EG2||EH2|
 =|EG1|2|EH2|2=|EG2|2|EH1|2 .

Also gilt:

  • |EG1||EH2|=|EG2||EH1|=Π1(E)Π2(E)  (unabhängig von g !).

Das analoge Resultat erhält man für eine Sekante durch den inneren Ähnlichkeitspunkt I.

Die Invarianten  Π1(E)Π2(E), Π1(I)Π2(I)  nennt Steiner gemeinschaftliche Potenz der beiden Kreise bezüglich ihrer Ähnlichkeitspunkte[7].

Jedes der Punktepaare G1,H2 und H1,G2 nennt man antihomolog. Die Paare G1,G2 und H1,H2 heißen homolog; sie sind Urbild-Bildpaare bezüglich der Ähnlichkeitsabbildung (Homologie).[8][9]

Anwendung: Bestimmung der Berührkreise zweier Kreise

Gemeinschaftliche Potenz zweier Kreise: Anwendung
Berührkreise zu zwei Kreise

Legt man durch E eine zweite Sekante (siehe Bild) gilt:

|EH1||EG2|=|EH'1||EG'2|

Mit dem Sekantensatz erkennt man:

Die Punkte H1,G2,H'1,G'2 liegen auf einem Kreis.

Analog ergibt sich:

Die Punkte G1,H2,G'1,H'2 liegen auf einem Kreis.

Da sich die Potenzgeraden dreier Kreise in einem Punkt schneiden (siehe: Artikel Potenzgerade) gilt:

Die Sekanten H1H'1,G2G'2 schneiden sich auf der Potenzgerade der gegebenen Kreise.

Lässt man nun die untere blaue Sekante (siehe Bild) gegen die obere laufen, geht der rote Kreis in einen Kreis über, der die beiden gegebenen Kreise berührt. Der Mittelpunkt des Berührkreises ist der Schnittpunkt der Geraden M1H1,M2G2. Die Sekanten H1H'1,G2G'2 gehen in die Tangenten in den Berührpunkten H1,G2 über. Die Tangenten schneiden sich auf der Potenzgerade p (im Bild gelb).

Entsprechende Überlegungen führen zu dem zweiten Berührkreis durch die Punkte G1,H2 (siehe Bild).

Durch Variation der Sekante g erhält man alle Berührkreise zu den gegebenen Kreisen.

Lage der Mittelpunkte
Berührkreise zweier Kreise

Ist X der Mittelpunkt und ρ der Radius des Berührkreises durch H1,G2 so gilt:

ρ=|XM1|r1=|XM2|r2
 |XM2||XM1|=r2r1.

Die Mittelpunkte liegen also auf einer Hyperbel mit den

Brennpunkten M1,M2,
dem Abstand der Scheitel 2a=r2r1,
dem Mittelpunkt von M1,M2 als Mittelpunkt M,
der linearen Exzentrizität e=|M1M2|2 und
 b2=e2a2=|M1M2|2(r2r1)24.

Überlegungen für die Mittelpunkte der Kreise, die die gegebenen Kreise umhüllen, liefern ein analoges Resultat:

Ist X der Mittelpunkt und ρ der Radius des Berührkreises durch G1,H2 so gilt:

ρ=|XM1|+r1=|XM2|+r2
 |XM2||XM1|=(r2r1).

Die Mittelpunkte liegen auf derselben Hyperbel wie vorher. Allerdings auf dem rechten Ast.

Siehe hierzu auch den Artikel apollonisches Problem: Lösungsmethoden.

Potenz bezüglich einer Kugel

Zum Sekantensatz für eine Kugel

Das Konzept der Potenz eines Punktes bezüglich eines Kreises lässt sich auf Kugeln im Raum übertragen.[10] Auch die Sekanten/Sehnen-Sätze haben im Raum ihre Gültigkeit. Der Beweis für den Kreisfall kann wörtlich auf den Kugelfall übertragen werden. Analog zur Potenzgerade zweier Kreise gibt es im Raum eine Potenzebene zu zwei Kugeln. Zu drei Kugeln gibt es eine dem Radikal dreier Kreise entsprechende Potenzgerade.

Literatur

  1. Jakob Steiner: Einige geometrische Betrachtungen, 1826, S. 164
  2. Steiner, S. 163
  3. Steiner, S. 178
  4. Steiner, S. 182
  5. Steiner, S. 182
  6. Steiner: S. 170f.
  7. Steiner: S. 175
  8. Michel Chasles, C. H. Schnuse: Die Grundlehren der neuern Geometrie, erster Theil, Verlag Leibrock, Braunschweig, 1856, S. 312
  9. William J. M'Clelland: A Treatise on the Geometry of the Circle and Some Extensions to Conic Sections by the Method of Reciprocation, 1891, Verlag: Creative Media Partners, LLC, ISBN 978-0-344-90374-8, S. 121,220
  10. K.P. Grothemeyer: Analytische Geometrie, Sammlung Göschen 65/65A, Berlin 1962, S. 54
  • W. Brennecke: Berührungsaufgabe für Kreis und Kugel, Verlag T. C. F. Enslin, Berlin, 1853
  • Heinrich Cranz: Das apollonische Berührungsproblem, Verlag Vangerow, Bremerhaven, 1890
  • Jakob Steiner: Einige geometrische Betrachtungen. In: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 1, 1826, S. 161–184
  • Vorlage:Literatur
  • Vorlage:Literatur
  • Roger A. Johnson: Advanced Euclidean Geometry. Dover 2007, ISBN 978-0-486-46237-0, S. 28–34

Vorlage:Commonscat