Massenwirkungsgesetz

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Das Massenwirkungsgesetz (Abkürzung „MWG“) definiert das chemische Gleichgewicht für chemische Reaktionen. Dem Massenwirkungsgesetz zufolge ist das Produkt aus den Aktivitäten ai der beteiligten Stoffe i (potenziert mit den jeweiligen stöchiometrischen Zahlen νi) konstant.[1] Die Konstante wird als Gleichgewichts- oder Massenwirkungskonstante K bezeichnet.[2] Sind an einer Reaktion z Stoffe beteiligt, erhält man:

K=i=1zaiνi

Hierbei ist das Produktzeichen. Da die stöchiometrischen Zahlen der Ausgangsstoffe negativ sind, werden Massenwirkungsgesetze als Brüche formuliert, wobei die Produktterme den Zähler und die Eduktterme den Nenner bilden. Für eine Reaktion mit der unter Verwendung des Gleichgewichtspfeils formulierten stöchiometrischen Reaktionsgleichung

|νA|A+|νB|B++|νM|MνNN+νOO++νZZ,

an der die Ausgangsstoffe A, B, …, M und die Produkte N, O, …, Z beteiligt sind, nimmt das Massenwirkungsgesetz daher folgende Form an:

K=aNνNaOνOaZνZaA|νA|aB|νB|aM|νM|

Die Gleichgewichtskonstante ist eine intensive dimensionslose thermodynamische Zustandsgröße und definiert diejenige stoffliche Zusammensetzung, für die das unter den jeweiligen Reaktionsbedingungen relevante thermodynamische Potential des reagierenden Systems ein Minimum aufweist. Stellt sich der durch das Massenwirkungsgesetz definierte Gleichgewichtszustand ein, wird die maximale Zunahme der Entropie, die durch Zustandsänderungen im Reaktionsgemisch realisierbar ist, erreicht.

Geschichte

Cato Maximilian Guldberg (links) und Peter Waage (rechts) im Jahr 1891

Das Massenwirkungsgesetz wurde von den norwegischen Chemikern Cato Maximilian Guldberg und Peter Waage experimentell ermittelt und 1864 in Norwegisch sowie 1867 in Französisch (mit ihren experimentellen Daten und einem modifizierten Gesetz) erstmals veröffentlicht.[3] Ihre Veröffentlichung fand lange keine große Beachtung. Der Ire John Hewitt Jellett kam 1873 zu ähnlichen Schlussfolgerungen,[4] ebenso wie 1877 Jacobus Henricus van ’t Hoff. Insbesondere nach den Veröffentlichungen von van ’t Hoff (aber auch von anderen wie August Friedrich Horstmann) hatten Guldberg und Waage den Eindruck, dass ihre Arbeit nicht genug bekannt sei.[5] Nachdem sie 1879 im Journal für Praktische Chemie eine ausführlichere Darlegung in deutscher Sprache veröffentlicht hatten, erkannte van ’t Hoff deren Priorität an.

Thermodynamische Aspekte

Thermodynamische Definition der Gleichgewichtskonstante

Im thermodynamischen Gleichgewicht ist die Änderung des (zur Beschreibung des Systems angebrachten) thermodynamischen Potentials null (vergleiche Reaktionsquotient). Die Gleichgewichtskonstante hängt dann lediglich von den gewählten (willkürlichen, aber festen) Referenzzuständen (o) der beteiligten Stoffe ab. Der Referenzzustand (o) kann entsprechend dem betrachteten Reaktionsszenario frei gewählt werden und ist nicht mit sogenannten Standardzuständen unter Standardbedingungen zu verwechseln.[6][7] Die Lage des Gleichgewichtes sowie der Wert der Gleichgewichtskonstante hängen dabei vom gewählten Referenzzustand ab.

Da thermodynamische Gleichgewichtszustände unabhängig vom Weg sind, auf dem diese erreicht werden, ist es für die thermodynamische Gültigkeit des Massenwirkungsgesetzes nicht erforderlich, die unabhängigen Zustandsvariablen des relevanten thermodynamischen Potentials während des gesamten Reaktionsverlaufes konstant zu halten.

In der Praxis sind vor allem zwei Szenarien von Bedeutung:

Reaktionen, die in Autoklaven durchgeführt werden, wie etwa Solvothermalsynthesen, finden bei konstantem Volumen und in der Regel bei konstanter Temperatur statt, wohingegen der Druck variabel ist. Wird eine Reaktion bei konstanter Temperatur, konstantem Volumen und variablem Druck durchgeführt, ist die freie Energie (Helmholtz-Potential) F das relevante thermodynamische Potential, da neben der sich im Verlauf der chemischen Reaktion verändernden stofflichen Zusammensetzung des reagierenden Systems Temperatur und Volumen die unabhängigen Zustandsvariablen der freien Energie sind. Das Massenwirkungsgesetz definiert dann die stoffliche Zusammensetzung des reagierenden Systems, für die die freie Energie minimal wird und die damit den thermodynamischen Gleichgewichtszustand darstellt. Für eine chemische Reaktion, die in einem durch ein konstantes Volumen und eine konstante Temperatur gekennzeichneten Referenzzustand (o) durchgeführt wird und deren z beteiligte Komponenten i in diesem Referenzzustand die molaren freien Bildungsenergien Fi,m besitzen, wird die molare freie Reaktionsenergie ΔRF gleich:

ΔRF=i=1z(νiFi,m)

Die Gleichgewichtskonstante K ist dann unter Verwendung der absoluten Temperatur T wie folgt durch die molare freie Reaktionsenergie des Referenzzustandes ΔRF definiert:

K=exp[ΔRFRT].

Viele chemische Reaktionen werden in offenen Systemen durchgeführt, so dass Druckausgleich zwischen dem reagierenden System und der Umgebung erfolgen kann. Somit kann angenommen werden, dass die betrachtete Reaktion unter einem konstanten, dem Umgebungsdruck entsprechenden Druck durchgeführt wird, während das Volumen des reagierenden Systems variabel ist. Wird eine Reaktion bei konstantem Druck, konstanter Temperatur und variablem Volumen durchgeführt, ist die freie Enthalpie (Gibbs-Energie) das relevante thermodynamische Potential, da neben der sich im Verlauf der chemischen Reaktion verändernden stofflichen Zusammensetzung des reagierenden Systems Druck und Temperatur die unabhängigen Zustandsvariablen der freien Enthalpie sind. In diesem Fall definiert das Massenwirkungsgesetz die stoffliche Zusammensetzung des reagierenden Systems, für die die freie Enthalpie minimal wird und die damit den thermodynamischen Gleichgewichtszustand darstellt. Für eine chemische Reaktion, die in einem durch einen konstanten Druck und eine konstante Temperatur gekennzeichneten Referenzzustand (o) durchgeführt wird und deren z beteiligte Komponenten i in diesem Referenzzustand die molaren freien Bildungsenthalpien Gi,m besitzen, wird die molare freie Reaktionsenthalpie ΔRG gleich:

ΔRG=i=1z(νiGi,m)

Die Gleichgewichtskonstante K ist dann wie folgt durch die molare freie Reaktionsenthalpie der Referenzzustände ΔRG definiert:

K=exp[ΔRGRT]

Wird ein chemisches Gleichgewicht durch die Änderung der Konzentration eines an der betrachteten Reaktion beteiligten Stoffes – und damit seiner Aktivität – gestört, müssen sich gemäß dem Prinzip vom kleinsten Zwang nach Henry Le Chatelier die Aktivitäten (und damit die Konzentrationen) der anderen an der Reaktion beteiligten Stoffe so ändern, dass das Massenwirkungsgesetz erfüllt bleibt. Die Gleichgewichtskonstante ist somit unabhängig von den Ausgangskonzentrationen der an der betrachteten Reaktion beteiligten Stoffe. Als thermodynamische Zustandsgröße hängt die Gleichgewichtskonstante nicht vom Reaktionsmechanismus oder von kinetischen Größen wie Geschwindigkeitskonstanten und Reaktionsgeschwindigkeiten ab.

Herleitung

Profil der freien Enthalpie während einer Gleichgewichtsreaktion als Funktion des Umsatzes.

Im Folgenden[8] wird exemplarisch angenommen, dass die betrachtete Reaktion bei einem durch einen konstanten Druck sowie eine konstante Temperatur gekennzeichneten Referenzzustand () durchgeführt wird, so dass die freie Enthalpie das relevante thermodynamische Potential ist. Sinngemäß lässt sich die unten skizzierte Herleitung auf jedes andere thermodynamische Potential anwenden.

Gi sei der Beitrag eines Stoffes i zur extensiven freien Gesamtenthalpie Gsys des betrachteten Systems. Sofern Druck, Temperatur und die Stoffmengen nj aller weiteren anwesenden Stoffe j konstant gehalten werden, ist das chemische Potential μi des Stoffes i gleich der Änderung dGi pro Änderung dni der Stoffmenge ni des Stoffes i:

μi=(Gini)T,p,nji

Die Menge der Formelumsätze einer chemischen Reaktion in Mol ist durch die Umsatzvariable ξ gegeben, dem Quotienten aus dni und der stöchiometrischen Zahl νi des Stoffes i:

dξ=dniνi

Ersetzt man im Ausdruck für das chemische Potential dni durch νidξ und löst nach dGi auf, erhält man:

dGi=νiμidξ

Enthält ein Reaktionsgemisch insgesamt z verschiedene Stoffe, gilt für die Änderung dGsys der freien Gesamtenthalpie Gsys des reagierenden Systems:

dGsys=i=1zdGi=i=1z(νiμidξ)=i=1z(νiμi)dξ

Dividieren durch dξ ergibt:

(Gsysξ)T,p=i=1z(νiμi)

Unter den gegebenen Reaktionsbedingungen für T,p ist Gsysξ die Änderung der freien Systementhalpie Gsys pro Reaktionsumsatz.

Das chemische Potential μi eines Stoffes i in einer Reaktionsmischung kann bezogen auf das chemische Potential μi des reinen Stoffes i für den Referenzzustand () (siehe Mischphase#Referenzzustände in der Mischphasenthermodynamik) ausgedrückt werden, der für das betrachtete Reaktionsszenario maßgeblich ist:[9][10]

μi(ai)=μi+RTlnai

Hierbei ist ai:=exp(μiμiRT) die relative chemische Aktivität mit der Gaskonstante R und der absoluten Temperatur T.

Die Kombination mit obigem Ausdruck für (Gsys/ξ)T,pergibt:

(Gsysξ)T,p=i=1z(νiμio+νiRTlnai)=i=1zνiμio+RTi=1zνilnai

Die Summe i=1zνiμi=:ΔRG ist gleich der molaren freien Reaktionsenthalpie ΔRG für den Referenzzustand. Man erhält:

(Gsysξ)T,p=ΔRG+RTi=1zνilnai

Während ΔRG konstant ist, solange Druck und Temperatur nicht verändert werden, hängt die Summe i=1zνilnai von den jeweils aktuellen relativen Aktivitäten ai ab. Durch Anwendung der einschlägigen Logarithmusregel lässt sich die Summe i=1zνilnai in den Logarithmus des Produkts i=1zaiνi umwandeln, welches als Reaktionsquotient Qr bezeichnet wird:

i=1zνilnai=ln(i=1zaiνi)=lnQr

Somit ergibt sich:

(Gsysξ)T,p=ΔRG+RTlnQr

Solange im Verlauf der betrachteten Reaktion die transienten relativen Aktivitäten der Edukte größer als die relativen Gleichgewichtsaktivitäten der Edukte sind, ist Qr kleiner als die Gleichgewichtskonstante K, und es gilt:

ΔRG+RTlnQr<0

Folglich nimmt Gsys mit Fortlaufen der Reaktion ab:

(Gsysξ)T,p<0

Im chemischen Gleichgewicht nimmt die freie Gesamtenthalpie Gsys des reagierenden Systems den kleinstmöglichen erreichbaren Wert an. Im chemischen Gleichgewicht weist die Funktion Gsys(ξ)T,p somit ein Minimum auf. Der partielle Differentialquotient (Gsys/ξ)T,p muss demnach im chemischen Gleichgewicht gleich null sein:

(Gsysξ)T,p=ΔRG+RTlnQr=0

Der Reaktionsquotient Qr ist im chemischen Gleichgewicht allein durch die freie Reaktionsenthalpie im Referenzzustand ΔRG gegeben und entspricht damit der Gleichgewichtskonstanten K:

ΔRG=RTlnQr=RTlnK

Dieser Ausdruck stellt den Zusammenhang zwischen der molaren freien Reaktionsenthalpie ΔRG und der stofflichen Zusammensetzung des Reaktionsgemisches im chemischen Gleichgewicht dar. Auflösen nach K ergibt entsprechend:

K=exp[ΔRGRT]=i=1zaiνi.

Da K von ΔRG abhängt, hängt auch der Zahlenwert der Gleichgewichtskonstante vom jeweils angewendeten Referenzzustand () ab.

Druck- und Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstante

Da sich das Massenwirkungsgesetz auf ein unter den jeweiligen Reaktionsbedingungen anzuwendendes thermodynamisches Potential bezieht, ist die Gleichgewichtskonstante abhängig von den Zustandsgrößen, die die unabhängigen Zustandsvariablen des betreffenden thermodynamischen Potentials darstellen. Ist das relevante thermodynamische Potential die freie Enthalpie, ändert sich der Wert der Gleichgewichtskonstante, wenn die betrachtete Reaktion bei unverändertem Druck und einer veränderten konstanten Temperatur durchgeführt wird. Die Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstante bei konstantem Druck lässt sich durch die van-’t-Hoff-Gleichung beschreiben beziehungsweise durch van-'t-Hoffsche Reaktionsisobaren darstellen. Ebenso ändert sich der Wert der Gleichgewichtskonstanten, wenn die betrachtete Reaktion bei unveränderter Temperatur und verändertem konstanten Druck durchgeführt wird. Zur Beschreibung der Druckabhängigkeit der Gleichgewichtskonstante K bei konstanter Temperatur in kondensierten Phasen wird das molare Reaktionsvolumen ΔRV herangezogen:[11][12]

(lnKp)T=ΔRVRT

Die Druckabhängigkeit der Gleichgewichtskonstante ist bei Reaktionen, die in kondensierten Phasen stattfinden, jedoch typischerweise sehr schwach und wird häufig vernachlässigt.[13] Ist das relevante thermodynamische Potential die freie Energie, wird die Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstante bei konstantem Volumen durch die van-’t-Hoff’sche Reaktionsisochore beschrieben.[14]

Reversible Reaktionen

Vorlage:Hauptartikel

Profil der freien Enthalpie entlang der Reaktionstrajektorie einer Elementarreaktion. Um von den Ausgangsstoffen (Edukte) zum Übergangszustand (ÜZ) zu kommen, muss die freie Aktivierungsenergie der Hinreaktion ΔGhin aufgebracht werden. Durchläuft die Rückreaktion denselben Übergangszustand wie die Hinreaktion, ist die freie Aktivierungsenthalpie der Rückreaktion ΔGrück gleich ΔGhin+ΔRG (freie Reaktionsenthalpie).

Gemäß der Theorie des Übergangszustandes müssen im Verlauf elementarer Reaktionsereignisse Ausgangsstoffe und Produkte trennende Potentialbarrieren überwunden werden, die sich auf der makroskopischen Ebene am zweckmäßigsten durch das jeweils anzuwendende thermodynamische Potential beschreiben lassen. Reversible Reaktionen zeichnen sich dadurch aus, dass neben Hinreaktionen, die zur Bildung der Reaktionsprodukte aus den Ausgangsstoffen führen, auch Rückreaktionen, die zur Bildung der Ausgangsstoffe aus den Reaktionsprodukten führen, in nennenswertem Umfang stattfinden. Werden beispielsweise Druck und Temperatur konstant gehalten, repräsentiert die molare freie Aktivierungsenthalpie ΔGhin die Höhe der bei der Hinreaktion für die Umwandlung der Ausgangsstoffe in die Produkte zu überwindenden Potentialbarriere (bezogen auf den Referenzzustand). Entsprechend repräsentiert die molare freie Aktivierungsenthalpie ΔGrück die Höhe der bei der Rückreaktion für die Umwandlung der Produkte in die Ausgangsstoffe zu überwindenden Potentialbarriere. Im Gleichgewicht laufen Hin- und Rückreaktion entlang derselben Reaktionstrajektorie in entgegengesetzter Richtung ab. Es gilt mit ΔRG als molarer freier Reaktionsenthalpie der Hinreaktion für ΔGrück (siehe Kinetik (Chemie), Abschnitt Freie Aktivierungsenthalpien und thermodynamisches Gleichgewicht):

ΔRG=ΔGhinΔGrück

Die Kinetik einer betrachteten Reaktion wird durch ein Geschwindigkeitsgesetz beschrieben, in das das thermodynamische Aktivierungspotential mittels einer Geschwindigkeitskonststante eingeht. Die Geschwindigkeitskonstante der Hinreaktion khin, die die Kinetik der Umwandlung der Ausgangsstoffe in die Produkte repräsentiert, hängt von ΔGhin wie folgt ab (siehe Abschnitt "Thermodynamische Formulierung" im Artikel "Theorie des Übergangszustandes"):

khin=Konstanteexp[ΔGhinRT]

Entsprechend gilt für die Geschwindigkeitskonstante krück, die die Kinetik der Umwandlung der Produkte die Ausgangsstoffe durch die Rückreaktion repräsentiert:

krück=Konstanteexp[ΔGrückRT]

Durch Anwendung des Ausdrucks ΔGrück=ΔGhinΔRG lässt sich krück als Funktion von ΔRG und ΔGhin darstellen:

krück=Konstanteexp[ΔGrückRT]=Konstanteexp[ΔGhinΔRGRT]

Für den Quotienten aus khin und krück folgt:

khinkrück=exp[ΔGhinRT]exp[ΔGhinΔRGRT]1=exp[ΔRGRT]=K

Das Verhältnis khinkrück ist somit gleich der Gleichgewichtskonstante K und wird durch die Referenz freie Reaktionsenthalpie ΔRG vorgegeben. Der Zusammenhang zwischen der Gleichgewichtskonstante und den Geschwindigkeitskonstanten der Hin- und Rückreaktion ist thermodynamisch begründet und gilt unabhängig von der Art und Weise, in der die die Reaktionskinetik beschreibenden Geschwindigkeitsgesetze formuliert werden.

Entsprechen für eine reversible Reaktion

|νA|A+|νB|BνCC+νDD

lassen sich mit rhin sowie rrück als Reaktionsgeschwindigkeiten der Hin- und Rückreaktion folgende Geschwindigkeitsgesetze formulieren (siehe auch Ratengleichung):[15]

rhin=khinaA|νA|aB|νB|
rrück=krückaC|νC|aD|νD|

Teilt man den Ausdruck für rrück durch den Ausdruck für rhin, erhält man:

rrückrhin=krückaC|νC|aD|νD|khinaA|νA|aB|νB|

Mit K=khinkrück sowie K=aC|νC|aD|νD|aA|νA|aB|νB| erhält man:

rrückrhin=1KK=1

Daraus folgt, dass im chemischen Gleichgewicht die Geschwindigkeit der Hinreaktion rhin gleich der Geschwindigkeit der Rückreaktion rrück sein muss:

rhin=rrück

Aufstellung des Massenwirkungsgesetzes mit Stoffmengenkonzentrationen

Die relativen Aktivitäten ai=cicγi sind relativ zum Referenzzustand (mit Referenzkonzentration c), wobei der Aktivitätskoeffizient γi für wechselwirkende Systeme ungleich eins ist. Durch Einsetzen der relativen Aktivitäten erhält man

K=i=1zaiνi=i=1z(cicγi)νi.

Unter Vernachlässigung der Teilchenwechselwirkungen – d. h. durch Fordern, dass die Aktivitätskoeffizienten γi1 – erhält man

Ki=1z(cic)νi,

was für verdünnte Lösungen häufig eine gute Näherung ist. Teilweise werden die Referenzkonzentrationen zusätzlich in die Definition einer neuen Gleichgewichtskonstante einbezogen:

Kc:=Ki=1z(c)νii=1zciνi.

Statt thermodynamisch korrekt mit den Aktivitäten der an der betrachteten Reaktion beteiligten Stoffe kann somit das Massenwirkungsgesetz für Reaktionen in verdünnter Lösung häufig näherungsweise unter Verwendung der Stoffmengenkonzentrationen der beteiligten Stoffe aufgestellt werden. Bei stärker konzentrierten Lösungen können jedoch die Werte der Aktivitätskoeffizienten stark von 1 abweichen, so dass diese Näherung mit Vorsicht zu gebrauchen ist. Die mit Stoffmengenkonzentrationen berechneten Gleichgewichtskonstanten werden zur Unterscheidung von mit Aktivitäten berechneten Gleichgewichtskonstanten mit Kc bezeichnet, wobei der tiefgestellte Index c für Stoffmengenkonzentration steht. Das Massenwirkungsgesetz wird zum Beispiel für die Reaktion

|νA|A+|νB|BνCC+νDD

unter Verwendung der Stoffmengenkonzentrationen c(A), c(B), c(C) und c(D) der Ausgangsstoffe A und B sowie der Produkte C und D wie folgt formuliert:

Kc=c(C)νCc(D)νDc(A)|νA|c(B)|νB|

Da die stöchiometrischen Zahlen νA und νB der Ausgangsstoffe A und B als Exponenten von deren Stoffmengenkonzentrationen c(A) und c(B) definitionsgemäß ein negatives Vorzeichen besitzen, stehen die Produktterme c(A)|νA| und c(B)|νB|im Nenner des Ausdrucks für Kc.

Eine mittels der Stoffmengenkonzentrationen erhaltene Gleichgewichtskonstante Kc hat in der Regel einen anderen Zahlenwert als die entsprechende mittels der Aktivitäten erhaltene Gleichgewichtskonstante. Weiterhin kann Kc eine Dimension und damit auch eine Einheit besitzen. νges sei die Summe aller stöchiometrischer Zahlen νi der beteiligten Stoffe i einer Reaktion mit z beteiligten Stoffen:

νges=i=1zνi

L ist das Dimensionssymbol für Länge, N das Dimensionssymbol für die Stoffmenge. Die Dimension der Stoffmengenkonzentration ist N/L3 und die Dimension von Kc demzufolge (N/L3)νges. Lediglich wenn νges=0 ist, ist Kc dimensionslos. Betrachtet man beispielsweise die Synthese von Kaliumhexacyanidoferrat(II) gemäß

Fe2++6 CN[Fe(CN)6]4,

ergibt sich für Kc:

Kc=c([Fe(CN)6]4)c(Fe2+)c6(CN)

In diesem Beispiel ist νges=16+1=6 und die Dimension von Kc gleich (NL3)6=N6L18. Die Einheit von Kc ist demnach m18Mol6.

Um eine dimensionslose Form der stoffmengenkonzentrationsbasierten Gleichgewichtskonstante Kc zu erhalten, kann Kc durch die Einheitskonzentration 1Molm3 potenziert mit νges dividiert werden.

Aufstellung des Massenwirkungsgesetzes für homogene Gasgleichgewichte

Für Gasphasenreaktionen wird das Massenwirkungsgesetz häufig mit den Partialdrücken pi der beteiligten Stoffe i aufgestellt. Als Symbol für mit Partialdrücken erhaltene Gleichgewichtskonstanten wird Kp verwendet. Bei homogenen Gasgleichgewichten mit z beteiligten Komponenten nimmt das Massenwirkungsgesetz entsprechend folgende Form an:

Kp=i=1zpiνi

Bei der Bildung von Iodwasserstoff aus elementarem Wasserstoff und Iod

H2(g)+I2(g)2 HI(g)

stellt sich das Gleichgewicht

Kp=p2(HI)p(H2)p(I2)

ein. Kp und Kc beziehungsweise die Partialdrücke pi und die Stoffmengenkonzentrationen ci lassen sich über die Zustandsgleichung für ideale Gase miteinander verknüpfen:

piV=niRT pi=niVRT=ciRT

Für die Gleichgewichtskonstante Kp bei der Bildung von Iodwasserstoff ergibt sich:

Kp=[c(HI)RT]2c(H2)RT c(I2)RT=c2(HI)c(H2)c(I2)=Kc

Ist in einem Gasphasengleichgewicht die Teilchenanzahl der Produkte gleich der Teilchenanzahl der Edukte, so kürzt sich RT im mit Stoffmengenkonzentrationen formulierten Massenwirkungsgesetz heraus. Betrachtet man jedoch die Reaktion von Schwefeldioxid und Sauerstoff zu Schwefeltrioxid

2 SO2(g)+O2(g)2 SO3(g) mit Kp=p2(SO3)p2(SO2)p(O2)

und ersetzt die Drücke durch Stoffmengenkonzentrationen, ergibt sich:

Kp=[c(SO3)RT]2[c(SO2)RT]2c(O2)RT=c2(SO3)c2(SO2)c(O2)1RT=Kc1RT

Die Teilchenzahl vermindert sich bei der Reaktion und ein Faktor 1/RT verbleibt im mit Stoffmengenkonzentrationen formulierten Massenwirkungsgesetz.

Betrachtet man die Bildung von Ammoniak im Haber-Bosch-Verfahren gemäß

3 H2(g)+N2(g)2 NH3(g),

ergibt sich:

Kp=p2(NH3)p(N2)p3(H2)

Die Umrechnung von Kp in Kc erfolgt gemäß:

Kp=[c(NH3)RT]2c(N2)RT[c(H2)RT]3=c2(NH3)c(N2)c3(H2)1(RT)2=Kc1(RT)2

Allgemein lässt sich also das Massenwirkungsgesetz eines Gasphasengleichgewichts ausdrücken als:[16][17]

Kp=Kc(RT)νges

Dabei ist νges=i=1zνi die Summe der stöchiometrische Zahlen der betrachteten Reaktion. Im Fall der Bildung von HI aus den Elementen ist νges=11+2=0. Beim Haber-Bosch-Verfahren ist νges=31+2=2.

Alternativ ist es oft zweckmäßig, die Zusammensetzung der Gasphase über Molenbrüche (Stoffmengenanteile) χi anzugeben. In diesem Fall wird eine auf die Stoffmengenanteile bezogene Gleichgewichtskonstante Kx erhalten:

Kx=i=1zxiνi mit xi=pip

Allgemein gilt hier:[17]

Kx=Kc(RTp)νges

Anwendungen des Massenwirkungsgesetzes

Für eine Vielzahl von Spezialfällen definiert das Massenwirkungsgesetzes – teilweise in vereinfachter Form – Gleichgewichtskonstanten für spezifische Reaktionsszenarien. So beschreiben Assoziations- und Dissoziationskonstanten das Gleichgewicht für Assoziations- und Dissoziationsprozesse. Das Löslichkeitsprodukt definiert die Gleichgewichtslöslichkeit von Salzen in Wasser. Komplexbildungskonstanten quantifizieren die Stabilität von Komplexverbindungen. Ionenprodukte werden durch Vereinfachung des Massenwirkungsgesetzes für elektrolytische Dissoziationsprozesse erhalten. Die quantitative thermodynamische Beschreibung der Säure-Base-Chemie durch Säurekonstanten und Basenkonstanten basiert auf dem Massenwirkungsgesetz. Die Protolyse von Essigsäure in wässeriger Lösung wird beispielsweise durch folgende stöchiometrische Reaktionsgleichung beschrieben:

CH3COOH(aq)+H2O(aq)H3O(aq)++CH3COO(aq)

Die Säurekonstante Ks von Essigsäure ergibt sich gemäß:

Ks=c(H3O+)c(CH3COO)c(CH3COOH)

Literatur

  • Peter W. Atkins, Julio de Paula: Physikalische Chemie. Aus dem Englischen von Michael Bär, Anna Schleitzer und Carsten Heinisch. 5. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2013, ISBN 978-3-527-33247-2.
  • Kenneth Denbigh: The Principles of Chemical Equilibrium: With Applications in Chemistry and Chemical Engineering. 4. Auflage, Cambridge University Press, Cambridge 1981, ISBN 0-521-28150-4, doi:10.1017/CBO9781139167604.
  • Vorlage:Literatur
  • Charles E. Mortimer, Ulrich Müller: Chemie – Das Basiswissen der Chemie. 13. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-132-42274-2.
  • Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 139. Thermodynamische Abhandlungen über Molekulartheorie und chemische Gleichgewichte. Drei Abhandlungen aus den Jahren 1867, 1868, 1870 und 1872 von C. M. Guldberg. Aus dem Norwegischen übersetzt und herausgegeben von R. Abegg. Leipzig: Wilh. Engelmann, 1903.
  • Gerd Wedler, Hans-Joachim Freund: Lehr- und Arbeitsbuch Physikalische Chemie. 7. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2018, ISBN 978-3-527-34611-0.

Vorlage:Wiktionary

Einzelnachweise

  1. Karl-Heinz Lautenschläger, Werner Schröter, Joachim Teschner, Hildegard Bibrack, Taschenbuch der Chemie, 18. Auflage, Harri Deutsch, Frankfurt (Main), 2001, S. 257.
  2. Vorlage:Internetquelle
  3. Vorlage:Holleman-Wiberg
  4. Seine Arbeiten wurden von Walther Nernst bei Ostwalds Klassikern 1908 in deutscher Übersetzung veröffentlicht.
  5. E. W. Lund, Guldberg and Waage and the law of mass action, Journal of Chemical Education, Band 42, 1965, S. 548
  6. Vorlage:Literatur
  7. Vorlage:Literatur
  8. The Thermodynamic Equilibrium Constant. https://chem.libretexts.org/@go/page/23754
  9. Vorlage:Literatur
  10. Vorlage:Literatur
  11. Vorlage:Literatur
  12. Vorlage:Literatur
  13. Vorlage:Literatur
  14. Vorlage:Internetquelle
  15. Vorlage:Literatur, Kapitel 3.5.1, online: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1470180498800230
  16. Charles E. Mortimer, Ulrich Müller, Johannes Beck: Chemie: Das Basiswissen der Chemie, Thieme, Stuttgart, 2014, S. 273. Vorlage:Google Buch
  17. 17,0 17,1 Gerd Wedler: Lehrbuch der Physikalischen Chemie, VCH, Weinheim, 3. Auflage, 1987, S. 346f.

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