Lévyprozess

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Lévyprozesse, benannt nach dem französischen Mathematiker Paul Lévy (1886–1971), sind stochastische Prozesse mit stationären, unabhängigen Zuwächsen. Sie beschreiben die zeitliche Entwicklung von Größen, die zwar zufälligen, aber über die Zeit (in Verteilung) gleich bleibenden und voneinander unabhängigen Einflüssen ausgesetzt sind. Viele wichtige Prozesse, wie der Wienerprozess oder der Poissonprozess, sind Lévyprozesse.

Definition

Sei (Xt),tT, ein stochastischer Prozess über der Indexmenge T (meist T=+ oder T=0). Man sagt, Xt habe unabhängige Zuwächse, wenn für alle t1<t2<<tnT die Zufallsvariablen Xt2Xt1,Xt3Xt2,,XtnXtn1 (die Zuwächse von Xt) unabhängig sind.

Ist die Verteilung der Zuwächse über gleich langen Zeitintervallen dieselbe, d. h. gilt

Xt1+hXt1Xt2+hXt2t1,t2T,h>0,

so nennt man Xt einen Prozess mit stationären Zuwächsen.

Als Lévyprozesse bezeichnet man genau jene Prozesse (Xt), die unabhängige und stationäre Zuwächse aufweisen. Häufig wird zusätzlich noch verlangt, dass (fast sicher) X0=0 gilt. Ist (Xt) ein allgemeiner Lévyprozess, dann wird durch Yt=XtX0 ein Lévyprozess (Yt) mit Y0=0 definiert. Im Folgenden sei stets X0=0 vorausgesetzt.

Zeitdiskrete Lévyprozesse

Gilt speziell T=0, so lässt sich die Klasse der Lévyprozesse sehr einfach charakterisieren: Es gibt nämlich für alle solche Prozesse (Xn)n0 eine Darstellung

Xn=i=1nZi,

wobei Z1,Z2, unabhängige und identisch verteilte Zufallsvariablen sind. Andererseits ist für jede Folge von unabhängigen Zufallsvariablen (Zi)i, die alle die gleiche beliebig vorgegebene Verteilung haben, durch X0=0 und Xn=i=1nZi ein Lévyprozess X definiert. Im zeitdiskreten Fall ist ein Lévyprozess also im Prinzip nichts anderes als eine Irrfahrt mit beliebiger, aber gleich bleibender Sprungverteilung. Das einfachste Beispiel für einen zeitdiskreten Lévyprozess ist demnach auch die symmetrische einfache Irrfahrt, bei dem 2X11 symmetrisch bernoulliverteilt ist. Hier bewegt sich der Prozess X, startend bei X0=0, in jedem Schritt mit Wahrscheinlichkeit ½ um Eins nach oben, andernfalls um Eins nach unten.

Zeitstetige Lévyprozesse

Ein Gamma-Prozess ist ein Lévyprozess, bei dem die Zuwächse unabhängig und gammaverteilt sind. Dies ist möglich, da die Gammaverteilung unendlich teilbar ist. Der Prozess ist fast sicher monoton wachsend, er ist also ein Subordinator. Der Prozess hat unendliche Aktivität und keine Diffusionskomponente. Die beiden zufälligen Pfade sind von Trajektorien von Gamma-Prozessen, mit den shape-Parametern 0.7 (rot) und 0.25 (blau)

Im Fall T=[0,) ist die Charakterisierung nicht mehr so leicht: So gibt es zum Beispiel keinen zeitstetigen Lévyprozess, bei dem X1 wie oben bernoulliverteilt ist.

Jedoch sind zeitstetige Lévyprozesse eng verwandt mit dem Begriff der unendlichen Teilbarkeit: Ist nämlich (Xt)t0 ein Lévyprozess, so ist X1 unendlich teilbar. Andererseits legt eine unendlich teilbare Zufallsvariable X1 bereits die Verteilung des gesamten Lévyprozesses (Xt)t1 eindeutig fest. Jedem Lévyprozess entspricht also eine unendlich teilbare Verteilungsfunktion und umgekehrt.

Drei Trajektorien von Lévyprozessen vom Typ Variance-Gamma

Wichtige Beispiele für zeitstetige Lévyprozesse sind der Wienerprozess (auch Brownsche Bewegung genannt), bei dem die unendlich teilbare Verteilung von X1 eine Normalverteilung ist, oder der Poissonprozess, bei dem X1 poissonverteilt ist. Doch auch viele andere Verteilungen, beispielsweise die Gammaverteilung oder die Cauchyverteilung, können zur Konstruktion von Lévyprozessen herangezogen werden. Neben dem deterministischen Prozess Xt=σt ist der Wienerprozess mit konstanter Drift und konstanter Volatilität der einzige stetige Lévyprozess, d. h. aus der Stetigkeit eines Lévyprozesses folgt schon die Normalverteilung seiner Zuwächse. Es existiert jedoch beispielsweise kein Lévyprozess mit gleichverteilten Zuständen.

Wichtig ist auch der Begriff der endlichen und unendlichen Aktivität: Gibt es in einem Intervall unendlich viele (und damit unendlich kleine) Sprünge oder nicht? Auskunft darüber gibt auch das Lévymaß.

Weiterhin sind Subordinatoren von Bedeutung, das sind Lévyprozesse mit fast sicher monoton wachsenden Pfaden. Ein Beispiel dafür ist der Gamma-Prozess. Die Differenz von zwei Gamma-Prozessen wird als variance-gamma-process bezeichnet.

Weitere Definition

Ein stochastischer Prozess Xt,t0 über einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,,P) heißt Lévyprozess, wenn

  • X0=0,
  • Xt unabhängige und stationäre Zuwächse hat und
  • Xt stochastisch stetig ist, d. h. für beliebige ε>0 und t00 gilt
limtt0P(|XtXt0|>ε)=0.

Lévy-Chintschin-Formel

Vorlage:Hauptartikel Für jeden d-wertigen Lévyprozess (Xt)t0 lässt sich seine charakteristische Funktion schreiben in der Form:

E(eizXt)=etψ(z)

mit dem charakteristischen Exponenten

ψ(z)=12z,Az+iγ,z+d(eiz,x1iz,x1|x|1)ν(dx)

und dem charakteristischen Tripel (A,ν,γ). Dabei ist Ad×d eine symmetrische positiv definite Matrix, γd ein Vektor und ν ein Maß auf d mit

ν({0})=0 und dmin(|x|2,1)dν(x)<.

Das charakteristische Tripel ist durch den Prozess eindeutig bestimmt.

Benannt ist diese Darstellung der charakteristischen Funktion eines Lévyprozesses nach Paul Lévy und Alexandr Chintschin.

Lévy-Itō-Zerlegung

Jeder Lévyprozess kann als eine Summe aus einer brownschen Bewegung, einem linearen Driftprozess und einem reinen Sprungprozess, welcher alle Sprünge des ursprünglichen Lévyprozesses beinhaltet, dargestellt werden. Diese Aussage ist bekannt als Lévy-Itō-Zerlegung.

Sei (Xt)t0 ein Lévyprozess in d mit charakteristischem Tripel (A,ν,γ). Dann gibt es drei unabhängige Lévyprozesse, die alle auf dem gleichen Wahrscheinlichkeitsraum definiert sind, X(1), X(2), X(3), so dass:

  • X(1) ist eine brownsche Bewegung mit Drift, also ein Lévyprozess mit charakteristischem Tripel (A,0,γ);
  • X(2) ist ein Lévyprozess mit charakteristischem Tripel (0,ν|d{x;|x|1},0) (also ein Compound-Poissonprozess);
  • X(3) ist ein quadratintegrierbares Martingal und ein reiner Sprungprozess mit dem charakteristischen Tripel (0,ν|{x;|x|<1},0).

Wichtige Eigenschaften

E(Xt)=tE(X1). Analog gilt für die Varianz
Var(Xt)=tVar(X1) (vorausgesetzt die entsprechenden Momente existieren zum Zeitpunkt 1). Für die Kovarianzfunktion gilt
Cov(Xs,Xt)=Var(Xmin(s,t))=min(s,t)Var(X1).

Literatur

  • J. Bertoin: Lévy Processes. Cambridge Tracts in Mathematics, Vol. 121, Cambridge University Press 2002, ISBN 0-521-64632-4
  • A. E. Kyprianou: Introductory Lectures on fluctuations of Lévy process with applications. Universitext, Springer.
  • Philip E. Protter: Stochastic Integration and Differential Equations. Springer, Berlin 2003, ISBN 3-540-00313-4
  • Rama Cont, Peter Tankov: Financial Modelling with Jump Processes. Chapman & Hall, 2003, ISBN 1-58488-413-4
  • Ken-iti Sato: Lévy Processes and Infinitely Divisible Distributions. Cambridge studies in advanced mathematics, 1999, ISBN 0-521-55302-4

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