Klassenkörperturm

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Vorlage:QS-Mathematik In der Klassenkörpertheorie wird der Hilbertsche p-Klassenkörperturm eines vorgegebenen algebraischen Zahlkörpers K für eine feste Primzahl p rekursiv erklärt durch den Rekursionsbeginn (Initialisierung) Fp0(K):=K und durch die iterierte Bildung des Hilbertschen p-Klassenkörpers Fp1 des jeweiligen Vorgängers im Allgemeinen Rekursionsschritt Fpn+1(K):=Fp1(Fpn(K)) für jede ganze Zahl n0. Insgesamt ergibt sich ein Turm von Körpererweiterungen

(1)K=Fp0(K)Fp1(K)Fp2(K)Fpn(K)Fp(K),

wobei die Vereinigung Fp(K):=i0Fpi(K) oft selbst als p-Klassenkörperturm bezeichnet wird. Für die Rekursion werden niemals die allgemeineren Begriffe der Strahlklassenkörper und Ringklassenkörper verwendet, sondern stets der absolute oder Hilbertsche p-Klassenkörper als maximale (mit Relativführer f=1) unverzweigte p-Erweiterung mit Primzahlpotenz-Grad und abelscher, also kommutativer, Galoisgruppe Gal(Fp1(K)/K). Die Bezeichnung Klassenkörper rührt daher, dass nach dem Artinschen Reziprozitätsgesetz die Automorphismengruppe Gal(Fp1(K)/K) nicht nur irgendeine abelsche Gruppe ist, sondern ganz speziell isomorph zur (abelschen) p-Idealklassengruppe Clp(K)=Sylp(Cl(K)), das heißt zur Sylow p-Untergruppe der Idealklassengruppe Cl(K), des Grundkörpers K.

Bereits im Jahr 1925 haben P. Furtwängler und O. Schreier die Frage aufgeworfen, ob es Türme gibt, die nicht stationär werden, mit einer endlichen Länge und Fpi(K)=Fp(K) für alle i, sondern bei denen in der Formel (1) stets die strikte Ungleichung < anstelle von gilt. Es dauerte fast 40 Jahre, bis E. Golod und I. Shafarevich dieses Problem schließlich im Jahr 1964 mit Methoden der Galois-Kohomologie affirmativ lösen konnten. Sie zeigten, dass ein Grundkörper K mit hinreichend großem p-Klassenrang rankp(Clp(K)) tatsächlich einen unendlichen p-Klassenkörperturm besitzt.[1]

Der Turm kann auch kompakter, aber äquivalent, in der folgenden Weise definiert werden, wobei allerdings die Etagen-Struktur verborgen bleibt:

In der algebraischen Zahlentheorie, also der Theorie der komplexen Nullstellen α,P(α)=0, von univariaten Polynomen P(X)[X] mit ganzen rationalen Zahlen als Koeffizienten, versteht man unter dem p-Klassenkörperturm eines algebraischen Zahlkörpers K=(α) die maximale unverzweigte pro-p-Erweiterung Fp(K) von K für eine fest vorgegebene Primzahl p. Durch das Zulassen unendlicher Körpererweiterungen wird hier bereits die von Golod und Shafarevich bewiesene Möglichkeit unbeschränkter Klassenkörpertürme berücksichtigt.

Die Gruppe der Automorphismen von Fp(K), welche den Grundkörper K invariant lassen, heißt die p-Turmgruppe G:=Gp(K):=Gal(Fp(K)/K) von K. Im Fall eines unendlichen p-Klassenkörperturms Fp(K) ist G eine topologische Gruppe mit der Krull-Topologie.

Tabelle 1: Invarianten der 3-Klassenkörpertürme imaginär-quadratischer Zahlkörper
d Typus κ τ G32(K) G3(K) Ref.
-3896 H.4 (4443) [111,111,21,111] ⟨729,45⟩ ⟨6561,606⟩ [2]
-4027 D.10 (2241) [21,21,111,21] ⟨243,5⟩ ⟨243,5⟩ [3]
-9748 E.9 (2231) [32,21,21,21] ⟨2187,302⟩ ⟨6561,620⟩ [4]
oder ⟨2187,306⟩ ⟨6561,624⟩
-12131 D.5 (4224) [111,21,111,21] ⟨243,7⟩ ⟨243,7⟩ [3]
-15544 E.6 (1313) [32,21,111,21] ⟨2187,288⟩ ⟨6561,616⟩ [2]
-16627 E.14 (2313) [32,21,111,21] ⟨2187,289⟩ ⟨6561,617⟩ [2]
oder ⟨2187,290⟩ ⟨6561,618⟩
-34867 E.8 (1231) [32,21,21,21] ⟨2187,304⟩ ⟨6561,622⟩ [2]

Stufen und Länge des p-Klassenkörperturms

Die absteigende Reihe der iterierten Kommutatorgruppen von G, G=G(0)>G(1)>G(2)> mit G(n+1):=[G(n),G(n)] für n0, gibt im Sinne der Galois-Korrespondenz Anlass für die Stufen (Etagen, Stockwerke) des Turms, welche gegeben sind durch Fpn(K):=Fix(G(n)), beziehungsweise gleichwertig durch Gal(Fp(K)/Fpn(K))=G(n), für n0.

Aufgrund des Isomorphiesatzes ist Gpn(K):=Gal(Fpn(K)/K)Gal(Fp(K)/K)/Gal(Fp(K)/Fpn(K))=G/G(n) die Galois-Gruppe des n-ten Hilbertschen p-Klassenkörpers Fpn(K) von K, isomorph zum n-ten abgeleiteten Quotienten von G, und wird als n-te p-Klassengruppe von K bezeichnet. Für n=1 ergibt sich mit Hilfe des Reziprozitätsgesetzes von Artin [5] die Isomorphie der Abelisierung der p-Turmgruppe, G/G(1)Gal(Fp1(K)/K)Clp(K), zur (gewöhnlichen) ersten p-Klassengruppe von K, also zur Sylow-p-Untergruppe der (endlichen abelschen) Idealklassengruppe Cl(K) von K, als Galois-Gruppe der maximalen abelschen unverzweigten p-Erweiterung Fp1(K) von K.

Die p-Turmgruppe G ist entweder eine unendliche pro-p-Gruppe mit endlicher Abelisierung G/G(1) oder eine endliche p-Gruppe. Im ersteren Fall ist auch der p-Klassenkörperturm von K, K<Fp1(K)<Fp2(K)<<Fp(K), von unendlicher Länge λp(K)= und G=Gp(K)limGpn(K) ist der projektive Limes der Galois-Gruppen aller Stufen des Turmes. Im letzteren Fall ist G auflösbar und nilpotent und der Turm K<Fp1(K)<Fp2(K)<<Fpλ(K)=Fpλ+1(K)=Fp(K) endet bei der abgeleiteten Länge von G, λp(K)=λ=dl(G), präziser ausgedrückt: wird dort stationär.

Relationenrang der p-Turmgruppe

Für die Bestimmung der Länge eines p-Klassenkörperturms ist die Abschätzung des Relationenrangs von G=Gp(K) von entscheidender Bedeutung.

G operiert trivial auf dem endlichen Körper 𝔽p mit p Elementen und die kohomologischen Dimensionen d1(G):=dim𝔽pH1(G,𝔽p), bzw. d2(G):=dim𝔽pH2(G,𝔽p), heißen Generatorenrang, bzw. Relationenrang, von G.

Für einen Grundkörper K mit der Signatur (r,c), also mit dem torsionsfreien Dirichlet-Einheitenrang u:=r+c1, hat Shafarevich[6] die folgende Abschätzung des Relationenrangs der p-Turmgruppe hergeleitet: d1(G)d2(G)d1(G)+u+θ, wobei θ:=1, falls K die p-ten Einheitswurzeln enthält, und θ:=0 anderenfalls.

Aufgrund der Isomorphie G/G(1)Clp(K) ist der Generatorenrang d1(G) von G gleich dem p-Klassenrang ρp(K) von K, also gleich der Anzahl der Basiselemente der p-Klassengruppe Clp(K).

Für den besonders ausführlich untersuchten einfachsten Spezialfall eines imaginär-quadratischen Grundkörpers K haben Koch und Venkov[7] aus dem kohomologischen Kriterium von Shafarevich das folgende grundlegende Resultat abgeleitet.

Satz von Koch und Venkov. Für eine ungerade Primzahl p3 ist die p-Turmgruppe G=Gp(K) eines imaginär-quadratischen Zahlkörpers K eine sogenannte Schur σ-Gruppe mit ausgewogener Präsentation d2(G)=d1(G) und mit einem Automorphismus σAut(G), welcher auf der Abelisierung G/G(1) die Inversion xx1 hervorruft. (Wegen der Isomorphie G/G(1)H1(G,𝔽p) heißt σ ein generatoren-invertierender (GI-)Automorphismus.)

Zusatz von Schoof.[8] Für eine ungerade Primzahl p3 und für jede ganze Zahl n2 besitzt die n-te p-Klassengruppe Gn=Gpn(K) eines beliebigen (imaginären oder reellen) quadratischen Zahlkörpers K einen Automorphismus σAut(Gn), der sowohl auf H1(Gn,𝔽p) als auch auf H2(Gn,𝔽p) die Inversion xx1 induziert. (σ heißt daher ein relatoren-invertierender (RI-)Automorphismus.)

Tabelle 2: Invarianten der 3-Klassenkörpertürme reell-quadratischer Zahlkörper
d Typus κ τ G32(K) G3(K) Ref.
32009 a.3 (2000) [21,11,11,11] ⟨81,8⟩ ⟨81,8⟩ [3]
62501 a.1 (0000) [22,11,11,11] ⟨729,99⟩ ⟨729,99⟩ [9]
72329 a.2 (1000) [21,11,11,11] ⟨81,10⟩ ⟨81,10⟩ [3]
142097 a.3 (2000) [111,11,11,11] ⟨81,7⟩ ⟨81,7⟩ [3]
152949 a.1 (0000) [22,11,11,11] ⟨729,100⟩ ⟨729,100⟩ [9]
214712 G.19 (4321) [21,21,21,21] ⟨729,57⟩ ⟨2187,311⟩ [10]
252977 a.1 (0000) [22,11,11,11] ⟨729,101⟩ ⟨729,101⟩ [9]
342664 E.9 (2231) [32,21,21,21] ⟨2187,302⟩ ⟨6561,620⟩ [10]
oder ⟨2187,306⟩ ⟨6561,624⟩
494236 a.3↑ (2000) [32,11,11,11] ⟨729,97⟩ ⟨729,97⟩ [3]
oder ⟨729,98⟩ ⟨729,98⟩
534824 c.18 (0313) [22,21,111,21] ⟨729,49⟩ ⟨2187,291⟩ [11]
540365 c.21 (0231) [22,21,21,21] ⟨729,54⟩ ⟨2187,307⟩ [11]
oder ⟨2187,308⟩
790085 a.2↑ (1000) [32,11,11,11] ⟨729,96⟩ ⟨729,96⟩ [3]
957013 H.4 (4443) [111,111,21,111] ⟨729,45⟩ ⟨2187,273⟩ [10]
2905160 a.1↑ (0000) [33,11,11,11] ⟨6561,2227⟩ ⟨6561,2227⟩ [9]
3918837 E.14 (2313) [32,21,111,21] ⟨2187,289⟩ ⟨2187,289⟩ [10]
oder ⟨2187,290⟩ ⟨2187,290⟩
4760877 E.9 (2231) [32,21,21,21] ⟨2187,302⟩ ⟨2187,302⟩ [10]
oder ⟨2187,306⟩ ⟨2187,306⟩
5264069 E.6 (1313) [32,21,111,21] ⟨2187,288⟩ ⟨6561,616⟩ [10]
6098360 E.8 (1231) [32,21,21,21] ⟨2187,304⟩ ⟨6561,622⟩ [10]
7153097 E.6 (1313) [32,21,111,21] ⟨2187,288⟩ ⟨2187,288⟩ [10]
8632716 E.8 (1231) [32,21,21,21] ⟨2187,304⟩ ⟨2187,304⟩ [10]
9433849 E.14 (2313) [32,21,111,21] ⟨2187,289⟩ ⟨6561,617⟩ [10]
oder ⟨2187,290⟩ ⟨6561,618⟩
10200108 a.3↑↑ (2000) [43,11,11,11] ⟨6561,2223⟩ ⟨6561,2223⟩ [9]
oder ⟨6561,2224⟩ ⟨6561,2224⟩
10399596 a.1↑ (0000) [33,11,11,11] ⟨6561,2225⟩ ⟨6561,2225⟩ [9]
14458876 a.2↑↑ (1000) [43,11,11,11] ⟨6561,2222⟩ ⟨6561,2222⟩ [9]
27780297 a.1↑ (0000) [33,11,11,11] ⟨6561,2226⟩ ⟨6561,2226⟩ [9]

Artin-Muster der p-Turmgruppe

Auf dem Wege zur Identifikation der p-Turmgruppe G eines vorgegebenen Zahlkörpers K verwendet man zunächst das Artin-Muster AP=(κ,τ), um die Metabelianisierung M:=G/G(2) von G zu finden.

Dieses Muster besteht aus der Gesamtheit der Kerne κ:=(ker(VG,U)) und Ziele τ:=(U/U(1)), genauer: der logarithmischen abelschen Quotienten-Invarianten der Ziele, der Artin-Verlagerungen VG,U:G/G(1)U/U(1) der Gruppe G in ihre maximalen Untergruppen U vom Index p.

In vielen Fällen führt diese Strategie der Mustererkennung mittels Artin-Verlagerungen zur eindeutigen Identifizierung zumindest der zweiten Stufe des Turmes, also der metabelschen Galois-Gruppe MGp2(K) des zweiten Hilbert-p-Klassenkörpers Fp2(K) von K, als Approximation der vollen p-Turmgruppe G. Auf jeden Fall liefert dieser Prozess nur endlich viele Kandidaten für Gp2(K).

Historisch gesehen, geht die Idee zu dieser Vorgangsweise auf die Untersuchungen von Arnold Scholz und Olga Taussky-Todd[12] im Jahre 1934 zurück, aus welchen auch die Bezeichnungen für den Typus[13] in den Tabellen 1 und 2 herrühren. Diese Autoren bestimmten aus dem Kapitulationstypus (kurz: Typus) κ imaginärquadratischer Zahlkörper K mit elementarer 3-Klassengruppe Cl3(K) vom Rang ρ3(K)=2 die symbolische Ordnung, das heißt das Annihilatorideal[14] aller bivariaten Polynome f(X,Y)[X,Y] mit der Eigenschaft sf(x,y)=1, des Hauptkommutators s=[y,x] der metabelschen Gruppe M:=G32(K) vom Erzeugendenrang d1(M)=2, also mit zwei Generatoren x und y.

Die zweite Komponente τ des Artin-Musters kam bei Scholz und Taussky noch in einer rudimentären Ausprägung in Form der 3-Klassenzahlen der vier unverzweigten zyklisch-kubischen Erweiterungen von K ins Spiel, war aber zusammen mit κ hinreichend für die eindeutige Identifikation der Gruppe M.

In der experimentellen, computerunterstützten Mathematik dient das Artin-Muster als Suchbegriff für Datenbankabfragen entweder in der SmallGroups Bibliothek[15] oder in Erweiterungen dieser Bibliothek, die mithilfe des p-Gruppen-Erzeugungs-Algorithmus von M. F. Newman[16] und E. A. O' Brien[17] konstruiert werden. Die Verwendung der expliziten Struktur von τ in Form der abelschen Typinvarianten der 3-Klassengruppen (anstelle der 3-Klassenzahlen) der vier unverzweigten zyklisch-kubischen Erweiterungen von K kann dabei zu einer erheblichen Einschränkung der Kandidaten für die Gruppe M führen.

Konkrete Beispiele von p-Klassenkörpertürmen

Systematisch erforscht wurden bisher die p-Klassenkörpertürme von quadratischen Zahlkörpern für ungerade Primzahlen p3.

Ein quadratischer Zahlkörper K=(d) entsteht durch Adjunktion einer der beiden Nullstellen d und d des Polynoms P(X)=X2d mit einer Fundamentaldiskriminante d0,1(mod4), d1, an den Körper der rationalen Zahlen. Einige grundlegende Regeln für die Länge λp(K) des p-Klassenkörperturms eines quadratischen Zahlkörpers K lassen sich in Termen des p-Klassenrangs ρp(K) von K ausdrücken:

  1. Der triviale Fall λp(K)=0 tritt bei einem beliebigen Zahlkörper K genau dann auf, wenn auch ρp(K)=0, also die Klassenzahl von K nicht durch p teilbar ist.
  2. Einstufige Türme mit λp(K)=1 sind bei quadratischen Grundkörpern K charakteristisch für zyklische p-Klassengruppen mit ρp(K)=1. Diese Äquivalenz geht bei anderen Arten von Grundkörpern leider verloren. So ist für Zahlkörper K dritten und vierten Grades die Bedingung ρp(K)=1 zwar noch hinreichend aber im Allgemeinen nicht mehr notwendig für λp(K)=1.
  3. Koch und Venkov[7] haben gezeigt, dass imaginär-quadratische Zahlkörper K mit mindestens dreibasiger p-Klassengruppe, also mit ρp(K)3, einen unendlichen p-Klassenkörperturm mit λp(K)= besitzen.
  4. Den abwechslungsreichsten Fall bilden die quadratischen Zahlkörper K mit p-Klassenrang ρp(K)=2, für die theoretisch alle Längen 2λp(K) möglich sind, von denen aber bisher (Stand 28. April 2020) nur Situationen mit λp(K)=2 und λp(K)=3 rigoros nachgewiesen werden konnten.

Die zweite Etage G32(K) des 3-Klassenkörperturms aller quadratischen Zahlkörper K=(d) mit Fundamentaldiskriminanten d im Bereich 106<d<107 und elementarer 3-Klassengruppe Cl3(K) vom Rang zwei wurde im Jahre 2010 in einem aufwendigen, mehrere Monate an CPU-Zeit in Anspruch nehmenden Projekt[18] bestimmt, dessen zugrundeliegende neuartige Algorithmen unter dem Schlagwort Kapitulationstypus mittels Klassengruppenstruktur [3] publiziert wurden, weil für die Bewältigung der 4596 zu analysierenden Zahlkörper der von Scholz und Taussky,[12] sowie auch von Heider und Schmithals,[19] benutzte Algorithmus zu wenig effizient gewesen wäre.

Die dritte Etage G33(K) eines 3-Klassenkörperturms, nämlich jedes imaginär-quadratischen Zahlkörpers K=(d), d<0, mit elementarer 3-Klassengruppe Cl3(K) vom Rang zwei und Artin-Muster AP=(κ,τ) mit Kapitulation κ=(2231) vom Typus E.9 und logarithmischen abelschen Quotienten-Invarianten τ=[32,21,21,21], wurde im Lauf der Geschichte erstmals 2012 von Boston, Bush und Mayer[4] unzweifelhaft mit präziser Länge λ3(K)=3 identifiziert, nachdem Scholz und Taussky,[12] sowie Heider und Schmithals,[19] die fehlerhafte Zweistufigkeit λ3(K)=2 behauptet hatten. Entscheidend für den Beweis war die Tatsache, dass die Metabelianisierung M=2187,302, bzw. 2187,306, von G keine Schur σ-Gruppe ist, die 3-Turmgruppe G=6561,620, bzw. 6561,624, mit dl(G)=3 hingegen sehr wohl.

Weitere exakt dreistufige 3-Klassenkörpertürme der Typen E.6, E.14 und E.8 für imaginär-quadratische Körper[2] sowie c.18 und c.21 für reell-quadratische Körper[11] wurden im Jahr 2015 entdeckt.

Im selben Jahr wurden auch reell-quadratische Körper der Typen E.6, E.14, E.8 und E.9 auf die Länge ihres 3-Klassenkörperturms untersucht[10], wobei sich die Kuriosität herausstellte, dass die von Scholz und Taussky für den imaginären Fall fälschlich behauptete Länge λ3(K)=2 im reellen Fall tatsächlich erlaubt ist und von der Dreistufigkeit λ3(K)=3 durch streng deterministische Kriterien unterschieden werden kann.

Im Jahr 2017 schließlich gelang noch die Ermittlung der Feinstruktur der reell-quadratischen Zahlkörper K=(d), d>0, mit elementarer 3-Klassengruppe Cl3(K) vom Rang zwei und Artin-Muster AP=(κ,τ) mit vierfacher Totalkapitulation κ=(0000) vom Typus a.1 (und beliebigen abelschen Quotienten-Invarianten τ) unter Verwendung der sogenannten tiefen Verlagerungen.[9]

Tabelle 1, bzw. 2, zeigt die essenziellen Invarianten des 3-Klassenkörperturmes F3(K) von allen imaginären, bzw. reellen, quadratischen Zahlkörpern K=(d) mit der Minimaldiskriminante d für das jeweilige Artin-Muster AP=(κ,τ), falls die Ordnungen der beiden Galoisgruppen G32(K) und G3(K) den Maximalwert 6561 der SmallGroups Datenbank[15] nicht überschreiten. Zahlreiche konkrete Beispiele mit 3-Turmgruppen G höherer logarithmischer Ordnung lo(G)>8 sind bekannt, [11][10] sollen aber hier nicht explizit angeführt werden, weil die Bezeichnungsweise für diese Gruppen mit Relativ-Identitäten leider viel Platz in Anspruch nimmt und auf den ersten Blick unübersichtlich aussieht. Die Symbole , bzw. , hinter dem Typus heben erste, bzw. zweite, Anregungszustände gegenüber dem Grundzustand hervor, das bedeutet Varianten von τ bei festem Typus κ. Bei Gleichheit von G32(K) und G3(K) ist λ3(K)=2, bei Verschiedenheit ist G3(K)=G33(K) und λ3(K)=3.

Ein auffallender Unterschied in der Ordnung ord(G) der 3-Turmgruppe G und gelegentlich sogar in der Länge λ3(K) des 3-Klassenkörperturms wurde zwischen imaginär-quadratischen Zahlkörpern mit negativen Diskriminanten d<0 und reell-quadratischen Zahlkörpern mit positiven Diskriminanten d>0 bei übereinstimmendem Artin-Muster AP=(κ,τ) festgestellt. So besitzen die Körper K mit Diskriminanten d=3896 und d=957013 übereinstimmend den Typus H.4 mit κ=(4443), τ=[111,111,21,111], isomorphe zweite 3-Klassengruppen G32(K)729,45 und dieselbe Länge λ3(K)=3, aber die Schur σ-Gruppe G3(K)6561,606 im imaginären Fall hat größere Ordnung als die 3-Turmgruppe G:=G3(K)2187,273 mit Relationenrang d2(G)=3 im reellen Fall. Noch gravierender ist das unterschiedliche Verhalten bei den Körpern K mit Diskriminanten d=15544 und d=7153097. Während der Typus E.6 mit κ=(1313), τ=[32,21,111,21] und die zweiten 3-Klassengruppen G32(K)2187,288 übereinstimmen, besteht der anspruchsvolle imaginäre Körper nach dem Satz von Koch und Venkov natürlich auf der Schur σ-Gruppe G3(K)6561,616 mit λ3(K)=3 aber der genügsame reelle Körper ist schon mit der nicht-balancierten Gruppe G3(K)2187,288 mit λ3(K)=2 zufrieden.

Ungelöste Probleme bei unendlichem p-Klassenkörperturm

Der p-Klassenkörperturm Fp(K) eines Zahlkörpers K kann nur dann als bekannt betrachtet werden, wenn eine pro-p-Präsentation seiner Galois-Gruppe, also der p-Turmgruppe Gp(K), mit expliziten Generatoren und Relationen vorliegt. Bei einem unendlichen Turm mit der Länge λp(K)= könnte aus dieser pro-p-Präsentation ein analytischer Ausdruck nOrdn für das Wachstum der Ordnungen Ordn:=ord(Gpn(K)) der abzählbar unendlich vielen Stufen des Turmes in Abhängigkeit von n2 angegeben werden.

Leider ist man derzeit von der Lösung dieses hochinteressanten Problems noch weit entfernt. Beispielsweise besitzt der imaginär-quadratische Zahlkörper K=(d) mit Fundamentaldiskriminante d=4447704 eine elementare 3-Klassengruppe vom Rang ρ3(K)=3, also mit logarithmischen abelschen Typinvarianten [111], und somit nach der obenstehenden grundlegenden Regel 3 einen unendlichen 3-Klassenkörperturm mit λ3(K)=. Aber die Werte der Funktion Ordn sind für n3 völlig unbekannt und für n=2, also für die Ordnung der zweiten 3-Klassengruppe Gal(F32(K)/K), konnte unter enormem Aufwand an CPU-Zeit nur die untere Abschätzung Ord2317 berechnet werden.[10] Im Jahr 2023 konnte Bill Allombert unter Verwendung des Algorithmus von Aurel Page[20] die untere Schranke sogar zu Ord2331 verbessern.[21]

Einzelnachweise