Schwache Ableitung

Aus testwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Eine schwache Ableitung ist in der Funktionalanalysis, einem Teilgebiet der Mathematik, eine Erweiterung des Begriffs der gewöhnlichen (klassischen) Ableitung. Er ermöglicht es, Funktionen eine Ableitung zuzuordnen, die nicht (stark bzw. im klassischen Sinne) differenzierbar sind.

Schwache Ableitungen spielen eine große Rolle in der Theorie der partiellen Differentialgleichungen. Räume schwach differenzierbarer Funktionen sind die Sobolev-Räume. Ein noch allgemeinerer Begriff der Ableitung ist die Distributionenableitung.

Definition

Schwache Ableitung für reelle Funktionen

Betrachtet man eine auf einem offenen Intervall I=(a,b) (klassisch) differenzierbare Funktion f, deren Ableitung f eine Lloc1-Funktion (lokal in I integrierbar) ist, und eine Testfunktion φCc(I) (das heißt, φ ist beliebig oft differenzierbar und besitzt einen kompakten Träger), dann gilt

If(t)φ(t)dt=If(t)φ(t)dt.

Hierbei wurde die partielle Integration verwendet, wobei die Randterme auf Grund der Eigenschaften der Testfunktionen wegfallen (φ(a)=0,φ(b)=0) . Lässt man die Forderung an die Integrabilität der Ableitung weg, ist das Integral auf der linken Seite der obigen Gleichung im Allgemeinen nicht wohldefiniert.

Ist f selbst eine Lloc1-Funktion, dann kann, auch wenn f nicht differenzierbar ist, eine Funktion gLloc1(I) existieren, die die Gleichung

Ig(t)φ(t)dt=If(t)φ(t)dt

für jede Testfunktion φ erfüllt. Eine solche Funktion g heißt schwache Ableitung von f. Man schreibt wie bei der klassischen Ableitung f:=g.

Höhere schwache Ableitungen

Sinngemäß zum oben beschriebenen Fall können schwache Ableitungen auch für Funktionen auf höherdimensionalen Räumen definiert werden. Entsprechend kann man auch die höheren schwachen Ableitungen definieren.

Es seien Ωn, f:Ω eine lokal integrierbare Funktion, das heißt, fLloc1(Ω), und α=(α1,,αn)0n ein Multiindex.

Eine Funktion gLloc1(Ω) heißt α-te schwache Ableitung von f, falls für alle Testfunktionen φ gilt:

Ωg(x)φ(x)dx=(1)|α|Ωf(x)Dαφ(x)dx.

Hierbei ist |α|=i=1nαi und Dα=|α|α1x1αnxn. Häufig schreibt man g=Dαf.

Man kann statt f,gLloc1(Ω) offenbar auch nur f,gLp(Ω) für 1p fordern. Die Teilmenge der Funktionen aus Lp, in der n1 schwache Ableitungen existieren, ist ein sogenannter Sobolev-Raum.

Liegt eine Funktion f:Ωm vor, so fordert man die schwache Differenzierbarkeit in jeder der m Bildkomponenten.

Erweiterungen

Die Definition der schwachen Ableitung lässt sich auf unbeschränkte Mengen (also ganz oder n), Räume periodischer Funktionen oder Räume auf der Kugel oder höherdimensionalen Sphären erweitern.

In einer weiteren Verallgemeinerung lassen sich auch Ableitungen gebrochener Ordnung gewinnen.

Eigenschaften

Eindeutigkeit

Die schwache Ableitung ist, wenn sie existiert, eindeutig: Gäbe es zwei schwache Ableitungen g1 und g2, dann müsste nach der Definition

I(g1(t)g2(t))φ(t)dt=0

für alle Testfunktionen φ gelten, was aber nach dem Lemma von Du Bois-Reymond g1=g2 bedeutet (im Lloc1-Sinne, d. h. fast überall), da die Testfunktionen dicht in Lp liegen (für 1p<).

Beziehung zur klassischen (starken) Ableitung

Bei jeder klassisch differenzierbaren Funktion f, deren Ableitung f eine Lloc1-Funktion ist, existiert die schwache Ableitung und stimmt mit der klassischen Ableitung überein, so dass man von einer Verallgemeinerung des Ableitungsbegriffs sprechen kann. Im Gegensatz zur klassischen Ableitung ist die schwache Ableitung aber nicht punktweise, sondern nur für die ganze Funktion definiert. Punktweise muss eine schwache Ableitung nicht einmal existieren. Gleichheit ist daher im Lloc1-Sinne zu verstehen, d. h. fast überall.

Es lässt sich zeigen, dass hinreichend oft vorhandene schwache Differenzierbarkeit auch wieder Differenzierbarkeit im klassischen Sinne nach sich zieht. Dies ist gerade die Aussage des Einbettungssatz von Sobolew: Unter gewissen Bedingungen existieren Einbettungen eines Sobolew-Raums mit n schwachen Ableitungen in Räume k-fach differenzierbarer Funktionen Ck mit n>k0.

Existenz

Beispiele

Schwache Ableitung Absolutbetrag
f(x)={1:x<00:x=0+1:x>0
und einer beliebigen Testfunktion φ:]a,b[ gerade
abφ(x)f(x)dx=a0φ(x)xdx+0bφ(x)xdx=(a0φ(x)(1)dx+0bφ(x)1dx)=abφ(x)f(x)dx.
Somit ist f eine schwache Ableitung von f.
Da {0} eine Nullmenge ist und daher bei der Integration unbedeutend ist, kann man den Wert an der Stelle 0 beliebig setzen. Die oben gewählte Ableitung ist die Signumfunktion. Die Signumfunktion selbst ist nicht mehr schwach differenzierbar, aber man kann sie im Sinne von Distributionen ableiten.
  • Die Funktion
f(x)={x2sin(1x2):x00:x=0
ist klassisch differenzierbar auf dem Intervall I=(1,1), aber nicht schwach differenzierbar. Das Problem ist, dass die Ableitung
f(x)={2xsin(1x2)2xcos(1x2):x00:x=0
auf jeder beliebigen 0 enthaltenden, kompakten Teilmenge von I nicht Lebesgue-integrierbar ist. Damit ist insbesondere das Integral If(t)φ(t)dt nicht für alle Testfunktionen φCc(I) wohldefiniert.

Literatur

  • Dirk Werner: Funktionalanalysis, Springer-Verlag, Berlin, ISBN 978-3-540-72533-6.
  • Lawrence Evans: Partial Differential Equations, American Mathematical Society, ISBN 0-8218-0772-2.