Satz von Radon-Nikodým

Aus testwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

In der Mathematik verallgemeinert der Satz von Radon-Nikodým die Ableitung einer Funktion auf Maße und signierte Maße.[1] Er gibt darüber Auskunft, wann ein (signiertes) Maß ν durch das Lebesgue-Integral einer Funktion f darstellbar ist, und ist sowohl für die Maß- als auch für die Wahrscheinlichkeitstheorie von zentraler Bedeutung.[2]

Benannt ist der Satz nach dem österreichischen Mathematiker Johann Radon, der 1913 den Spezialfall n bewies, und dem Polen Otton Marcin Nikodým, der 1930 den allgemeinen Fall beweisen konnte.[3] Weiterentwicklungen und neuartige Ansätze des Theorems existieren.[4][5]

Vorbemerkung

Ist μ ein Maß auf dem Messraum (X,𝒜) und ist f:X eine bezüglich μ integrierbare oder quasiintegrierbare messbare Funktion, so wird durch

ν(E)=Efdμ für alle E𝒜,

ein signiertes Maß ν auf (X,𝒜) definiert. Ist f nicht-negativ, so ist ν ein Maß. Ist f integrierbar bezüglich μ, so ist ν endlich.

Die Funktion f heißt dann Dichtefunktion von ν bezüglich μ. Ist E𝒜 eine μ-Nullmenge, das heißt, ist μ(E)=0, so ist auch ν(E)=0. Das (signierte) Maß ν ist also absolut stetig bezüglich μ (in Zeichen νμ).

Der Satz von Radon-Nikodým besagt, dass unter bestimmten Bedingungen auch die Umkehrung gilt:

Formulierung des Satzes

Sei μ ein σ-endliches Maß auf dem Messraum (X,𝒜) und sei ν ein σ-endliches signiertes Maß, das absolut stetig bezüglich μ ist (νμ).

Dann besitzt ν eine Dichtefunktion bezüglich μ, das heißt, es existiert eine messbare Funktion f:X, so dass

ν(E)=Efdμ für alle E𝒜.

Ist g eine weitere Funktion mit dieser Eigenschaft, so stimmt sie μ-fast überall mit f überein. Ist ν ein Maß, so ist f nicht-negativ. Ist ν endlich, so ist f integrierbar bezüglich μ.

Die Dichtefunktion f wird auch als Radon-Nikodým-Dichte oder Radon-Nikodým-Ableitung von ν bezüglich μ bezeichnet und in Analogie zur Differentialrechnung als dνdμ geschrieben.

Der Satz kann auf komplexe, aber nicht generell auf vektorielle Maße ν verallgemeinert werden. Im Fall vektorieller Maße hängt die Gültigkeit vom verwendeten Banachraum für die Werte des Maßes ab. Diejenigen Räume, für die der Satz seine Gültigkeit behält, nennt man Räume mit der Radon-Nikodym-Eigenschaft.

Eigenschaften

  • Es seien ν, μ, und λ σ-endliche Maße auf demselben Messraum. Falls νλ und μλ (ν und μ sind absolut stetig bezüglich λ), dann gilt
d(ν+μ)dλ=dνdλ+dμdλ   λ-fast überall.
  • Falls νμλ ist, dann gilt
dνdλ=dνdμdμdλ   λ-fast überall.
  • Falls μλ und g eine μ-integrierbare Funktion ist, dann gilt
Xgdμ=Xgdμdλdλ.
  • Falls μν und νμ ist, dann gilt
dμdν=(dνdμ)1.
d|ν|dμ=|dνdμ|.

Spezialfall Wahrscheinlichkeitsmaße

Es sei (Ω,,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und Q sei ein zu P äquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaß, d. h. PQ und QP. Dann existiert eine positive Zufallsvariable ZL1(P), so dass dQdP=Z und EP(Z)=1, wobei EP den Erwartungswert bezüglich P bezeichnet. Ist X eine reelle Zufallsvariable, so ist XL1(Q) genau dann, wenn XZL1(P). Für den Erwartungswert bezüglich Q gilt in diesem Fall EQ(X)=EP(XZ). (Für die Notation siehe auch Lp-Raum.)

Ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß P auf der reellen Geraden absolut stetig bzgl. des Lebesgue-Maßes λ, so ist die Radon-Nikodým-Dichte dPdλ die Wahrscheinlichkeitsdichte von P, im Sinne von Gleichheit λ-fast überall. In diesem Fall nennt man P eine absolutstetige Wahrscheinlichkeitsverteilung; insbesondere kann P dann nicht diskret sein.

Weiterführende Aussagen

Der Zerlegungssatz von Lebesgue liefert eine weiterführende Aussage für den Fall, dass ν nicht absolut stetig bezüglich μ ist. Er befasst sich mit der Existenz und Eindeutigkeit einer Zerlegung von ν, so dass ein Teil absolutstetig bezüglich μ ist, also eine Dichte bezüglich μ besitzt, und ein anderer Teil singulär bezüglich μ ist.

Ebenso gibt es Formulierungen des Satzes von Radon-Nikodým für größere Klassen von Maßräumen als die σ-endlichen Maßräume, die sogenannten zerlegbaren Maßräume.

Mithilfe des Begriffs der Kontiguität kann eine Version des Satzes in der asymptotischen Wahrscheinlichkeitstheorie bewiesen werden. Dort ist der Satz als Le Cams drittes Lemma bekannt.

Literatur

Einzelnachweise

Vorlage:Normdaten