Runge-Kutta-Verfahren

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Einige Runge-Kutta-Verfahren im Vergleich.

Die nach Carl Runge und Martin Wilhelm Kutta benannten s-stufigen Runge-Kutta-Verfahren sind Einschrittverfahren zur näherungsweisen Lösung von Anfangswertproblemen in der numerischen Mathematik. Wenn von dem Runge-Kutta-Verfahren gesprochen wird, ist in der Regel das klassische Runge-Kutta-Verfahren gemeint; dieses bildet jedoch nur einen Spezialfall dieser Familie von Verfahren.

Allgemeine Formulierung

Gegeben sei ein Anfangswertproblem:

y(t)=f(t,y(t)),y(t0)=y0,y:d

mit exakter Lösung y(t). Die exakte Lösung kann im Allgemeinen nicht oder nicht effizient angegeben werden, weshalb man sich mit einer Näherung yn an diskreten Stellen tn begnügt. Es gibt verschiedene Methoden zur Berechnung dieser Näherung, zum Beispiel Einschrittverfahren, wie diese Runge-Kutta-Verfahren, oder Mehrschrittverfahren.

Die s-stufigen Runge-Kutta-Verfahren sind Einschrittverfahren, die durch Ausdrücke der folgenden Art gegeben sind:

yn+1=yn+hj=1sbjkj.

Dabei bezeichnet h die Schrittweite zwischen den aufeinanderfolgenden Stützstellen tn und tn+1. Die Koeffizienten bj definieren das jeweilige Verfahren und können als Gewichte der Quadraturformel für das Integral tntn+1f(t,y(t))dt interpretiert werden. Die Größen kj bezeichnet man als Zwischenschritte, sie entsprechen Auswertungen der rechten Seite f an bestimmten Knoten:

kj=f(tn+hcj,yn+hl=1sajlkl),j=1,...,s.

Die cj und ajl sind weitere für das Verfahren charakteristische Koeffizienten und können als Knoten und Gewichte der Quadraturformeln zur Berechnung der kj verstanden werden.

Ein allgemeines Runge-Kutta-Verfahren ist implizit, es müssen also zur Bestimmung der kj (lineare oder nichtlineare, je nach Aufbau von f) Gleichungssysteme gelöst werden, weil in der Formel für kj sowohl links wie auch rechts alle k. vorkommen. Gilt aber ajl=0 für alle lj, dann ist das Verfahren explizit, d. h. man muss kein Gleichungssystem lösen: Denn dann kann man jedes kj aus den vorher bestimmten kl mit l<j ermitteln.

Die Steuerung der Schrittweite h ist von besonderem Interesse. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Funktion in Bereichen, in denen nur geringe Änderungen zwischen yn+1 und yn vorliegen, mit weniger Rechenschritten auskommt als in solchen, in denen schnelle Änderungen vorliegen.

Beispiel

Ein Beispiel ist das dreistufige Runge-Kutta-Verfahren: yn+1=yn+h(16k1+46k2+16k3) mit den Zwischenstufen

k1=f(tn,yn)
k2=f(tn+h2,yn+h2k1)
k3=f(tn+h,ynhk1+2hk2)

Butcher-Tableau

Man kann die charakteristischen Koeffizienten cj, bj, ajl übersichtlich im Runge-Kutta-Tableau (auch Butcher-Schema, -Tableau oder engl. Butcher array genannt) anordnen. Hierbei ist die Matrix A bei einem expliziten Verfahren eine strikte untere Dreiecksmatrix (Nilpotente Dreiecksmatrix).

𝐜A𝐛𝐓=c1a11a12a1sc2a21a22a2scsas1as2assb1b2bs,  c=[c1cjcs],b=[b1bjbs],A=[a11a1la1saj1ajlajsas1aslass].

Konsistenzordnung und Konvergenzordnung

Eine wichtige Eigenschaft zum Vergleich von Verfahren ist die Konsistenzordnung, die auf dem Begriff des lokalen Diskretisierungsfehlers τ=yn+1y(tn+1) beruht. Dabei ist yn+1 die numerische Lösung nach einem Schritt und y(tn+1) die exakte Lösung. Ein Einschrittverfahren heißt konsistent von der Ordnung p (hat Konsistenzordnung p), falls für den lokalen Diskretisierungsfehler gilt:

τ𝒪(hp+1) (Zur Notation siehe Landau-Symbole).

Die Konsistenzordnung kann durch Taylorentwicklung von τ oder der exakten und numerischen Lösung bestimmt werden. Allgemein gilt:

Konsistenzordnung p und Stabilität Konvergenzordnung p

Bei Einschrittverfahren wie den Runge-Kutta-Verfahren gilt sogar, sofern f und die Verfahrensvorschrift Lipschitz-stetig sind:

Konsistenzordnung p Konvergenzordnung p

Aus der Konsistenzbedingung (z. B. soll das Verfahren Ordnung 4 haben) ergeben sich Konsistenzgleichungen (engl. conditions) für die Koeffizienten des Runge-Kutta-Verfahrens. Die Gleichungen und ihre Anzahl können mit Hilfe von Taylorentwicklung oder der Theorie der Butcher-Bäume ermittelt werden. Mit zunehmender Ordnung wächst die Zahl der zu lösenden nicht-linearen Konsistenzgleichungen schnell an. Das Aufstellen der Konsistenzgleichungen ist bereits nicht einfach, kann jedoch mit Hilfe der Butcher-Bäume von Computeralgebrasystemen erledigt werden. Das Lösen ist allerdings noch schwieriger und bedarf Erfahrung und Fingerspitzengefühl, um „gute“ Koeffizienten zu erhalten.

Ein explizites s-stufiges Runge-Kutta-Verfahren hat höchstens Konvergenzordnung s, ein implizites dagegen bis zu 2s.

Um die Genauigkeit eines Ergebnisses zu verbessern, gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. Man kann die Schrittweite verkleinern, das heißt, man erhöht die Anzahl der Diskretisierungspunkte.
  2. Man kann Verfahren höherer Konvergenzordnung wählen.

Welche Strategie die bessere ist, hängt von der konkreten Problemstellung ab, die Erhöhung der Konvergenzordnung ist allerdings nur bis zu einer bestimmten Grenze sinnvoll, da wegen der Butcher-Schranken die Stufenzahl s schneller wächst als die Ordnung p. Für s5 existiert beispielsweise kein explizites s-stufiges RKV der Konvergenzordnung q=s.

Implizite Runge-Kutta-Verfahren

Explizite Verfahren haben den Vorteil, dass die Stufen durch sukzessives Einsetzen berechenbar sind, beim impliziten Verfahren muss dagegen je nach Form der rechten Seite fd ein lineares oder nichtlineares Gleichungssystem mit sd Unbekannten gelöst werden, was pro Zeitschritt einen wesentlich höheren Aufwand darstellt. Der Grund, warum implizite Verfahren überhaupt in Betracht gezogen werden, ist, dass explizite Runge-Kutta-Verfahren stets ein beschränktes Stabilitätsgebiet haben, während implizite Runge-Kutta-Verfahren für praktisch beliebig hohe Ordnungen A-stabil sein können und damit Einschränkungen an den Zeitschritt nur aufgrund von Genauigkeitsüberlegungen und nicht aufgrund von Stabilitätsbeschränkungen notwendig sind. Dies ist insbesondere bei steifen Anfangswertproblemen und differentiell-algebraischen Gleichungen interessant.

Die maximale Ordnung eines s-stufigen Runge-Kutta-Verfahrens ist 2s. Diese wird ausschließlich durch die Gauß-Legendre-Verfahren erzielt, bei denen die Quadraturformeln zur Konstruktion des Runge-Kutta-Verfahren den Gauß-Legendre-Formeln entsprechen. Ordnung 2s1 wird etwa mittels Radau-Formeln erzielt, die Runge-Kutta-Verfahren heißen dann Radau-Verfahren, während Ordnung 2s2 über Lobatto-Formeln erzielt wird, die Verfahren heißen dann Lobatto-Verfahren.

Um die Lösung eines Gleichungssystems mit sd Unbekannten zu umgehen, werden häufig Diagonal Implizite Runge-Kutta-Verfahren (kurz DIRK) genutzt. Dabei hat die Matrix A im Butcher-Array Dreieckform, alle Einträge rechts oberhalb der Diagonalen sind also Null. Dies entkoppelt das große Gleichungssystem in eine Sequenz von s Gleichungssystemen. Ist darüber hinaus der Koeffizient auf der Diagonalen konstant, spricht man von einem SDIRK-Verfahren (für Vorlage:Lang). Sind die Koeffizienten in der letzten Zeile von A identisch mit denen des Vektors b, so wird etwas Aufwand gespart, insbesondere sind die Verfahren dann aber auch L-stabil. Diese Vereinfachung geschieht auf Kosten der maximalen Ordnung: s-stufige DIRK-Verfahren haben maximal Ordnung s+1, wobei dieses Maximum nicht für beliebige Stufen erreicht werden kann. Die in der Praxis verwandten Verfahren haben in der Regel Ordnung s oder weniger.

Als Alternative zu DIRK-Verfahren haben sich noch die linear impliziten Verfahren etabliert, insbesondere die Rosenbrock-Wanner-Verfahren, bei denen die nichtlinearen Gleichungen durch lineare angenähert werden.

Schrittweitensteuerung: Eingebettete Verfahren

Wenn Probleme in der numerischen Approximation gefunden werden, wie zum Beispiel zusätzliche dissipative Effekte,[1] kann die Schrittweite hi auch automatisch an Schätzungen der lokalen Fehler ϵ angepasst werden:

Beim Runge-Kutta-Verfahren kann der lokale Fehler ϵ durch den Vergleich zweier verschiedener Sätze an Koeffizienten bj und b^j unterschiedlicher Ordnung abgeschätzt werden. Die Differenz der Vorhersagen mit den unterschiedlichen Koeffizienten

yn+1y^n+1=hij=1s(bjb^j)kj

verwendet die bereits berechneten Zwischenschritte kj wieder und wird zur Schätzung des lokalen Fehlers ϵ verwendet. Die Schrittweite hi wird entsprechend diesem lokalen Fehler ϵ angepasst. Das führt je nach Algorithmus zur Wiederholung der Berechnung mit kleinerer Schrittweite.[1]

Die Bestimmung einer neuen Schrittweite aus dem Fehlerschätzer kann über verschiedene Schrittweitensteuerungen erfolgen. Die bekanntesten eingebetteten Verfahren sind das Runge-Kutta-Fehlberg-Verfahren sowie die Dormand-Prince-Formeln(DOPRI).

Geschichte

Vorlage:Belege fehlen Die ersten Runge-Kutta-Verfahren wurden um 1900 von Karl Heun,[2] Martin Wilhelm Kutta,[3] und Carl Runge[4] entwickelt. In den 1960ern entwickelte John C. Butcher mit den vereinfachenden Bedingungen und dem Butcher-Tableau Werkzeuge, um Verfahren höherer Ordnung zu entwickeln. Ernst Hairer fand 1978 ein Verfahren 8. Ordnung mit zehn Stufen.

Beispiele

Das explizite Euler-Verfahren (Ordnung 1):

01

Das implizite Euler-Verfahren (Ordnung 1):

111

Das Heun-Verfahren (Ordnung 2):

0111212

Das Runge-Kutta-Verfahren der Ordnung 2:

0121201

Das implizite Trapez-Verfahren der Ordnung 2:

0112121212

Das Runge-Kutta-Verfahren der Ordnung 3 (vgl. Simpsonregel):

00001212001120164616

Das Heun-Verfahren 3. Ordnung:

013132302314034

Das klassische Runge-Kutta-Verfahren (Ordnung 4):

0121212012100116131316

Literatur

  • Peter Albrecht: The Runge-Kutta Theory in a Nutshell. In: SIAM Journal on Numerical Analysis. 33, 5, October 1996, Vorlage:ISSN, S. 1712–1735.
  • John C. Butcher: The Numerical Analysis of Ordinary Differential Equations. Runge-Kutta and General Linear Methods. Wiley, Chichester u. a. 1987, ISBN 0-471-91046-5 (A Wiley-Interscience publication).
  • Peter Deuflhard, Folkmar Bornemann: Numerische Mathematik. Band 2: Gewöhnliche Differentialgleichungen. 2. vollständige überarbeitete und erweiterte Auflage. de Gruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-017181-3.
  • Ernst Hairer, Gerhard Wanner: Solving Ordinary Differential Equations. Band 1: Nonstiff Problems. 2. revised edition. Springer Verlag, Berlin u. a. 1993, ISBN 3-540-56670-8 (Springer series in computational mathematics 8), (Auch Nachdruck: ebenda 2008, ISBN 978-3-642-05163-0).
  • E. Hairer, G. Wanner: Solving Ordinary Differential Equations. Band 2: Stiff and differential-algebraic problems. 2. revised edition. Corrected 2. print. Springer Verlag, Berlin u. a. 2002, ISBN 3-540-60452-9 (Springer series in computational mathematics 14), (Auch Nachdruck: ebenda 2010, ISBN 978-3-642-05220-0).
  • Martin Hermann: Numerik gewöhnlicher Differentialgleichungen. Band 1: Anfangswertprobleme und lineare Randwertprobleme. Walter de Gruyter Verlag, Berlin und Boston 2017, ISBN 978-3-11-050036-3.
  • M. Sofroniou: Symbolic Derivation of Runge-Kutta Methods. In: Journal of Symbolic Computation. 18, 3, September 1994, Vorlage:ISSN, S. 265–296.
  • Karl Strehmel, Rüdiger Weiner: Linear-implizite Runge-Kutta-Methoden und ihre Anwendung. Teubner, Stuttgart u. a. 1992, ISBN 3-8154-2027-X (Teubner-Texte zur Mathematik 127).

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Vorlage:Internetquelle
  2. K. Heun: Neue Methoden zur approximativen Integration der Differentialgleichungen einer unabhängigen Veränderlichen, Z. Math. Phys., Band 45, 1900, S. 23–38 (Heun-Verfahren)
  3. W. Kutta: Beitrag zur näherungsweisen Integration totaler Differentialgleichungen, Z. Math. Phys., Band 46, 1901, S. 435–453
  4. C. Runge: Über die numerische Auflösung von Differentialgleichungen, Math. Annalen, Band 46, 1895, S. 167–178, Online