Euler-Klasse

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In der Mathematik, genauer in der algebraischen Topologie und in der Differentialgeometrie und -topologie, ist die Euler-Klasse ein spezieller Typ von charakteristischen Klassen, die orientierbaren reellen Vektorbündeln zugeordnet wird. Sie wird nach Leonhard Euler benannt, weil sie im Fall des Tangentialbündels einer Mannigfaltigkeit deren Euler-Charakteristik bestimmt.

Sie kann auf unterschiedliche (äquivalente) Weisen definiert werden: als Hindernis für die Existenz eines Schnittes ohne Nullstellen, als Pull-Back der Orientierungsklasse unter einem Schnitt oder als Bild der Pfaffschen Determinante unter dem Chern-Weil-Isomorphismus. Im Fall flacher Bündel gibt es weitere äquivalente Definitionen.

Grundidee und Motivation

Die Euler-Klasse ist eine charakteristische Klasse, also eine topologische Invariante von orientierten Vektorbündeln: zwei isomorphe orientierte Vektorbündel haben dieselben Euler-Klassen. Im Falle differenzierbarer Mannigfaltigkeiten bestimmt die Euler-Klasse des Tangentialbündels die Euler-Charakteristik der Mannigfaltigkeit.

Die Euler-Klasse liefert ein Hindernis für die Existenz eines Schnittes ohne Nullstellen. Insbesondere liefert die Euler-Charakteristik einer geschlossenen, orientierbaren, differenzierbaren Mannigfaltigkeit ein Hindernis für die Existenz eines Vektorfeldes ohne Singularitäten.

Für einen auf einer Teilmenge des Basis-Raumes definierten nullstellenfreien Schnitt kann man eine relative Euler-Klasse definieren, diese liefert ein Hindernis für die Fortsetzbarkeit des Schnittes ohne Nullstellen auf die gesamte Basis.

Axiome

Die (relative) Euler-Klasse wird durch folgende Axiome festgelegt.

Jedem orientierten, n-dimensionalen reellen Vektorbündel EX mit einem nirgendwo verschwindenden Schnitt s:YE auf einer (möglicherweise leeren) Teilmenge YX wird ein Element

e(E,s)Hn(X,Y;)

(bzw. e(E)Hn(X;) falls Y=) zugeordnet, so dass

  • für jede stetige Abbildung f:(X,Y)(X,Y) gilt e(f*E,f*s)=f*(e(E,s))
  • e(E1E2,s0)=e(E1,s)e(E2)
  • für das tautologische komplexe Geradenbündel γ1P1, aufgefasst als 2-dimensionales reelles Vektorbündel, ist e(γ1)H2(P1;) ein Erzeuger von H2(P1;).

e(E)Hn(X;) heißt die Euler-Klasse des Bündels E, e(E,s)Hn(X,Y;) heißt die relative Euler-Klasse relativ zum Schnitt s.

Definition als Obstruktionsklasse

Für ein n-dimensionales orientiertes Vektorbündel E|K| über der geometrischen Realisierung |K| eines Simplizialkomplexes K erhält man mittels Obstruktionstheorie die Obstruktionsklasse

on(E)Hn(K;πn1(V1(n))

für die Fortsetzung eines Schnittes im assoziierten Vektorbündel auf das n-Skelett von K.

Die Koeffizientengruppe

πn1(V1(n))πn1(n0)Hn1(n0;)Hn(n,n0;)

ist (durch die Orientierung) kanonisch isomorph zu und dieser Isomorphismus bildet on(E) auf die Euler-Klasse e(E)Hn(K;) ab.[1]

Definition mittels Orientierungsklasse

Für ein orientiertes n-dimensionales Vektorbündel p:EM und E0E das Komplement des Null-Schnitts betrachten wir das Bild uE der Orientierungsklasse (Thom-Klasse)

uHn(E,E0;)

in Hn(E;). Weil n kontrahierbar ist, ist p:EM eine Homotopieäquivalenz und

p*:H*(M;)H*(E;)

ein Isomorphismus. Die Euler-Klasse ist definiert durch

e(E):=(p*)1uEHn(M;).

Äquivalent kann man e(E) durch

e(E):=s*uE

für einen beliebigen Schnitt (zum Beispiel den Nullschnitt) s:ME definieren.

Falls EM einen Schnitt ohne Nullstellen hat, also s(M)E0 gilt, folgt daraus e(E)=0.

Relative Euler-Klasse: Falls ein Schnitt ohne Nullstellen s0:YE auf einer Teilmenge YM gegeben ist, dann kann man ihn zu einem Schnitt (evtl. mit Nullstellen) s:(M,Y)(E,E0) fortsetzen und definiert dann

e(E,s0):=s*uHn(M,Y;).

Definition über Chern-Weil-Theorie

Wir betrachten Vektorbündel über einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M. Die Konstruktion mittels Chern-Weil-Theorie liefert (nur) das Bild der Euler-Klasse in H*(M;) bzw. der relativen Euler-Klasse in H*(M,Y;), insbesondere liefert sie die Nullklasse für Vektorbündel ungerader Dimension.

Für ein orientiertes Vektorbündel der Dimension n=2k betrachtet man das assoziierte SO(2k)-Prinzipalbündel (das Rahmenbündel) PM.

Für ein SO(2k)-Prinzipalbündel PM mit einer Zusammenhangsform ωΩ1(P,so(2k)) ist die Euler-Klasse e(P)HdR2k(M)H2k(M;) das Bild der durch

Pf(A,,A)=12kk!σS2ksign(σ)aσ(1)σ(2)aσ(2k1)σ(2k)

definierten Pfaffschen Determinante PfIn(so(2k)) unter dem Chern-Weil-Homomorphismus

Ik(so(2k))HdR2k(M),

also die von der mit Hilfe der Krümmungsform ΩΩ2(M) des Prinzipalbündels definierten Differentialform

12kπ2kPf(Ω)(X1,,X2k):=1(2π)2k1(k)!σ𝔖2ksign(σ)Pf(Ω(Xσ(1),Xσ(2)),,Ω(Xσ(2k1),Xσ(2k)))

repräsentierte De-Rham-Kohomologie-Klasse. Man kann zeigen, dass die Euler-Klasse nicht von der Wahl der Zusammenhangsform Ω abhängt und dass sie im Bild von H2k(M;) liegt.

Die Übereinstimmung der so definierten Euler-Klasse mit der oben topologisch definierten ist der Inhalt des 1943 von Allendoerfer und Weil (und mit einem intrinsischen Beweis 1944 von Chern) bewiesenen verallgemeinerten Satzes von Gauß-Bonnet.[2]

Relative Euler-Klasse:[3] Es sei s:YE ein Schnitt ohne Nullstellen über einer Untermannigfaltigkeit YM. (Wir nehmen an, dass sich der Schnitt auf eine offene Umgebung von Y fortsetzen lässt.) Dann gibt es eine Zusammenhangsform ω, deren Krümmungsform Pf(Ω)Y0 erfüllt. Insbesondere definiert Pf(Ω) eine relative Kohomologieklasse e(E,s)H2k(M,Y;).

Euler-Klasse von SL(n,R)-Prinzipalbündeln

Unter den Isomorphismen

Ik(so(2k))H2k(BSO(2k))H2k(BSL(2k,))

entspricht die Pfaffsche Determinante einer Kohomologieklasse e(γ2k) in der Kohomologie des klassifizierenden Raumes BSL(2k,), der Euler-Klasse des universellen Bündels γ2kBSL(2k,). Zu jedem SL(2k,)-Bündel PM kann man also mittels der klassifizierenden Abbildung f:MBSL(2k,) die Euler-Klasse

e(P):=f*(e(γ2k))H2k(M)

definieren. Diese stimmt mit der Euler-Klasse des assoziierten Vektorbündels überein.

Euler-Klasse von Sphärenbündeln

Die Euler-Klasse kann für beliebige Sphärenbündel definiert werden.[4]

Im Fall des Einheitssphärenbündels eines Riemannschen Vektorbündels erhält man die oben definierte Euler-Klasse des Vektorbündels.

Eigenschaften

  • Der kanonische Homomorphismus Hn(X;)Hn(X;/2) bildet die Euler-Klasse auf die n-te Stiefel-Whitney-Klasse wnHn(X;/2) ab.
  • Das Cup-Produkt e(E)e(E) ist die höchste Pontrjagin-Klasse pnH2n(X;).
  • Für geschlossene, orientierbare, differenzierbare Mannigfaltigkeiten M mit Tangentialbündel TM und Fundamentalklasse [M] ist e(TM),[M]=χ(M) die Euler-Charakteristik von M.
  • Es sei E das Vektorbündel E mit der umgekehrten Orientierung, dann ist e(E)=e(E).
  • Insbesondere gilt für Vektorbūndel ungerader Dimension 2e(E)=0. Für geschlossene, orientierbare, differenzierbare Mannigfaltigkeiten ungerader Dimension verschwindet die Euler-Charakteristik.
  • Für die Whitney-Summe und das kartesische Produkt von Vektorbündeln gilt
    e(E1E2)=e(E1)e(E2),e(E1×E2)=e(E1)×e(E2),
    wobei das Cup-Produkt und × das Kreuzprodukt bezeichnet.
  • Für einen generischen Schnitt s:ME eines n-dimensionalen orientierten Vektorbündels über einer m-dimensionalen geschlossenen orientierbaren Mannigfaltigkeit M ist das Bild der Fundamentalklasse [Z] der Nullstellenmenge Z={xX:s(x)=0} in Hmn(M;) das Poincaré-Dual von e(E)Hn(M;). Im Fall des Tangentialbündels E=TM ergibt sich daraus der Satz von Poincaré-Hopf.
  • Wenn NY das Normalenbündel einer geschlossenen orientierbaren Untermannigfaltigkeit YM ist, dann ist <e(NY),[Y]> die Selbstschnittzahl von Y.
  • Wenn s:XE ein Schnitt ohne Nullstellen ist, dann ist e(E,s|Y)=0Hn(X,Y;) für alle YX.
  • Gysin-Sequenz: Für ein n-dimensionales orientiertes Vektorbündel EB (mit E0E die Menge der von Null verschiedenen Vektoren) vermittelt das Cup-Produkt mit der Euler-Klasse eine exakte Sequenz
    Hi(B;)Hi+n(B)Hi+n(E0)Hi+1(B),
    wobei die anderen beiden Abbildungen π|E0* und die Integration entlang der Faser sind.

Euler-Klasse flacher Bündel

Simpliziale Definition

Es sei p:E|K| ein flaches Vektorbündel über der geometrischen Realisierung |K| eines Simplizialkomplexes K mit 0-Simplizes v1,,vn.. Weil Simplizes kontrahierbar sind, ist das Bündel trivial über jedem Simplex. Zu beliebig gewählten s(vi)p1(vi) kann man also durch affine Fortsetzung einen Schnitt s:|K|E konstruieren.[5] Für generische s(vi) hat dieser Schnitt keine Nullstellen auf dem (n1)-Skelett, höchstens eine Nullstelle pro n-Simplex und ist transversal zum Nullschnitt.[6] Dann definieren wir einen simplizialen n-Kozykel durch

(σ)=0 falls s|σ keine Nullstelle hat
(σ)=1 falls s(p)=0 für ein pσ und falls für eine positive Basis t1,,tn von TpK auch t1,,tn,dps(t1),,dps(tn) eine positive Basis von Ts(p)E ist
(σ)=1 andernfalls.

Man kann zeigen, dass ein Kozykel ist und sein Wert auf Zykeln nicht vom gewählten Schnitt abhängt.[7] Die von repräsentierte Kohomologieklasse ist die Euler-Klasse eHn(K;) des flachen Bündels.

Flache SL(2,R)-Bündel

Wegen π1SL(2,) hat man die universelle Überlagerung

SL(2,)~SL(2,),

diese ist eine zentrale Erweiterung und wird deshalb durch eine Kohomologieklasse EH2(BSL(2,)δ;) repräsentiert. Diese ist die universelle Euler-Klasse für flache SL(2,)-Bündel,[8] d. h. für ein flaches Bündel PM mit Holonomie-Darstellung ρ:π1MSL(2,) erhält man

e(P)=f*(Bρ)*(E)H2(M;),

wobei f:MBπ1M die klassifizierende Abbildung der universellen Überlagerung ist.

Flache Kreisbündel

Es bezeichne Homeo+(S1) die Gruppe der orientierungserhaltenden Homöomorphismen des Kreises. Ihre universelle Überlagerung ist Homeo+(S1)~={f::f(x+1)=f(x)+1 x}. Die ganzen Zahlen wirken durch Translationen auf und man erhält eine exakte Sequenz

Homeo+(S1)~Homeo+(S1).

Die zugehörige Gruppenkohomologie-Klasse EH2(Homeo+(S1);) ist die universelle Euler-Klasse für flache Homeo+(S1)-Bündel.

Eine explizite Formel wurde von Jekel[9] angegeben: die universelle Euler-Klasse EH2(Homeo+(S1);) wird durch den sogenannten Orientierungs-Kozykel oC2(Homeo+(S1;) repräsentiert:

o(g0,g1,g2)=12 falls g0(1),g1(1),g2(1) im Uhrzeigersinn auf dem Kreis angeordnet sind
o(g0,g1,g2)=0 falls mindestens zwei der Werte g0(1),g1(1),g2(1) übereinstimmen
o(g0,g1,g2)=12 falls g0(1),g1(1),g2(1) entgegen dem Uhrzeigersinn auf dem Kreis angeordnet sind.

Der Orientierungs-Kozykel repräsentiert dann auch für alle Untergruppen GHomeo+(S1) die universelle Euler-Klasse für flache G-Bündel. Dies gilt insbesondere für flache PSL(2,)-Bündel: man verwende die Wirkung von PSL(2,) auf S1=P1 durch gebrochen-lineare Transformationen.

Literatur

  • John W. Milnor, James D. Stasheff: Characteristic classes. In: Annals of Mathematics Studies, No. 76. Princeton University Press, Princeton NJ; University of Tokyo Press, Tokyo 1974. (Kapitel 9)
  • Johan L. Dupont: Curvature and characteristic classes. In: Lecture Notes in Mathematics, Vol. 640. Springer-Verlag, Berlin / New York 1978, ISBN 3-540-08663-3
  • Raoul Bott, Loring W. Tu: Differential forms in algebraic topology. In: Graduate Texts in Mathematics, 82. Springer-Verlag, New York / Berlin 1982, ISBN 0-387-90613-4 (Kapitel 11)
  • Riccardo Benedetti, Carlo Petronio: Lectures on hyperbolic geometry. Universitext. Springer-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-540-55534-X (Kapitel F.4)
  • Tammo tom Dieck: Algebraic topology. EMS Textbooks in Mathematics. European Mathematical Society (EMS), Zürich 2008, ISBN 978-3-03719-048-7 (Kapitel XI)
  • Alberto Candel, Lawrence Conlon: Foliations. II. In: Graduate Studies in Mathematics, 60. American Mathematical Society, Providence RI 2003, ISBN 0-8218-0881-8 (Kapitel 4)

Einzelnachweise

  1. Milnor-Stasheff (op.cit.), Theorem 12.5
  2. Shiing-Shen Chern: On the curvatura integra in a Riemannian manifold. In: Annals of Mathematics, 46 (4), 1945, S. 674–684.
  3. Sharafutdinov (op.cit.), Kapitel 2
  4. Bott-Tu (op.cit.), Kapitel 11
  5. Benedetti-Petronio (op.cit.), Lemma F.4.1
  6. Benedetti-Petronio (op.cit.), Lemma F.4.2
  7. Benedetti-Petronio (op.cit.), Proposition F.4.4 und F.4.3
  8. Bucher-Karlsson (op.cit.), Abschnitt 3.1.4
  9. Solomon M. Jekel: A simplicial formula and bound for the Euler class. In: Israel J. Math., 66, 1989, no. 1-3, S. 247–259.