Lie-Ableitung

Aus testwiki
Version vom 20. Februar 2025, 23:14 Uhr von 147.142.54.224 (Diskussion) (Lokale Koordinaten)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

In der Analysis bezeichnet die Lie-Ableitung (nach Sophus Lie) die Ableitung eines Vektorfeldes oder allgemeiner eines Tensorfeldes entlang eines Vektorfeldes. Auf dem Raum der Vektorfelder wird durch die Lie-Ableitung eine Lie-Klammer definiert, die Jacobi-Lie-Klammer genannt wird. Der Raum der Vektorfelder wird durch diese Operation zu einer Lie-Algebra.

Motivation

In der Allgemeinen Relativitätstheorie und in der geometrischen Formulierung der Hamiltonschen Mechanik wird die Lie-Ableitung verwendet, um Symmetrien aufzudecken, diese zur Lösung von Problemen auszunutzen und beispielsweise Konstanten der Bewegung zu finden.

Die Definition der Lie-Ableitung ist wie folgt motiviert: T sei ein Feld auf einer Mannigfaltigkeit M, dessen Symmetrie untersucht werden soll. Die Punkte P0 aus M mögen in einem Koordinatensystem K0 die Koordinaten 𝒙0K0 haben. Es möge eine glatte Verschiebung (Fluss) ϕ:M×RM geben, die in Abhängigkeit eines Parameters t jedem beliebigen Punkt P0, in glatter Weise Punkte Pt mit den Koordinaten 𝒙tK0 zuordnet. Weiterhin führen wir Koordinatensysteme Kt ein, so dass die Punkte Pt in Kt die gleichen Koordinatenwerte haben, wie die Punkte P0 in K0. Diese Koordinatensysteme sind demnach durch die Koordinatentransformation 𝒙0K0=𝒙tKt definiert.

Eine Symmetrie des Feldes T liegt dann vor, wenn bei der Verschiebung P0Pt die Komponenten 𝑻Kt(Pt) des Feldes T am Punkt Pt, ausgedrückt in den Koordinaten Kt die gleichen Werte haben, wie die Komponenten von T am Punkt P0 ausgedrückt im Koordinatensystem K0 . Die Bedingungsgleichung für die Symmetrie des Feldes ist demnach 𝑻K0(P0)=𝑻Kt(Pt).

Setzt man dieses Konzept für infinitesimale Verschiebungen um, so lässt sich mit Hilfe des Tangentialvektorenfeldes 𝑿 zum Fluss ϕ die Verschiebung eines Punktes P0Pε in Koordinaten als 𝒙ε=𝒙0+ε𝑿 schreiben.

Das Koordinatensystem Kε in seinen geforderten Eigenschaften wird durch die Koordinatentransformation 𝒙ε=𝒙0ε𝑿 definiert. Die Symmetriebedingung des Vektorfeldes T ist dann 𝑻Kε(Pε)𝑻K0(P0)=0. Der Koeffizient des in ε linearen Gliedes ist per Definition die Lie-Ableitung von T in Richtung 𝑿

XT:=limε0𝑻Kε(Pε)𝑻K0(P0)ε.

Für Felder T mit einer zu 𝑿 gehörigen Symmetrie verschwindet die Lie-Ableitung. In dem Sinne liefert der Ausdruck XT=0 ein Kriterium für die Symmetrie eines Vektorfeldes T.

Lie-Ableitung für Funktionen

Ist X ein Vektorfeld, so ist die Lie-Ableitung einer differenzierbaren Funktion f die Anwendung von X auf f:

Xf=Xf.

Genauer: Es seien M eine n-dimensionale 𝒞-Mannigfaltigkeit, f:M eine glatte Funktion und X ein glattes Vektorfeld auf M. Die Lie-Ableitung Xf(p) der Funktion f nach X im Punkt pM ist definiert als die Richtungsableitung von f nach X(p):

Xf(p):=Xp(f)=dpf(X(p))

In lokalen Koordinaten (x1,,xn):UMn lässt sich das Vektorfeld darstellen als

X=j=1nXjxj, mit Xj:U.

Für die Lie-Ableitung ergibt sich dann

Xf(p)=j=1nXj(p)fxj(p).

Lie-Ableitung von Vektorfeldern

Definition

Seien X und Y zwei Vektorfelder an der n-dimensionalen glatten Mannigfaltigkeit M und Ft der Fluss des Vektorfelds X. Dann ist die Lie-Ableitung XY von Y in Richtung X definiert durch

XY=ddt|t=0(Ft*Y),

wobei Ft* den Rücktransport des Flusses Ft meint.

Eigenschaften

Lie-Klammer

Sind X und Y wieder zwei Vektorfelder, dann gilt für die Lie-Ableitung die Identität

(XY)f=X(Y(f))Y(X(f)),

wobei f eine glatte Funktion auf einer offenen Teilmenge der zugrundeliegenden Mannigfaltigkeit ist. Aus dieser Gleichung kann gezeigt werden, dass (X,Y)XY die Eigenschaften einer Lie-Klammer erfüllt. Daher schreibt man auch [X,Y]:=XY. Insbesondere bildet also die Menge der Vektorfelder mit der Lie-Ableitung eine Lie-Algebra und ihre Lie-Klammer [,] wird Jacobi-Lie-Klammer genannt.[1][2]

Manchmal definiert man die Lie-Ableitung beziehungsweise Lie-Klammer direkt durch den Term X(Y(f))Y(X(f)). Dabei wird manchmal auch die Umgekehrte Vorzeichenkonvention, also [X,Y]:=YXXY verwendet.

Lokale Koordinaten

In lokalen Koordinaten haben die Vektorfelder X beziehungsweise Y die Darstellungen

X=j=1nXjxj

beziehungsweise

Y=j=1nYjxj.

Für die Lie-Ableitung beziehungsweise Lie-Klammer gilt dann

[X,Y]=j=1n(k=1nXkYjxkk=1nYkXjxk)xj.

Eigenschaften und Lie-Algebra

Der Vektorraum 𝒞(M,) aller glatten Funktionen M ist bezüglich der punktweisen Multiplikation eine Algebra. Die Lie-Ableitung bezüglich eines Vektorfeldes X ist dann eine -lineare Derivation X:𝒞(M,)𝒞(M,), d. h., sie hat die Eigenschaften

  • X ist -linear
  • X(fg)=(Xf)g+fXg (Leibniz-Regel)

Bezeichne 𝒳(M) die Menge aller glatten Vektorfelder auf M, dann ist die Lie-Ableitung auch eine -lineare Derivation auf 𝒞(M,)×𝒳(M), und es gilt:

  • X(fY)=(Xf)Y+fXY (Leibniz-Regel)
  • [X,[Y,Z]]=X[Y,Z]=[XY,Z]+[Y,XZ]=[[X,Y],Z]+[Y,[X,Z]] (Jacobi-Identität)

Dadurch wird 𝒳(M) zu einer Lie-Algebra.

Lie-Ableitung von Tensorfeldern

Definition

Für ein Tensorfeld T und ein Vektorfeld X mit lokalem Fluss Φt ist die Lie-Ableitung von T bezüglich X definiert als

XT=ddtΦt*T|t=0.

Eigenschaften

Die Lie-Ableitung X ist -linear in X und für festes X eine Derivation der Tensoralgebra, die mit der Kontraktion verträglich ist. Die Lie-Ableitung ist dadurch und durch ihre Werte auf Funktionen und Vektorfeldern bereits eindeutig charakterisiert.

Im Unterschied zu einem Zusammenhang ist X nicht 𝒞-linear in X.

Differentialformen

Sei M eine 𝒞-Mannigfaltigkeit, X ein Vektorfeld auf M und αΛk+1(M) eine (k+1)-Differentialform auf M. Durch Evaluation kann man eine Art inneres Produkt zwischen X und α definieren:

(iXα)(X1,,Xk)=α(X,X1,,Xk)

und erhält die Abbildung:

iX:Λk+1(M)Λk(M),αiXα

Diese Abbildung hat die folgenden Eigenschaften:

  • iX ist -linear,
  • für beliebiges fΛ0(M) gilt ifXα=fiXα,
  • für eine beliebige Differentialform β über M und αΛk(M) gilt
iX(αβ)=(iXα)β+(1)kα(iXβ).

Weiter oben wurde die Lie-Ableitung bezüglich eines Vektorfeldes X für Funktionen über M definiert:

Xf=iXdf.

Für echte Differentialformen kann die Lie-Ableitung bezüglich eines Vektorfeldes X durch

Xα=(iXd +diX)α

berechnet werden. Diese Gleichung kann aus der Definition der Lie-Ableitung für Tensorfelder hergeleitet werden. Sie trägt den Namen Cartan-Formel.[3]

Sie hat die folgenden Eigenschaften:

  • fXα=fXα+dfiXα
  • X(αβ)=(Xα)β+α(Xβ)
  • [X,Y]α:=XYαYXα=[X,Y]α
  • [X,iY]α=[iX,Y]α=i[X,Y]α

Literatur

  • Uwe Storch, Hartmut Wiebe: Lehrbuch der Mathematik. Band 4: Analysis auf Mannigfaltigkeiten – Funktionentheorie – Funktionalanalysis. Spektrum, Heidelberg 2001, ISBN 3-8274-0137-2.
  • Sylvestre Gallot, Dominique Hulin, Jacques Lafontaine: Riemannian Geometry. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1990, ISBN 3-540-52401-0

Einzelnachweise

  1. R. Abraham, Jerrold E. Marsden, T. Ratiu: Manifolds, tensor analysis, and applications (= Applied mathematical sciences 75). 2. Auflage. Springer, New York NY u. a. 1988, ISBN 0-387-96790-7, S. 277–279.
  2. Vorlage:Literatur
  3. John M. Lee: Introduction to Smooth Manifolds (= Graduate Texts in Mathematics 218). Springer-Verlag, New York NY u. a. 2003, ISBN 0-387-95448-1, S. 473–477.