Lemma von Margulis

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In der Differentialgeometrie, einem Teilgebiet der Mathematik, beschreibt das Lemma von Margulis oder Margulis-Lemma die Topologie des „dünnen Teils“ einer negativ gekrümmten riemannschen Mannigfaltigkeit. Es dient vor allem zur Beschreibung der Enden hyperbolischer Mannigfaltigkeiten endlichen Volumens.

Es ist nach Grigori Alexandrowitsch Margulis benannt.

Dünner und dicker Teil einer Mannigfaltigkeit

Dicker und dünner Teil einer Mannigfaltigkeit endlichen Volumens

Für eine riemannsche Mannigfaltigkeit M und eine Konstante ϵ bezeichnet man als ϵ-dünnen Teil der Mannigfaltigkeit den Teil

M<ϵ:={xM:inj(x)<ϵ}

(wobei inj(x) den Injektivitätsradius im Punkt x bezeichnet) und als ϵ-dicken Teil Mϵ das Komplement des ϵ-dünnen Teils.

M<ϵ ist also die Menge derjenigen xM, zu denen es eine geschlossene, nicht nullhomotope Kurve γ:[0,1]M der Länge l(γ)<2ϵ mit γ(0)=γ(1)=x gibt. Häufig spricht man auch nur vom dünnen und dicken Teil einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeit und meint damit den ϵ-dünnen und ϵ-dicken Teil für ein ϵ, welches kleiner als die unten definierte Margulis-Konstante ϵn ist.

Lemma von Margulis (differentialgeometrische Formulierung)

Das Lemma von Margulis besagt, dass es zu jeder Dimension n eine Margulis-Konstante ϵn gibt, so dass für alle vollständigen riemannschen Mannigfaltigkeiten der Dimension n mit Schnittkrümmungen im Intervall [1,0] und für alle ϵ<ϵn der ϵ-dünne Teil M<ϵ eine fast-nilpotente Fundamentalgruppe hat: Es gibt in π1(M<ϵ,x0) eine nilpotente Untergruppe vom Index <v(n) für eine nur von n abhängende Konstante v(n).

Lemma von Margulis (gruppentheoretische Formulierung)

Das Lemma von Margulis besagt, dass es zu jeder Dimension n eine Margulis-Konstante ϵn gibt, so dass die folgende Aussage für alle einfach zusammenhängenden vollständigen riemannschen Mannigfaltigkeiten der Dimension n mit Schnittkrümmungen im Intervall [1,0] und für alle ϵ<ϵn zutrifft:

Es sei M~ eine einfach zusammenhängende riemannsche Mannigfaltigkeit der Dimension n mit Schnittkrümmungen im Intervall [1,0]. Sei Γ eine eigentlich diskontinuierlich wirkende Gruppe von Isometrien von M~ und xM~. Dann ist die von

{γΓ:d(γ(x),x)<ϵ}

erzeugte Untergruppe Γϵ(x)Isom(M~) fast-nilpotent.

Der Spezialfall für Matrizengruppen ist auch als Lemma von Zassenhaus bekannt: Es gibt eine Konstante μN, so dass jede von Matrizen der Norm <μN erzeugte diskrete Untergruppe ΓGL(N,) fast-nilpotent ist. Tatsächlich gilt das folgende auf Hans Zassenhaus zurückgehende elementare Lemma: Wenn zwei Matrizen A,BO+(n,1) eine diskrete Gruppe erzeugen und max{AId,BId}<23 gilt, dann kommutieren A und B.

Die gruppentheoretische und differentialgeometrische Formulierung des Margulis-Lemmas sind äquivalent zueinander. Die Äquivalenz erhält man vermittels der Wirkung von Γ=π1(M,x0) auf der universellen Überlagerung p:M~M. Für ein Urbild x~0p1(x0)M~ entspricht d(x~0,γx~0) der Länge des kürzesten γπ1(M,x0) repräsentierenden geschlossenen Weges.

Enden hyperbolischer Mannigfaltigkeiten endlichen Volumens

Es sei M eine vollständige hyperbolische Mannigfaltigkeit endlichen Volumens. Dann ist der ϵ-dicke Teil Mϵ kompakt (für beliebige ϵ>0) und für die Gruppe Γϵ gibt es (für ϵ<ϵn) die folgenden Möglichkeiten:[1]

Daraus ergeben sich für die Topologie der Zusammenhangskomponenten des ϵ-dünnen Teils M<ϵ die folgenden Möglichkeiten:[2]

Im ersten Fall handelt es sich um sogenannte Spitzen (engl.: cusps). Im zweiten Fall handelt es sich um Tubenumgebungen geschlossener Geodäten (oder um geschlossene Geodäten der Länge ϵ).

Margulis-Zahlen

Für eine riemannsche Mannigfaltigkeit M ist die Margulis-Zahl μ(M) die größte reelle Zahl, so dass die Konklusion des Margulis-Lemmas für alle ϵ<μ(M) gilt.

Für hyperbolische 3-Mannigfaltigkeiten ist μ(M)0,104.[3] Peter Shalen bewies, dass für fast alle hyperbolischen 3-Mannigfaltigkeiten μ(M)0,29 gilt. Aufgrund numerischer Berechnungen wird vermutet, dass immer μ(M)0,616 gilt.[4]

Für hyperbolische Mannigfaltigkeiten der Dimension n gilt

μ(M)2ν+13ν+1πνΓ(ν+22)2Γ(ν+2)

mit ν=[n+12].[5] Umgekehrt gibt es die auf Kapovich zurückgehende Ungleichung ϵnCnn mit einer explizit bestimmbaren Konstante Cn.[6]

Kragen-Lemma

Aus dem Lemma von Margulis lässt sich herleiten, dass sehr kurze geschlossene Geodäten eine Kragenumgebung großen hyperbolischen Volumens besitzen müssen. Eine quantitative Beschreibung dieses Zusammenhangs für Flächen liefert das Kragen-Lemma (engl.: collar lemma), dessen erste Version 1974 von Linda Keen bewiesen wurde.[7] Die bestmögliche Abschätzung geht auf Randol zurück: In einer hyperbolischen Fläche hat eine geschlossene Geodäte der Länge l eine Kragenumgebung der Breite w mit cosh(w2)=coth(l2).[8] Man beachte, dass liml0coth(l2)= ist.

Literatur

  • Každan, D. A.; Margulis, G. A.: A proof of Selberg's hypothesis. (Russian) Mat. Sb. (N.S.) 75 (117) 1968, 163–168.
  • Raghunathan, M. S.: Discrete subgroups of Lie groups. Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete, Band 68. Springer-Verlag, New York-Heidelberg, 1972.
  • Buser, Peter; Karcher, Hermann: Gromov's almost flat manifolds. Astérisque, 81. Société Mathématique de France, Paris, 1981.
  • Ballmann, Werner; Gromov, Mikhael; Schroeder, Viktor: Manifolds of nonpositive curvature. Progress in Mathematics, 61. Birkhäuser Boston, Inc., Boston, MA, 1985. ISBN 0-8176-3181-X
  • Benedetti, Riccardo; Petronio, Carlo: Lectures on hyperbolic geometry. Universitext. Springer-Verlag, Berlin, 1992. ISBN 3-540-55534-X

Einzelnachweise

  1. Benedetti-Petronio, Theorem D.2.2
  2. Benedetti-Petronio, Theorem D.3.3
  3. Robert Meyerhoff. A lower bound for the volume of hyperbolic 3-manifolds. Canad. J. Math., 39(5):1038–1056, 1987.
  4. Peter Shalen. Topology and geometry in dimension three, 103–109, Contemp. Math., 560, Amer. Math. Soc., Providence, RI, 2011.
  5. Ruth Kellerhals. On the structure of hyperbolic manifolds. Israel J. Math. 143 (2004), 361–379.
  6. Michail Belolipetsky. Hyperbolic orbifolds of small volume. (Erscheint in den Proceedings des ICM 2014) pdf
  7. Linda Keen: Collars on Riemann surfaces. Discontinuous groups and Riemann surfaces (Proc. Conf., Univ. Maryland, College Park, Md., 1973), pp. 263–268. Ann. of Math. Studies, No. 79, Princeton Univ. Press, Princeton, N.J., 1974
  8. Burton Randol: Cylinders in Riemann surfaces. Comment. Math. Helv. 54 (1979), no. 1, 1–5.