Henkelzerlegung

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In der Differentialtopologie, einem Teilgebiet der Mathematik, ist die Henkelzerlegung die Grundlage für die Klassifikation und Beschreibung von Mannigfaltigkeiten.

Definition: Ankleben eines Henkels

Diese 3-dimensionale Mannigfaltigkeit entsteht durch Ankleben dreier 1-Henkel an einen 0-Henkel.

Notation: Bn bezeichne die n-dimensionale Vollkugel, Sn1=Bn die (n1)-dimensionale Sphäre.

Im Folgenden bezeichnen wir als k-Henkel einer m-dimensionalen Mannigfaltigkeit das Produkt

Hk=Bk×Bmk

mit der durch die Produktstruktur gegebenen Zerlegung

Hk=Sk1×BmkBk×Smk1.

Bk×{0} wird als Kern und {0}×Bmk als Kokern des Henkels bezeichnet.

Nun sei M eine m-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand. Das Ergebnis des Anklebens eines k-Henkels ist die Mannigfaltigkeit

MfHk=(M(Bk×Bmk))/
mit der Äquivalenzrelation erzeugt durch (p,x)f(p,x) für alle (p,x)Sk1×BmkBk×Bmk,

für eine Einbettung f:Sk1×BmkM. Durch kanonisches Glätten der Ecken erhält man eine differenzierbare Mannigfaltigkeit.[1] (Insbesondere ist das Ankleben eines 0-Henkels die disjunkte Vereinigung mit einem m-Ball Bm).

Die so erhaltene Mannigfaltigkeit ist eindeutig bestimmt durch die Einbettung f:Sk1×BmkM oder äquivalent durch eine gerahmte Einbettung Sk1M.

Die Sphäre Sk1×{0} heißt die Anklebesphäre und die Sphäre {0}×Smk1 heißt die Gürtelsphäre.

Henkelzerlegung

Jede kompakte differenzierbare Mannigfaltigkeit besitzt eine Henkelzerlegung.

Der Beweis dieses Satzes benutzt Morse-Theorie. Zu jeder differenzierteren Mannigfaltigkeit M gibt es eine Morse-Funktion f:M, deren kritische Punkte unterschiedlichen Funktionswerten entsprechen (und nicht auf dem Rand liegen). Der Satz folgt dann mittels vollständiger Induktion aus folgender lokalen Beschreibung der Umgebung eines kritischen Punktes.

Es sei f:M eine C-Funktion mit genau einem kritischen Punkt in f1(0) und keinen weiteren kritischen Punkten in f1([ϵ,ϵ]) (für ein geeignetes ϵ>0). Dann entsteht f1([,ϵ]) aus f1([,ϵ]) durch Ankleben eines k-Henkels, wobei k der Index des kritischen Punktes in f1(0) ist.

Dieser Satz geht auf Stephen Smale zurück, der 1961 einen Beweis skizzierte und die Henkel-Zerlegung dann zum Beweis der Poincaré-Vermutung in Dimensionen 5 benutzte.[2] John Milnor bewies in seinem Buch „Morse Theory“ eine schwächere Version, die besagt, dass f1([,ϵ]) homotopieäquivalent zu dem aus f1([,ϵ]) durch Ankleben einer k-Zelle entstehenden Raum ist.[3] Ein vollständiger Beweis wurde 1963 von Palais gegeben.[4] vereinfachte Fassungen finden sich bei Fukui[5] und Madsen-Tornehave.[6]

Niedrigdimensionale Beispiele

  • Klassifikation der Flächen: Jede geschlossene, orientierbare Fläche besitzt eine Henkelzerlegung aus einem 0-Henkel, 2g 1-Henkeln und einem 2-Henkel. Die Zahl g ist das Geschlecht der Fläche.
  • Heegaard-Zerlegung von 3-Mannigfaltigkeiten: Ein (3-dimensionaler) Henkelkörper vom Geschlecht g entsteht durch Ankleben von g 1-Henkeln an einen 0-Henkel. Als Heegaard-Zerlegung bezeichnet man die Zerlegung einer 3-Mannigfaltigkeit in zwei Henkelkörper. Jede geschlossene, orientierbare 3-Mannigfaltigkeit besitzt eine Heegaard-Zerlegung, das minimal mögliche g wird als Heegaard-Geschlecht bezeichnet. Eine Heegaard-Zerlegung bestimmt eine Henkelzerlegung der 3-Mannigfaltigkeit in einen 0-Henkel, g 1-Henkel, g 2-Henkel und einen 3-Henkel.
  • Kirby-Kalkül: Henkelzerlegungen 4-dimensionaler Mannigfaltigkeiten werden durch Kirby-Diagramme beschrieben.

Relative Henkelzerlegung

Es sei M eine kompakte, differenzierbare Mannigfaltigkeit mit einer Zerlegung des Randes M in (möglicherweise leere) Teilmengen

M=+MM.

Eine Henkelzerlegung von M relativ zu M ist eine Darstellung von M als durch sukzessives Ankleben von Henkeln an M×[0,1] konstruierte Mannigfaltigkeit. Mittels Morse-Theorie kann man zeigen, dass es zu jedem solchen Paar (M,M) eine Henkelzerlegung von M relativ zu M gibt.[7]

Cerf-Theorie

Zwei Henkelzerlegungen derselben Mannigfaltigkeit lassen sich durch Henkelgleiten (engl.: handle slide) und Hinzufūgen oder Weglassen zweier komplementärer Henkel (engl.: cancellation) ineinander überführen.

Henkelgleiten

Die Mannigfaltigkeit M entstehe aus M durch Ankleben eines k-Henkels mittels der Anklebe-Abbildung ϕ:Sk1×BmkM. Es sei h:M×[0,1]M eine Isotopie mit h0=id und h:=h1. Dann ist die durch Ankleben eines k-Henkels an M mittels der Verklebeabbildung hϕ konstruierte Mannigfaltigkeit M diffeomorph zu M.

Insbesondere kann man einen k-Henkel stets so ankleben, dass seine Anklebesphäre disjunkt von den Gürtelsphären aller l-Henkel mit lk ist. Als Folgerung daraus kann man für jede kompakte, differenzierbare Mannigfaltigkeit eine Henkelzerlegung so konstruieren, dass Henkel in aufsteigender Folge ihrer Indizes an eine Menge von 0-Henkeln angeklebt werden, d. h. für lk werden die l-Henkel nach den k-Henkeln angeklebt.

Komplementäre Henkel

Ein k-Henkel und ein (k+1)-Henkel heißen komplementär, wenn die Anklebesphäre des (k+1)-Henkels die Gürtelsphäre des k-Henkels in genau einem Punkt transversal schneidet.

Wenn eine Mannigfaltigkeit M aus einer Mannigfaltigkeit M durch Ankleben eines k-Henkels und anschließendes Ankleben eines zu diesem komplementären (k+1)-Henkels entsteht, dann ist M diffeomorph zu M. Als Folgerung daraus kann man eine Henkel-Zerlegung stets so wählen, dass es genau einen 0-Henkel gibt und weiterhin, falls M= bzw. M= so dass es genau einen bzw. keinen m-Henkel mit m=dim(M) gibt.

Satz von Cerf

Zwei (relative) Henkelzerlegungen eines Paares (M,M) (mit in aufsteigender Reihenfolge der Indizes angeklebten Henkeln) lassen sich durch eine Folge von Henkel-Gleiten, Hinzufügen/Entfernen eines komplementären Henkelpaares und Isotopien ineinander überführen.[8]

Chirurgien (Sphärische Modifikationen) und Zusammenhang zur Kobordismustheorie

2-Chirurgie der 2-Sphäre

Wenn eine Mannigfaltigkeit M aus M durch Ankleben eines k-Henkels entsteht, dann entsteht die (m-1)-Mannigfaltigkeit M aus M durch eine (k1)-Chirurgie, d. h. durch Ausschneiden der eingebetteten Sk1×Dmk und anschließendes Einkleben von Dk×Spk1 mittels der kanonischen Identifikation

(Dk×Smk1)=Sk1×Smk1=(Sk1×Dmk).

(Diese Chirurgien werden in der Literatur auch als sphärische Modifikationen bezeichnet.)

Sei W ein Kobordismus zwischen geschlossenen Mannigfaltigkeiten M0 und M1, also eine kompakte Mannigfaltigkeit W mit W=M0M1. Dann erhält man mit dem Satz von Smale eine Henkelzerlegung von W relativ zu M0 und mithin eine Konstruktion von M1 aus M0 durch eine Abfolge von Chirurgien (sphärischen Modifikationen).

Literatur

  • Robert E. Gompf, András I. Stipsicz: 4-manifolds and Kirby calculus (= Graduate Studies in Mathematics. 20). American Mathematical Society, Providence RI 1999, ISBN 0-8218-0994-6.
  • Yukio Matsumoto: An introduction to Morse theory (= Translations of Mathematical Monographs. 208 = Iwanami Series in Modern Mathematics.). Translated from the 1997 Japanese original by Kiki Hudson and Masahico Saito. American Mathematical Society, Providence RI 2002, ISBN 0-8218-1022-7.

Einzelnachweise

  1. Stephen Smale: On the structure of 5-manifolds. In: Annals of Mathematics. Band 75, Nummer 1, 1962, S. 38–46, Vorlage:JSTOR.
  2. Stephen Smale: Generalized Poincaré’s conjecture in dimensions greater than four. In: Annals of Mathematics. Band 74, Nummer 2, 1961, S. 391–406, Vorlage:JSTOR.
  3. John Milnor: Morse theory. Based on lecture notes by M. Spivak and R. Wells (= Annals of Mathematics Studies. 51). Princeton University Press, Princeton NJ 1963.
  4. Richard S. Palais: Morse theory on Hilbert manifolds. In: Topology. Band 2, Nummer 4, 1963, S. 299–340, Vorlage:DOI.
  5. Takehiro Fukui: On a proof of theorem in passing a critical level. In: Mathematical Seminar Notes. Kobe University. Band 3, 1975, S. 71–74.
  6. Ib Madsen, Jørgen Tornehave: From Calculus to Cohomology. De Rham cohomology and characteristic classes. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1997, ISBN 0-521-58059-5 (Appendix C).
  7. John Milnor: Lectures on the h-Cobordism Theorem. Notes by Laurent Siebenmann and Jonathan Sondow. Princeton University Press, Princeton NJ 1965.
  8. Jean Cerf: La stratification naturelle des espaces de fonctions différentiables réelles et le théorème de la pseudo-isotopie. In: Publications Mathématiques de l’IHÉS. Band 39, 1970, S. 5–173.