Reidemeister-Torsion

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Im mathematischen Teilgebiet der Topologie ist die Reidemeister-Torsion (auch Reidemeister-Franz-Torsion) eine topologische Invariante, mit der auch Räume unterschieden werden können, für welche klassische Invarianten der algebraischen Topologie wie Fundamentalgruppe und Homologiegruppen übereinstimmen.

Eine Variante der heute üblichen Konstruktion wurde 1935 von Kurt Reidemeister verwendet, um die Homöomorphietypen 3-dimensionaler Linsenräume zu klassifizieren. Wolfgang Franz benutzte wenig später die unten dargestellte Konstruktion um auch höher-dimensionale Linsenräume klassifizieren zu können.

Konstruktion

Sei K ein kompakter CW-Komplex mit verschwindender Euler-Charakteristik χ(K)=0 und ρ:π1KSL(n,) eine Darstellung der Fundamentalgruppe.

Sei K~ die universelle Überlagerung, auf der π1K durch Deckbewegungen wirkt, und C*(K~,) ihr singulärer Kettenkomplex. Der getwistete Kettenkomplex

C*(K,ρ):=C*(K~,)ρn

ist der Quotient des Tensorprodukts C*(K~,)n unter der Identifikation vγ1c=ρ(γ)vc für alle γπ1K. Der Randoperator K von C*(K~,) induziert einen Randoperator :=Kid auf C*(K,ρ). Um die Reidemeister-Torsion definieren zu können, müssen wir annehmen, dass C*(K,ρ) azyklisch ist, also ker()=im().

Sei nun Bi:=Bild()Ci(K,ρ) die Untergruppe der Ränder. Wähle eine Basis {bki}k von Bi und setze sie mit dem Basisergänzungssatz zu einer Basis {cki}k von Ci(K,ρ) fort. Wegen Hi(K,ρ)=0 haben wir eine exakte Sequenz

0BiCi(K,ρ)Bi10

und können zu den bli1Bi1 Urbilder b~li1Ci(K,ρ) finden, so dass {bki}k{b~li1}l eine Basis von Ci(K,ρ) ist.

Zu den Basen {cki}k und {bki}k{b~li1}l gibt es eine eindeutige Matrix, welche die erste Basis auf die zweite abbildet. Wir bezeichnen die Determinante dieser Matrix mit [bib~i1:ci]. Dann definieren wir die Reidemeister-Torsion von (K,ρ) durch

τ(K,ρ)=±Πi0[b2ib~2i1:c2i][b2i+1b~2i:c2i+1]*/{±1}.

Die ±1-Unbestimmtheit entsteht durch die Abhängigkeit der Determinante von der Anordnung der Basiselemente. Alle anderen Wahlen haben keinen Einfluss auf das Ergebnis, insbesondere heben sich durch das alternierende Produkt die durch die Wahl einer anderen Basis bi entstehenden Faktoren gegeneinander auf.

Invarianz

Reidemeister-Torsion ist im Allgemeinen nicht invariant unter Homotopieäquivalenzen und kann deshalb verwendet werden, um homotopieäquivalente, aber nicht homöomorphe Räume zu unterscheiden. Die Reidemeister-Torsion (zu einer gegebenen Darstellung der Fundamentalgruppe) ist invariant unter einfachen Homotopieäquivalenzen.[1]

Eine relative Version der Reidemeister-Torsion kann benutzt werden, um PL-Komplexe zu unterscheiden, die homöomorph, aber nicht PL-äquivalent sind.[2]

Beispiele

  • Für den Linsenraum L(p,q) und die Darstellung ρξ:π1M=/pSU(2) mit ρξ(1)=diag(ξ,ξ1) für eine p-te Einheitswurzel ξ erhält man τ(L(p,q),ρξ)=ξ1ξq11, wobei q1 die Lösung von aq1 mod p, also das Inverse von q in /p bezeichnet. Insbesondere erhält man für q≢±q±1 mod p unterschiedliche Reidemeister-Torsionen, womit diese Linsenräume nicht homöomorph sein können.[3][4]
  • Eine sphärische Raumform ist durch ihre Fundamentalgruppe und ihre Reidemeister-Torsionen aller Darstellungen π1MO(n) eindeutig festgelegt.[5]
  • Für eine n-dimensionale rationale Homologiesphäre M und die triviale Darstellung ρ ist τ(M,ρ)=Πi=1n1Hi(M,)(1)i, die Reidemeister-Torsion hängt also mit der Torsion der Homologiegruppen zusammen.
  • Für ein Knotenkomplement und die mittels der Abelisierung ab:π1(S3K)H1(S3K)= durch γtab(γ) gegebene Darstellung ρ:π1(S3K)(t) ist t1τ(S3K,ρ) das Alexander-Polynom.[6]

Satz von Cheeger-Müller

Der Satz von Cheeger-Müller besagt die Gleichheit von analytischer Torsion und Reidemeister-Torsion (bis auf Vorzeichen, weil die Reidemeister-Torsion nur bis auf Vorzeichen definiert ist). Er wurde zunächst von Cheeger und Müller für orthogonale oder unitäre Darstellungen bewiesen[7][8] und später von Müller auf unimodulare Darstellungen verallgemeinert.[9]

Literatur

  • John Milnor: Whitehead torsion. Bull. Amer. Math. Soc. 72 (1966), 358–426.
  • G. de Rham, S. Maumary, M. Kervaire: Torsion et type simple d'homotopie. Exposés faits au séminaire de Topologie de l'Université de Lausanne. Lecture Notes in Mathematics, No. 48, Springer-Verlag, Berlin-New York, 1967.
  • Vladimir Turaev: Torsions of 3-dimensional manifolds. Progress in Mathematics, 208. Birkhäuser Verlag, Basel 2002, ISBN 3-7643-6911-6
  • Kiyoshi Igusa: Higher Franz-Reidemeister torsion. AMS/IP Studies in Advanced Mathematics, 31. American Mathematical Society, Providence, RI; International Press, Somerville, MA 2002, ISBN 0-8218-3170-4
  • Liviu Nicolaescu: The Reidemeister torsion of 3-manifolds. De Gruyter Studies in Mathematics, 30. Walter de Gruyter & Co., Berlin 2003, ISBN 3-11-017383-2

Einzelnachweise

  1. T. A. Chapman: Topological invariance of Whitehead torsion. Amer. J. Math. 96 (1974), 488–497.
  2. John Milnor: Two complexes which are homeomorphic but combinatorially distinct. Ann. of Math. (2) 74 (1961), 575–590.
  3. Kurt Reidemeister: Homotopieringe und Linsenräume. Abh. Math. Sem. Univ. Hamburg 11: 102–109 (1935).
  4. Wolfgang Franz: Über die Torsion einer Überdeckung. J. Reine Angew. Math. 173 (1935), 245–254.
  5. Georges de Rham: Complexes à automorphismes et homéomorphie différentiable. Ann. Inst. Fourier Grenoble 2 (1950), 51–67 (1951).
  6. John Milnor: A duality theorem for Reidemeister torsion. Ann. of Math. (2) 76 (1962), 137–147.
  7. Werner Müller: Analytic torsion and R-torsion of Riemannian manifolds. Adv. in Math. 28 (1978), no. 3, 233–305.
  8. Jeff Cheeger: Analytic torsion and the heat equation. Ann. of Math. (2) 109 (1979), no. 2, 259–322.
  9. Werner Müller: Analytic torsion and R -torsion for unimodular representations. J. Amer. Math. Soc. 6 (1993), no. 3, 721–753.