Verschiebungssatz (Statistik)

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Der Verschiebungssatz (auch Satz von Steiner oder Steinerscher Verschiebungssatz genannt) beschreibt, wie sich die Eigenschaften einer Variablen oder Zufallsvariablen ändern, wenn zu dieser Variable eine Konstante addiert wird. Er besagt, dass sich durch Addition einer Konstante zu einer Variablen oder Zufallsvariablen bestimmte Charakteristika der Verteilung dieser Variable auf vorhersagbare Weise ändern.

Wird zu einer Zufallsvariablen X eine Konstante c addiert und diese modifizierte Variable als Y bezeichnet, dann ändern sich bestimmte Momente von Y auf vorhersagbare Weise. Die Momente von Y können durch eine einfache Formel berechnet werden, die die Momente von X und die hinzugefügte Konstante c berücksichtigt.

Der Verschiebungssatz ermöglicht es die Effekte von konstanten Verschiebungen auf die Verteilung von Variablen oder Zufallsvariablen zu verstehen. Diese Erkenntnis hat viele Anwendungen in der Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie, zum Beispiel bei der Berechnung von durchschnittlichen Werten und Varianzen von veränderten Variablen oder Zufallsvariablen.

Verschiebungssatz

Der Verschiebungssatz für Zufallsvariablen Y=X+c besagt:

E(Yk)=E((X+c)k)=j=0k(kj)ckjE(Xj)

Dabei ist E(Yk), das kte Moment der Zufallsvariablen Y, E(Xj), das jte Moment der Zufallsvariablen X. (kj) ist der Binomialkoeffizient k über j.

Insbesondere für den Fall k=2 gilt

E(Y2)=c2+2cE(X)+E(X2).

Für die Varianz einer Zufallsvariablen X gilt mit Y=XE(X), d. h. c=E(X):

Var(X)=defE((XE(X))2)=E(Y2)E(Y2)=E2(X)2E(X)E(X)+E(X2)=E(X2)E2(X).

Empirische Variante

Für die empirische Version des Verschiebungssatz für n Beobachtungswerten mit yi=xi+c müssen die theoretischen durch die empirischen Momente ersetzt werden, also MYk=1n(y1k++ynk) bzw. MXj=1n(x1j++xnj) und dann gilt:

MYk=j=0k(kj)ckjMXj

Analog zu den Zufallsvariablen kann man für k=2 ableiten mit c=x¯:

1ni=1n(xix¯)2=(1ni=1nxi2)(1ni=1nxi)2.

Beispiel mit n Beobachtungswerten

Der Verschiebungssatz wird zunächst am einfachsten Fall vorgeführt: Es seien beispielsweise die Werte x1,x2,,xn aus einer Stichprobe gegeben. Es wird die Summe der Abweichungsquadrate dieser Werte gebildet:

SQx=i=1n(xix)2 ,

wobei

x:=1n(x1+x2++xn)=1ni=1nxi

das arithmetische Mittel der Zahlen ist. Der Verschiebungssatz ergibt sich aus[1]

SQx=i=1n(xi22xix+x2)=(i=1nxi2)2x(i=1nxi)+nx2
=(i=1nxi2)2xnx+nx2=(i=1nxi2)nx2.

Rechenbeispiel

Im Rahmen der Qualitätssicherung werden fortlaufend Kaffeepakete gewogen. Für die ersten vier Pakete erhielt man die Werte (in g) xi

505,500,495,505

Das durchschnittliche Gewicht beträgt

x=505+500+495+5054=501,25

Es ist

SQx=(505501,25)2+(500501,25)2+(495501,25)2+(505501,25)2=14,0625+1,5625+39,0625+14,0625=68,75.

Für die Anwendung des Verschiebungssatzes berechnet man

q1=i=1nxi=505+500+495+505=2.005

und

q2=i=1nxi2=255.025+250.000+245.025+255.025=1.005.075
SQx=q214q12=68,75

Damit kann beispielsweise die (korrigierte) empirische Varianz als „durchschnittliches“ Abweichungsquadrat bestimmt werden:

s2=1n1SQx,

im Beispiel

s2=14168,7522,9.

Wird die Stichprobe um ein weiteres Paket erweitert, so reicht es zur Neuberechnung der Stichprobenvariation mit Hilfe des Verschiebungssatzes, lediglich die Werte für q1 und q2 neu zu berechnen. Beim fünften Paket werde das Gewicht 510 g gemessen. Dann gilt:

q1neu=q1+510=2.005+510=2.515,
q2neu=q2+5102=1.005.075+260.100=1.265.175, sowie
SQneu=q2neu15(q1neu)2=130.

Die Stichprobenvarianz der neuen, größeren Stichprobe ist dann

sneu2=151SQneu=130/4=32,5.

Anwendungen

Summe der quadratischen Abweichungen

Für die Summe der quadratischen Abweichungen von n Beobachtungswerten x1,,xn und deren arithmetisches Mittel x gilt:

SQx=i=1n(xix)2=(i=1nxi2)nx2=(i=1nxi2)1n(i=1nxi)2.

Damit kann man SQx berechnen, ohne das Mittel x bereits vorab zu kennen und ohne alle Stichprobenwerte speichern zu müssen.

Bei der Berechnung mit Gleitkommazahlen kann es jedoch zu einer numerischen Auslöschung kommen, wenn x2 erheblich größer ist als die Varianz, die Daten also nicht zentriert sind.[2] Daher bietet sich die Verwendung dieser Formel primär für analytische Betrachtungen an, nicht für die Verwendung mit realen Daten. Eine mögliche Abhilfe[3] ist, vorab eine Näherung x~x für das Mittel zu bestimmen und damit zu berechnen:

SQx=i=1n(xix)2=i=1n(xix~)21n(i=1n(xix~))2.

Falls die Näherung x~ nahe genug an dem echten Mittel x liegt, ist die Genauigkeit mit dieser Formel gut. Weitere numerisch stabilere Berechnungsmethoden finden sich in der Literatur.[3][2]

Stichprobenkovarianz

Die Summe der Abweichungsprodukte zweier Merkmale x und y ist gegeben durch

SPxy:=i=1n(xix)(yiy) .

Hier ergibt der Verschiebungssatz

SPxy=i=1n(xiyi)nxy .

Die korrigierte Stichprobenkovarianz berechnet sich dann als „durchschnittliches“ Abweichungsprodukt

sxy=1n1SPxy .

Zufallsvariable

Varianz

Die Varianz einer Zufallsvariablen

Var(X)=E((XE(X))2)

lässt sich mit dem Verschiebungssatz auch angeben als[4]

Var(X)=E(X2)(E(X))2 .

Dieses Resultat wird auch als Satz von König-Huygens bezeichnet. Es ergibt sich aus der Linearität des Erwartungswertes:

E((XE(X))2)=E(X22XE(X)+E(X)2)=E(X2)E(2XE(X))+E(E(X)2)=E(X2)2E(X)E(X)+E(X)2=E(X2)E(X)2.

Eine allgemeinere Darstellung des Verschiebungssatzes ergibt sich aus:

Var(X)=E((Xc)2)(E(X)c)2,c.
  • Man erhält bei einer diskreten Zufallsvariablen X mit den Ausprägungen xi,i=1,,n und der dazugehörigen Wahrscheinlichkeit P(X=xj)=pj dann für
Var(X)=E((XE(X))2)=jpj(xjipixi)2=ipixi2(ipixi)2 .
Mit der speziellen Wahl pi=1n ergibt sich E(X)=x=1nixi und die obige Formel
1ni(xix)2=1nixi2x2.
  • Für eine stetige Zufallsvariable X und der dazugehörigen Dichtefunktion f ist
Var(X)=E((XE(X))2)=(xE(X))2f(x)dx .
Man erhält hier mit dem Verschiebungssatz
Var(X)=E((XE(X))2)=x2f(x)dxE(X)2 .

Kovarianz

Die Kovarianz zweier Zufallsvariablen X und Y

Cov(X,Y)=E((XE(X))(YE(Y)))

lässt sich mit dem Verschiebungssatz als

Cov(X,Y)=E(XY)E(X)E(Y)

angeben.

Für diskrete Zufallsvariablen erhält man für

Cov(X,Y)=jk(xjE(X))(ykE(Y))f(xj,yk)

entsprechend zu oben

Cov(X,Y)=jkxjykf(xj,yk)E(X)E(Y) ,

mit f(xj,yk) als gemeinsamer Wahrscheinlichkeit, dass X=xj und Y=yk ist.

Bei stetigen Zufallsvariablen ergibt sich mit f(x,y) als gemeinsamer Dichtefunktion von X und Y an der Stelle x und y für die Kovarianz

Cov(X,Y)=(xE(X))(yE(Y))f(x,y)dydx

entsprechend zu oben

Cov(X,Y)=xyf(x,y)dydxE(X)E(Y)

Geschichte

Die Herkunft der Bezeichnung Satz von Steiner für den Verschiebungssatz ist unklar. Eine direkte Verbindung des Verschiebungssatzes zu dem Werk des Mathematikers Jacob Steiner besteht nicht.

Einzelnachweise

  1. Hans-Friedrich Eckey, Reinhold Kosfeld, Christian Dreger: Statistik: Grundlagen — Methoden — Beispiele, S. 86
  2. 2,0 2,1 Vorlage:Literatur
  3. 3,0 3,1 Tony F. Chan, Gene H. Golub, Randall J. LeVeque: Algorithms for computing the sample variance: analysis and recommendations. In: The American Statistician Vol. 37, No. 3 (Aug., 1983), S. 242–247
  4. Ansgar Steland: Basiswissen Statistik, S. 116