Situationskalkül

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Beim Situationskalkül handelt es sich um ein Konzept der künstlichen Intelligenz. Es werden Auswirkungen von Aktionen auf Situationen in einer Modellwelt unter Verwendung der Prädikatenlogik beschrieben. Angewendet wird der Situationskalkül zum Beispiel in der Sprache GOLOG, welche unter anderem in der Robotik zur Aktionsplanung eingesetzt wird.

Es geht auf John McCarthy und Pat Hayes in den 1960er Jahren zurück. Weiterentwickelt wurde er von Ray Reiter in den 1990er Jahren.

Beschreibung der Modellwelt

Die Durchführung einer Aktion a führt zu einer Nachfolgesituation si+1, die von der vorherigen Situation si und der durchgeführten Aktion abhängig ist. Das lässt sich formal durch eine binäre Funktion do(a,s) ausdrücken: si+1=do(a,si). Nicht jede Aktion lässt sich in jeder Situation durchführen. Die Durchführbarkeit lässt sich mit Hilfe des Prädikats Poss(a,s) definieren, welches in allen Situationen wahr ist, in denen die Aktion erlaubt ist. Für diese Definition sind häufig situationsabhängige Prädikate notwendig. Relationen, die ihren Wahrheitswert über die Zeit ändern, heißen Fluents.

Beispiel

Als Beispiel dient ein Schrank mit mehreren Schubladen. Aus den Schubladen können Gegenstände genommen werden, die Schubladen können geöffnet und geschlossen werden. Dieser Sachverhalt lässt sich folgendermaßen beschreiben:

  • Geschlossene Schubladen können geöffnet werden! → Die Schublade x lässt sich genau in den Situationen s öffnen, in denen sie geschlossen ist.
Poss(𝑜𝑒𝑓𝑓𝑛𝑒𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x),s)𝑖𝑠𝑡𝐺𝑒𝑠𝑐𝑙𝑜𝑠𝑠𝑒𝑛(x,s)
  • Wenn man eine Schublade öffnet, dann ist sie danach geöffnet! → Wird die Schublade x in einer Situation s geöffnet, so folgt daraus, dass sie in der darauffolgenden Situation nicht mehr geschlossen ist.
Poss(𝑜𝑒𝑓𝑓𝑛𝑒𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x),s)¬𝑖𝑠𝑡𝐺𝑒𝑠𝑐𝑙𝑜𝑠𝑠𝑒𝑛(x,do(𝑜𝑒𝑓𝑓𝑛𝑒𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x),s))
  • Gegenstände, die sich in einer geöffneten Schublade befinden, können herausgenommen werden! → Der Gegenstand y kann genau in den Situationen s aus der Schublade x genommen werden, in denen gleichzeitig die Schublade nicht geschlossen ist und sich der Gegenstand in der Schublade befindet.
Poss(𝑛𝑖𝑚𝑚𝐴𝑢𝑠𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x,y),s)¬𝑖𝑠𝑡𝐺𝑒𝑠𝑐𝑙𝑜𝑠𝑠𝑒𝑛(x,s)𝑖𝑠𝑡𝐼𝑛𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x,y,s)
  • Nimmt man einen Gegenstand raus, dann ist er danach nicht mehr in der Schublade! → Wird der Gegenstand y in einer Situationen s aus der Schublade x genommen, so befindet sich der Gegenstand in der nachfolgenden Situation nicht mehr in der Schublade.
Poss(𝑛𝑖𝑚𝑚𝐴𝑢𝑠𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x,y),s)¬𝑖𝑠𝑡𝐼𝑛𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x,y,do(𝑛𝑖𝑚𝑚𝐴𝑢𝑠𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x,y),s))
  • Geöffnete Schubladen können geschlossen werden! → Die Schublade x lässt sich genau in den Situationen s schließen, in denen sie nicht geschlossen ist.
Poss(𝑠𝑐𝑙𝑖𝑒𝑠𝑠𝑒𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x),s)¬𝑖𝑠𝑡𝐺𝑒𝑠𝑐𝑙𝑜𝑠𝑠𝑒𝑛(x,s)
  • Wenn man eine Schublade schließt, dann ist sie danach geschlossen! → Wird die Schublade x in einer Situation s geschlossen, so folgt daraus, dass sie in der darauffolgenden Situation geschlossen ist.
Poss(𝑠𝑐𝑙𝑖𝑒𝑠𝑠𝑒𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x),s)𝑖𝑠𝑡𝐺𝑒𝑠𝑐𝑙𝑜𝑠𝑠𝑒𝑛(x,do(𝑠𝑐𝑙𝑖𝑒𝑠𝑠𝑒𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x),s))

Rahmenproblem

Vorlage:Hauptartikel Das vorangegangene Beispiel führt direkt zum Rahmenproblem, da die Klauseln noch nicht ausreichen, um die Welt zu beschreiben. Es fehlen noch triviale Klauseln, die nur aussagen, dass alle anderen Dinge durch die Aktionen nicht verändert werden. Diese Klauseln werden schon bei kleinen Welten außerordentlich zahlreich: Bei 100 verschiedenen Aktionen mit 50 Fluenten sind schon zirka 10000 Klauseln zur Beschreibung notwendig. Raymond Reiter[1] hat für dieses Problem 1991 eine Lösung gefunden, die nur eine Klausel zur Darstellung eines Fluenten benötigt:

  • Wenn es möglich ist, eine Aktion a in einer Situation s durchzuführen, dann folgt daraus, dass die Schublade genau dann in der Nachfolgesituation geschlossen ist, wenn entweder die Aktion a das Schließen der Schublade war oder wenn die Schublade vorher schon geschlossen war, und es sich bei der Aktion nicht um das Öffnen der Schublade gehandelt hat.
Poss(a,s)[𝑖𝑠𝑡𝐺𝑒𝑠𝑐𝑙𝑜𝑠𝑠𝑒𝑛(x,do(a,s))[a=𝑠𝑐𝑙𝑖𝑒𝑠𝑠𝑒𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x)𝑖𝑠𝑡𝐺𝑒𝑠𝑐𝑙𝑜𝑠𝑠𝑒𝑛(x,s)a𝑜𝑒𝑓𝑓𝑛𝑒𝑆𝑐𝑢𝑏𝑙𝑎𝑑𝑒(x)]]

Dieser Lösungsansatz ist unter dem Namen Successor State Axiom bekannt.

Axiome des Situationskalküls

Die Axiome sind folgende Klauseln, die in jeder Welt gelten:

Es gibt genau eine Anfangssituation S0, keine Situation s liegt vor der Anfangssituation

¬(sS0)

Jede Situation ist einmalig. Wenn zwei Situationen gleich sind, die durch die Aktion a1 in der Situation s1 und durch die Aktion a2 in der Situation s2 entstanden sind, dann sind sowohl die Situationen s1 und s2 gleich, als auch die Aktionen a1 und a2.

do(a1,s1)=do(a2,s2)a1=a2s1=s2

Eine Aussage ist in allen Situationen wahr, wenn sie in der Anfangssituation wahr ist, und die Aussage auch nach Durchführung einer beliebigen Aktion in einer beliebigen Situation wahr bleibt.

P.P(S0)as[P(s)P(do(a,s))]sP(s)

Ein Teil der Situationen ist sortierbar. Der Vergleichsoperator wird rekursiv definiert: Eine Situation s1, die vor einer Situation do(a,s2) liegt, die sich durch Ausführung der Aktion a in der Situation s2 ergibt, ist entweder die Situation s2 oder eine Situation, die vor s2 liegt.

s1do(a,s2)s1=s2s1s2s1s2

Bemerkung

Wenn man als Anfangsbedingung setzt, dass sich ein Ball in der geschlossenen linken Schublade befindet, und als Ziel, dass der Ball sich dort nicht mehr befinden soll, lässt sich unter Berücksichtigung aller Klauseln ein Plan berechnen, der die linke Schublade öffnet und den Ball aus der Schublade nimmt.

Siehe auch

Literatur

  • Hermann Scheffler: Der Situationskalkul. Versuch einer arithmetischen Darstellung der niederen und höheren Geometrie auf Grund einer abstrakten Auffassung der räumlichen Größen, Formen und Bewegungen. Braunschweig, Friedrich Vieweg, 1851.
  • Christoph Beierle, Gabriele Kern-Isberner: Methoden wissensbasierter Systeme: Grundlagen, Algorithmen, Anwendungen. Teubner-Verlag, 2008, S. 304.
  • Raymond Reiter: Knowledge in Action. Logical Foundations for Specifying and Implementing Dynamical Systems. 2001, ISBN 0-262-18218-1.
  • Raymond Reiter: The frame problem in the situation calculus: a simple solution (sometimes) and a completeness result for goal regression. In: Vladimir Lifschitz (Hrsg.): Artificial Intelligence and Mathematical Theory of Computation: Papers in Honor of John McCarthy, S. 359–380. Academic Press, New York, 1991. ISBN 0-124-50010-2.

Einzelnachweise