Kesselformel

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Zylindersegment mit Schnittspannungsdarstellung infolge Innendruck

Die Kesselformel ist eine Berechnungsformel aus der Technischen Mechanik. Sie hat eine elementare Bedeutung bei der Berechnung und Auslegung von Dampfkesseln, Druckbehältern und Rohrleitungen. Rohrleitungen werden nach DIN EN 13480, Teil 3 durch eine ähnliche Formel ausgelegt.[1]

Anwendung

Die Kesselformel gibt die mechanischen Spannungen in durch Innendruck belasteten rotationssymmetrischen Körpern an, wie sie beispielsweise in Rohren oder Druckbehältern anzutreffen sind (Annahme: Außendruck = 0 bzw. viel kleiner als der Innendruck). Sie beruht als Membranspannung auf einem Kräftegleichgewicht, daher sind zur Berechnung der Spannungen weder Verformungsannahmen noch Elastizitätsgrößen notwendig.

Die Kesselformel gilt nur für dünnwandige und gekrümmte Druckbehälter. Für Kessel, die aus ebenen Blechen bzw. Platten hergestellt sind, sowie für dickwandige zylindrische Behälter, gilt die Kesselformel nicht bzw. nur als (grobe) Näherungslösung.

Ein Druckbehälter kann als dünnwandig betrachtet werden, wenn seine Wanddicke s klein im Vergleich zum Außendurchmesser D ist (z. B. D/s ≥ 12 bzw. Außendurchmesser / Innendurchmesser = D/d ≤ 1,2). Die größte Spannung ist bei zylindrischen Körpern die Tangentialspannung σt, weshalb zu schwach ausgelegte Rohre und ähnlich geformte Behälter tendenziell in Längsrichtung platzen bzw. bersten.

Formulierung

Zylindersegment mit Maßen

Die Umfangsspannung (Tangentialspannung) und die Längsspannung (Axialspannung) in einem durch Innendruck belasteten dünnwandigen Zylinder, der an den Enden abgeschlossen ist, sind:[2]

σt=pdm2s,
σa=pdm4s,

mit dem Innendruck p, der Wanddicke s sowie dem mittleren Durchmesser dm. Letzterer berechnet sich gemäß dm=d+s=(D+d)/2.

In dieser Form ist die Kesselformel auch als „Bockwurst-Formel“ bekannt. Die Bezeichnung dient als Eselsbrücke, um sich zu merken, welche der beiden Spannungen die größere ist. Die Umfangsspannung ist doppelt so groß wie die Spannung in Längsrichtung, daher platzen Würste bei übermäßiger Erwärmung stets in Längsrichtung.

Zusätzlich zu den oben genannten Komponenten wirkt außerdem eine Spannung in radialer Richtung: σr. Diese ist an der Behälterinnenseite σr(d)=p und an der Außenseite (unbelastete Oberfläche) σr(D)=0.

Herleitung

Die Gleichungen ergeben sich aus der Betrachtung der Kräftegleichgewichte im dünnwandigen Zylindermantel/-membran (Längsschnitt bzw. Querschnitt). Es sind

ΔAL=2(sΔl) …die Wanddickenfläche im symmetrischen Zylindermantel-Längsschnitt (gemäß der Grafiken oben, Δl …Segmentlänge),
ΔAM,proj.=dmΔl …die projizierte Mantel-Innenfläche (Annahme: ddm),
AQ=πdms …die Wanddickenfläche im Zylindermantel-Querschnitt (äquivalent zu AQ=π(D2d2)/4)  sowie
AG,proj.=πdm2/4 …die projizierte Innenfläche der geschlossenen Enden (Zylindergrundfläche, ddm).

Mit der Definition der mechanischen Spannung und des physikalischen Drucks σ=ΔF/ΔA  bzw.  σ=F/A  und  p=F/A folgt

ΔFt=ΔFt
σtΔAL=pΔAM,proj.
σt=pdm/(2s).
Fa=Fa
σaAQ=pAG,proj.
σa=pdm/(4s).

Mindestwanddicke

Die von der zulässigen Mantelspannung σzul abhängige Mindestwanddicke errechnet sich inklusive Wanddickenzuschlägen mittels folgender Formel:

smin=pdm2σzul+s1+s2,

wobei s1 den Zuschlag für Korrosion und s2 den Zuschlag für Toleranzfehler bezeichnet.

Bei kugeligen Behältern werden die in allen Mantelrichtungen gleichen Tangentialspannungen, wie die Axialspannung beim Zylinder, durch ein Kräftegleichgewicht der Kreisringfläche des tragenden Mantels mit der „Druckwirkungskreisfläche“ berechnet (alle Schnittebenen durch den Mittelpunkt). Da die maximale Mantelspannung gegenüber der Zylinderform halb so groß ist, halbiert sich die erforderliche Mindestwandstärke:

smin=pdm4σzul+s1+s2.

Die Kesselformel(n) als Näherungslösung

Der Spannungszustand im Mantel geschlossener, druckbelasteter, langer Hohlzylinder kann allgemein über die Laméschen Formeln berechnet werden. Für die Tangentialspannung σt an der Position der halben Wandstärke dm gilt bei einem Außendruck  paußen=0 Pa (näherungsweise* auch bei  paußenp):[3]

σt,Lamé(dm,paußen=0)=pd2D2d2(1+D2dm2).
* Relativer Fehler von  σt,Lamé(dm) bei Annahme  paußen=0
D/d p/paußen=15 p/paußen=25 p/paußen=50 p/paußen=100
1,01 7,2 % 4,2 % 2,1 % 1,0 %
1,05 7,5 % 4,4 % 2,1 % 1,1 %
1,10 7,9 % 4,6 % 2,2 % 1,1 %
1,15 8,3 % 4,8 % 2,4 % 1,2 %
1,20 8,7 % 5,0 % 2,5 % 1,2 %
1,50 10,2 % 6,4 % 3,1 % 1,5 %
σt,Lamé(dm,0)σt,Lamé(dm,pm)=m(5n2+2n+1)m(5n2+2n+1)n2(n2+2n+5), mit m=ppaußen, n=Dd.

Mit den Annahmen für dünnwandige Zylinder ddm und Ddm sowie den Beziehungen  2dm=D+d  und  2s=Dd  ergibt sich unter Anwendung der dritten binomischen Formel

σt,Lamé(dm,0)=pd2(D+d)(Dd)(1+D2dm2)pdm22dm2s(1+dm2dm2)=pdm2s=σt,Kessel.

Im Zuge dieser Näherungslösung resultieren abhängig vom Durchmesserverhältnis D/d die in der zweiten Spalte der folgenden Tabelle angegebenen Abweichungen.

D/d σt,Kessel/σt,Lamé(dm,0) σt,Kessel/σt,Lamé(d,0) σa,Kessel/σa,Lamé(0)
1,01 1,005 1,000 1,010
1,05 1,025 0,999 1,051
1,10 1,051 0,998 1,103
1,15 1,078 0,995 1,156
1,20 1,105 0,992 1,210
1,50 1,281 0,962 1,563

Für den praktischen Anwendungsfall eines auf Innendruck belasteten Rohres oder Druckbehälters ist es jedoch relevanter, die Abweichungen zum Wert der Tangentialspannung am Innendurchmesser des Zylindermantels

σt,Lamé(d,0)=pd2D2d2(1+D2d2)

zu betrachten. Diese sind in Spalte 3 der obigen Tabelle aufgeführt. Es wird deutlich, dass, obwohl in der Kesselformel der Mittel-Durchmesser dm verwendet wird, der hiermit berechnete Tangentialspannungswert besser mit dem am Innendurchmesser des Zylinders übereinstimmt.

Für die Axialspannung im Zylindermantel gilt analog

σa,Lamé(0)=pd2D2d2pdm4s=σa,Kessel,

wobei im Vergleich zur Tangentialspannung größere Abweichungen infolge der Vereinfachung auftreten (Spalte 4). Dies geschieht jedoch im Sinne einer konservativen Annahme. Wird in der Kesselformel zur Berechnung der Axialspannung statt des Mittel-Durchmessers dm der Innendurchmesser d verwendet, so halbieren sich die Abweichungen etwa.

Literatur

Einzelnachweise

  1. DIN EN 13480-3, Ausgabe Dezember 2017: Metallische industrielle Rohrleitungen – Teil 3: Konstruktion und Berechnung; deutsche Fassung EN 13480-3:2017.
    Für unbefeuerte Druckbehälter findet sich die äquivalente Formel in der DIN EN 13445 Teil 3, Abschnitt 7.4: Zylinder- und Kugelschalen.
  2. Statik, insbesondere Schnittprinzip: Gerhard Knappstein, Seite 243, Verlag Harri Deutsch, ISBN 978-3-8171-1803-8
  3. Vorlage:Internetquelle