Borel-Hierarchie

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Schematische Darstellung eines Ausschnitts der Borel-Hierarchie: Pfeile zeigen die Übergänge zwischen den Mengensystemen an, die Pfeile mit weißen Quadraten Teilmengen-Relationen

In der Mathematik und insbesondere der deskriptiven Mengenlehre ist die Borel-Hierarchie eine stufenweise Aufteilung der Borelschen σ-Algebra zu einem polnischen Raum. Sie stellt einen konstruktiven Aufbau aller Borel-Mengen dar. Ist eine Eigenschaft über alle Borel-Mengen zu beweisen, ist dies oft mittels transfiniter Induktion über alle Ebenen der Borel-Hierarchie möglich.

Definition

Über einem polnischen Raum (X,𝔗) (𝔗 Menge der offenen Mengen) seien folgende Mengensysteme induktiv definiert:

  • Σ10:=𝔗.
  • Πα0:={SX|XSΣα0} für jede abzählbare Ordinalzahl α1.
  • Σα0:={SX|A0,A1,A2,p<αΠp0:S=iAi} für jede abzählbare Ordinalzahl α>1.
  • Δα0:=Σα0Πα0 für jede abzählbare Ordinalzahl α1.[1]

Σ10 bezeichnet also die offenen Mengen, Πα0 die Komplemente von Σα0-Mengen, Σα0 bezeichnet die Mengen, die sich als abzählbare Vereinigung der Πp0-Mengen für p<α darstellen lassen, und Δα0 die Mengen, die sowohl in Σα0 als auch in Πα0 liegen.

Abschluss- und Monotonie-Eigenschaften

  • Die Σα0-Mengen sind abgeschlossen unter abzählbarer Vereinigung und endlichem Schnitt.
  • Die Πα0-Mengen sind abgeschlossen unter abzählbarem Schnitt und endlicher Vereinigung.
  • Die Δα0-Mengen sind abgeschlossen unter endlichem Schnitt, endlicher Vereinigung und Komplementbildung.
  • Die Σα0-Mengen (ebenso auch die Πα0-Mengen und die Δα0-Mengen) sind abgeschlossen unter stetigen Urbildern, das heißt:

Für eine stetige Funktion f:XY zwischen topologischen Räumen X und Y ist f1(A) wiederum eine Σα0-Menge (Πα0-Menge, Δα0-Menge), falls AY eine Σα0-Menge (Πα0-Menge, Δα0-Menge) ist.

  • Σα0Δα+10Πα0 für alle abzählbaren Ordinalzahlen α.

In überabzählbaren polnischen Räumen, welche stets die Kardinalität 20 haben, sind diese Inklusionen immer strikt, während in abzählbaren polnischen Räumen Σ20 bereits alle Teilmengen des Raumes enthält.

Bezug zur Borelschen σ-Algebra

Die Vereinigung aller Mengensysteme der Borel-Hierarchie bildet genau die Borelsche σ-Algebra, d. i. die kleinste σ-Algebra, die alle offenen Mengen des polnischen Raumes enthält.

Dass jede Menge in der Borelhierarchie in der Borelschen σ-Algebra enthalten sein muss, folgt unmittelbar aus den Abschlusseigenschaften einer σ-Algebra: Gäbe es Mengen in der Borel-Hierarchie, die nicht in der Borelschen σ-Algebra enthalten sind, so gäbe es eine kleinste Ordinalzahl n, sodass Σn0 eine solche enthält (denn die Ordinalzahlen sind wohlgeordnet), was äquivalent dazu ist, dass Πn0 eine solche enthält, da σ-Algebren abgeschlossen unter Komplementbildung sind. Dieses Element ist jedoch Vereinigung abzählbar vieler Elemente von m<nΠm0, welche alle Borel-Mengen sind. Somit müsste das Element ebenfalls in der σ-Algebra enthalten sein, da σ-Algebren abgeschlossen bzgl. abzählbarer Vereinigung sind.

Umgekehrt sind alle offenen Mengen in der Borel-Hierarchie enthalten und die Mengen der Borel-Hierarchie sind abgeschlossen unter Komplementbildung und abzählbarer Vereinigung: Ersteres folgt unmittelbar aus der Definition der Πn0 als Komplemente, zweiteres lässt sich wie folgt zeigen: Seien abzählbar viele in der Borel-Hierarchie auftretende Mengen S0,S1,S2, gegeben. Für jedes i existiert eine Ordinalzahl αi, sodass SiΣαi0, schließlich treten die Mengen in der Hierarchie auf. Für das Supremum α^:=supiαi gilt dann iSiΣα^0, und das Supremum einer Menge von Ordinalzahlen ist ihre Vereinigung, somit ist α^ abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen und somit wiederum eine abzählbare Ordinalzahl. Nun wird auch deutlich, wieso gerade abzählbare Ordinalzahlen gewählt worden sind.

Bezug zur projektiven Hierarchie

Über polnischen Räumen wird ausgehend von der Borel-Hierarchie die projektive Hierarchie definiert, welche auf den analytischen Mengen, den Projektionen von Borel-Mengen, aufbaut. Nach dem Satz von Suslin sind die Borel-Mengen in einem polnischen Raum genau die Mengen, die analytisch sind und deren Komplement ebenfalls analytisch ist.

Duale Definition über abgeschlossene Mengen

Die Borel-Hierarchie lässt sich ebenfalls ausgehend von den abgeschlossenen Mengen definieren:

  • Π10 sei die Menge aller abgeschlossenen Mengen.
  • Σα0:={SX|XSΠα0} für jede abzählbare Ordinalzahl α1.
  • Πα0:={SX|A0,A1,A2,p<αΣα0:S=iAi} für jede abzählbare Ordinalzahl α>1.

Die Πα0-Mengen werden also als abzählbarer Schnitt von Σp0-Mengen für p<α definiert.

Nomenklatur

Felix Hausdorff hat folgende Bezeichnungen für die Stufen der Hierarchie zu endlichen Ordinalzahlen eingeführt: Fσ:=Σ20, Gδ:=Π20, Fσδ:=Π30, Gδσ:=Σ30, Fσδσ:=Σ40, Gδσδ:=Π40 etc., siehe auch Gδ- und Fσ-Mengen. Die einheitliche Notation Σα0, Πα0, Δα0, die auch die Analogie zur arithmetischen Hierarchie in der Rekursionstheorie andeutet, wurde von John Addison 1959 eingeführt.[2]

Einzelnachweise

  1. Descriptive Set Theory (PDF; 643 kB), lecture notes by David Marker, 2002
  2. Addison, John W.: Separation principles in the hierarchy of classical and effective descriptive set theory, Fundamenta Mathematicae XLVI, S. 123–135, 1959. pdf.