Bondis k-Kalkül

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Bondis k-Kalkül ist eine vor allem im angelsächsischen Raum verbreitete Herangehensweise an die Spezielle Relativitätstheorie. Sie wurde in den 1960er Jahren von Hermann Bondi bekannt gemacht und findet sich auch in vielen (vorwiegend englischsprachigen) Büchern über Relativitätstheorie.[1][2]

Viele Einführungen in die Relativitätstheorie beginnen mit dem Konzept der Geschwindigkeit und der Herleitung der Lorentz-Transformation. Andere Konzepte wie die sogenannte Zeitdilatation, die sogenannte Längenkontraktion, die Relativität der Gleichzeitigkeit und die Auflösung des sogenannten Zwillingsparadoxons sowie auch der relativistische Doppler-Effekt werden dann von dieser hergeleitet, alle als Funktionen der Geschwindigkeit.

Diese Reihenfolge kehrt Bondi in seinem Buch Relativity and Common Sense[3] (1964) um. Er beginnt mit etwas, das er 'fundamentales Verhältnis' nennt und mit k bezeichnet (und das sich als longitudinaler Doppler-Faktor herausstellt).

Auf dieser Basis erklärt er das Zwillingsparadoxon und die Relativität der Gleichzeitigkeit, die sogenannte Zeitdilatation und Längenkontraktion, alles ausgedrückt durch k. Erst später stellt er eine Verbindung zwischen k und der Geschwindigkeit her. Die Lorentz-Transformation taucht erst gegen Ende des Buches auf.
Auch J. L. Martin verwendet den k-Kalkül in seinem Buch General Relativity.[4]

Vorgeschichte

Bereits 1935 wurde der Kalkül von Edward Arthur Milne verwendet, der einen konstanten Doppler-Faktor mit s bezeichnete. Er behandelte aber den allgemeineren Fall einer nicht-inertialen Bewegung (und somit auch einen variablen Doppler-Faktor). Bondi verwendete stattdessen den Buchstaben k und vereinfachte Milnes Betrachtung, indem er sich auf konstante Dopplerfaktoren beschränkte. Er führte auch die Bezeichnung „k-Kalkül“ ein.

Bondis k-Faktor und der inverse k-Faktor

Raumzeit-Diagramm zur Motivation des k-Faktors einschließlich des reziproken Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende

Modellhaft stehen hier zwei inertiale Beobachter Anja und Björn (im Englischen meist Alice und Bob). Beide bewegen sich mit konstanter Relativgeschwindigkeit voneinander weg. Anja sendet Björn in gleichen Zeitabständen T (nach eigener Uhr) Lichtsignale, die Björn natürlich verzögert erreichen.
Da sie sich voneinander entfernen, nimmt die Verzögerung zu, und somit ist auch die 'Periodendauer' T, in der Björn die Signale empfängt, um einen konstanten Faktor gestreckt, der ausschließlich von der Relativgeschwindigkeit beider Beobachter abhängt und mit

kAB>1

bezeichnet wird. Um diesen Faktor ist auch die Frequenz verringert ("Rotverschiebung"), denn es kommen ja nicht Schwingungen hinzu, während das Signal unterwegs ist. Daher ist der Faktor k auch als Doppler-Faktor zu interpretieren.

In Björns Bewegungsrichtung befinde sich ein dritter inertialer Beobachter, David (engl.: Dave). Sein Abstand zu Anja und damit die Verzögerung zwischen Sendung durch Anja und Empfang durch David sei konstant, sodass

kAD=1

ist. Björn verstärke die von Anja empfangenen Signale und sende sie unverzüglich weiter. Da

kABkBD=kAD=1kBD=1kAB.

Das gilt generell:

  1. Der k-Faktor hängt ausschließlich von der relativen Geschwindigkeit ab.
  2. Er ist größer als 1, wenn sich der Abstand vergrößert, und kleiner, wenn sich der Abstand verringert.
  3. Die k-Faktoren für gleich schnelle Entfernung und Annäherung sind Kehrwerte voneinander.

Uhrenvergleich

Raumzeitdiagramm für das Uhrenparadoxon Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende

Eine vierte inertiale Beobachterin Carla (engl.: Carol) bewege sich nun genauso schnell von David zu Anja wie Björn in die umgekehrte Richtung, und zwar so, dass sie David im selben Augenblick wie Björn passiert. Die von Anja, Björn und Carla gemessenen Zeiten werden als tA,tB,tC bezeichnet.

Bei ihrem Zusammentreffen synchronisieren Anja und Björn ihre Uhren auf

tA=tB=0.

Zum Zeitpunkt tA=T sendet Anja Björn ein Lichtsignal hinterher, das Björn nach der Definition des k-Faktors zum Zeitpunkt

tB=kABT=:kT

nach eigener Uhr empfängt, wenn er David erreicht und mit Carla zusammentrifft. Carla synchronisiert ihre Uhr mit Björns auf

tC=tB=kT.

Bei ihrem Zusammentreffen senden Björn und Carla gleichzeitig Lichtsignale zu Anja. Björns Signal erreicht Anja zum Zeitpunkt

tA=k2T.

da der k-Faktor von Anja zu Björn und der von Björn zu Anja identisch sein müssen, wie es Galileis Relativitätsprinzip verlangt. Aus Symmetriegründen muss für Carlas Signal dasselbe gelten und ihr Weg von David zu Anja nach eigener Uhr ebenfalls kT in Anspruch nehmen. Bei ihrer Ankunft muss ihre Uhr die Zeit

tC=2kT

anzeigen. Der k-Faktor für diesen Teil der Reise muss der reziproke Faktor 1/k sein. Daher entspricht für von Carla zu Anja gesandte Signale ein Sendeintervall kT einem Empfangsintervall T. Für die Uhr von Anja beim Eintreffen von Carla die Zeit

tA=(k2+1)T>tC=2kT

anzeigt. Die Beziehung tA>tC ergibt sich aus

tAtC=(k22k+1)T=(k1)2T>0,

für k1 und T>0, wie es ja vorausgesetzt war.[5] Nach Newton hätte man tA = tC zu erwarten gewesen.

Radarmessungen und Geschwindigkeit

Raumzeitdiagramm für Radarmessung Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende

Im k-Kalkül werden Entfernungen mit Radar gemessen. Radiowellen breiten sich wie sichtbares Licht mit c aus. Ein Beobachter sendet zum Zeitpunkt T1 einen Radarimpuls zu einem Ziel und empfängt ein Echo zum Zeitpunkt T2, jeweils mit der eigenen Uhr gemessen. Die Entfernung zum Ziel – zum noch zu bestimmenden Zeitpunkt tA – ist also

xA=12c(T2T1).

Mit der Voraussetzung, dass Hin- und Rückweg gleich lang sind und die gleiche Zeit beanspruchen, ist

tA=12(T2+T1).

In diesem speziellen Fall ist Anja der Beobachter und Björn (der gerade David passiert) das Ziel. Der k-Kalkül liefert

T2=k2T1,

und so ist

xA=12c(k21)T1
tA=12(k2+1)T1.

Da Björn Anja bei tA=0,xA=0 passiert hat, ist Björns Geschwindigkeit relativ zu Anja durch[6][7]

v=xAtA=12c(k21)T112(k2+1)T1=ck21k2+1=ckk1k+k1

gegeben. Diese Gleichung drückt die Geschwindigkeit als Funktion von Bondis k-Faktors aus. Sie lässt sich auch nach k auflösen, um k als Funktion von v auszudrücken:[6][8]

k=c+vcv=1+v/c1v/c.

Additionstheorem für Geschwindigkeiten

Raumzeitdiagramm zur Kombination von k-Faktoren Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende

Ein fünfter inertialer Beobachter Erwin (engl.: Ed) bewege sich in dieselbe Richtung wie Björn, allerdings mit einer anderen Geschwindigkeit vAE. Um Björns Geschwindigkeit relativ zu Anja davon zu unterscheiden, wird sie daher hier mit vAB bezeichnet.

Anja sendet in Zeitabschnitten von T (nach eigener Uhr) Lichtsignale, die Björn nach seiner Uhr in Zeitabschnitten kABT und Erwin nach seiner Uhr in Zeitabschnitten kAET empfängt.

Dabei sende Björn immer in dem Moment, in dem er Anjas Signale empfängt, eigene in dieselbe Richtung, nach eigener Uhr also ebenfalls in Zeitabständen von kABT.

Björns Signale erreichen Erwin nach dessen Uhr in Zeitabständen von kBE (kABT). Da Anjas und Björns Signale Björn gleichzeitig und mit derselben Geschwindigkeit verlassen, muss

kBE(kABT)=kAET

sein. Somit müssen k-Faktoren einfach multipliziert werden.[9]

Schließlich ergibt die Substitution

kAB=1+vAB/c1vAB/c,kBE=1+vBE/c1vBE/c,vAE=ckAE21kAE2+1

das Relativistische Additionstheorem für Geschwindigkeiten[9]

vAE=vAB+vBE1+vABvBE/c2.

Der absolute Abstand

Raumzeitdiagramm für die Herleitung des absoluten Abstands und der Lorentz - Transformation Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende Vorlage:Linienlegende

Mit der oben beschriebenen Radarmethode weist Anja einem Ereignis die Koordinaten (tA, xA) zu, indem sie zum Zeitpunkt

tAxA/c

einen Radarimpuls aussendet und das Echo zum Zeitpunkt

tA+xA/c

empfängt, jeweils natürlich nach ihrer Uhr.

Ganz analog weist Björn demselben Ereignis die Koordinaten (tB, xB) zu, indem er zum Zeitpunkt

tBxB/c

einen Radarimpuls aussendet und das Echo zum Zeitpunkt

tB+xB/c

empfängt, jeweils nach seiner Uhr. Statt ein eigenes Signal zu senden, kann er auch Anjas Signal benutzen.

Die Anwendung des k-Kalküls auf das Signal von Anja zu Björn ergibt

k=tBxB/ctAxA/c,

seine Anwendung auf das in umgekehrte Richtung propagierende Signal ergibt

k=tA+xA/ctB+xB/c.

Gleichsetzung und Umformung liefert[10]

c2tA2xA2=c2tB2xB2.

Dies zeigt, dass die Größe

c2t2x2

eine Invariante ist: Sie hat in allen Inertialsystemen denselben Wert.

Die Lorentz-Transformation

Die beiden Gleichungen für k im vorigen Abschnitt lassen sich auch addieren und subtrahieren, um Ausdrücke für die Umrechnung von (tA, xA) zu (tB, xB) zu finden:[10][11]

ctB=12(k+k1)ctA12(kk1)xA
xB=12(k+k1)xA12(kk1)ctA

Dies ist die Lorentz-Transformation, ausgedrückt durch den Bondi'schen k-Faktor an Stelle der Geschwindigkeit. Durch die Substitution

k=1+v/c1v/c

lässt sich die "traditionellere" Form

tB=tAvxA/c21v2/c2;xB=xAvtA1v2/c2.

erhalten.[10][11]

Rapidität

Bei der Kombination von (kollinearen) Geschwindigkeiten werden k-Faktoren multipliziert. Mit der Rapidität[12]

ς=ln(k),k=eς

gibt es eine additive Größe, denn

kAE=kABkBE
ςAE=ςAB+ςBE.

Die k-Faktor-Version der Lorentz-Transformation wird so zu

ctB=ctAcoshςxAsinhς
xB=xAcoshςctAsinhς,

was mathematisch einer Drehung um einen Winkel entspricht.

Die Geschwindigkeit erweist sich bis auf einen Faktor c als Tangens hyperbolicus der Rapidität:

v=ckk1k+k1=ctanhς

Einzelnachweise

  1. z. B. Woodhouse, NMJ (2003), Special Relativity, Springer, ISBN 1-85233-426-6, pp.58–65
  2. z. B. Vorlage:Literatur
  3. Vorlage:Literatur
  4. Vorlage:Literatur
  5. Bondi (1964), pp.80–90
  6. 6,0 6,1 Bondi (1964), p.103
  7. Woodhouse (2003), p.64
  8. Woodhouse (2003), p.65
  9. 9,0 9,1 Bondi (1964) p.105
  10. 10,0 10,1 10,2 Bondi (1964), p.118
  11. 11,0 11,1 Woodhouse (2003), p.67
  12. Woodhouse (2003), p.71