Potenzgerade

Aus testwiki
Version vom 24. September 2024, 13:31 Uhr von imported>RaschenTechner (growthexperiments-addlink-summary-summary:3|0|0)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Ein Punkt P liegt auf der Potenzgerade, wenn seine Tangentialdistanzen (lila) zu beiden Kreisen gleich sind: |PT1|=|PT2|.
Liegen P,T1,T2 kollinear, so ist P der Mittelpunkt von T1,T2.

Unter der Potenzgeraden (Potenzlinie, Chordale) zweier Kreise versteht man den geometrischen Ort (die Menge) aller Punkte, deren Potenz in Bezug auf die beiden Kreise übereinstimmt. Sind die Kreise k1,k2 durch ihre Mittelpunkte M1 und M2 sowie ihre Radien r1 und r2 gegeben, so sind die Potenzen eines Punktes P bezgl. der beiden Kreise

Π1(P)=|PM1|2r12,Π2(P)=|PM2|2r22

Ein Punkt P gehört zur Potenzgerade g12, wenn

Π1(P)=Π2(P)  gilt.

Die Potenzgerade ist nur definiert, wenn die gegebenen Kreise nicht konzentrisch sind, also keinen übereinstimmenden Mittelpunkt haben. Sind beide Radien gleich oder sogar 0, so ist die Potenzgerade die Mittelsenkrechte der Punkte M1,M2.

Potenzgeraden spielen bei Kreisbüscheln eine wichtige Rolle: Ein Kreisbüschel ist eine Schar von Kreisen mit einer gemeinsamen Potenzgerade.[1]

Bezeichnungen:
J. Steiner nannte die Potenzgerade Linie der gleichen Potenzen.[2]
J.V. Poncelet verwandte chorde ideale.[3]
J. Plücker führte die Bezeichnung Chordale ein.[4]
M. Chasles bezeichnet sie als axe radical, was auch im Englischen (radical axis) üblich ist.[5]
O. Hesse nennt die Potenzgerade gemeinschaftliche Sekante, auch in dem Fall, dass die beiden Kreise keine (reellen) Punkte gemeinsam haben.[6]

Eigenschaften

Geometrische Form und Lage

Im Folgenden sind x,m1,m2 die Ortsvektoren der Punkte P,M1,M2. Die definierende Gleichung der Potenzgerade lässt sich damit schreiben:

(xm1)2r12=(xm2)2r222x(m2m1)+m12m22+r22r12=0
Zur Berechnung von d1,d2

Aus der rechten Gleichung erkennt man

  • Die als Potenzgerade definierte Punktmenge ist tatsächlich eine Gerade und steht senkrecht auf der Verbindungsgerade der Mittelpunkte. (m2m1 ist eine Normale der Potenzgerade!)

Dividiert man die Gleichung durch 2|m2m1|, erhält man die Hessesche Normalenform. Einsetzen der Mittelpunkte liefert die Abstände der Potenzgerade zu den Mittelpunkten:

d1=d2+r12r222d ,d2=d2+r22r122d.
Dabei ist d=|M1M2|.

(Bei Verwendung der äquivalenten linken Gleichung in der Form =0 wird die Berechnung von d1,d2 besonders einfach.)

Schneiden sich die beiden Kreise, so geht die Potenzgerade durch die gemeinsamen Punkte. Falls sie sich nur berühren ist die gemeinsame Tangente die Potenzgerade.

Spezielle Lagen

  • Für zwei sich schneidende Kreise (Fall 3) geht die Potenzgerade durch die beiden Schnittpunkte. Falls sich die beiden Kreise berühren (Fall 2 und Fall 4), stimmt die Potenzgerade mit der gemeinsamen Tangente überein.

Orthogonalkreise

Die Berührpunkte der Tangenten durch P liegen auf dem Orthogonalkreis (grün)
  • Für die Punkte der Potenzgeraden, die außerhalb der gegebenen Kreise liegen, sind die Tangentenabschnitte an beide Kreise gleich lang (siehe den Artikel über Potenz). Sind S1,T1,S2,T2 die Berührpunkte der Tangenten durch P an die beiden Kreise, so liegen S1,T1,S2,T2 auf einem die Kreise k1,k2 senkrecht schneidenden Kreis ko.
  • Die Potenzgerade zweier Kreise ist die Menge der Mittelpunkte aller Kreise, welche die gegebenen Kreise rechtwinklig schneiden.

System orthogonaler Kreise

Die im vorigen Abschnitt enthaltene Möglichkeit zu zwei Kreisen ein System von Kreisen zu konstruieren, die die gegebenen Kreise orthogonal schneiden, lässt sich zu einer Konstruktion von zwei Systemen von Kreisen, die sich orthogonal schneiden[7][8], ausbauen:

Es seien k1,k2 zwei getrennt liegende Kreise (wie im vorigen Abschnitt), M1,M2,r1,r2 deren Mittelpunkte und Radien und g12 deren Potenzgerade. Es werden nun diejenigen Kreise gesucht, deren Mittelpunkte auf der Gerade M1M2 liegen und deren Potenzgerade zusammen mit k1 auch g12 ist. Es sei κ2 ein solcher Kreis, dessen Mittelpunkt von M1 den Abstand δ und den Radius ρ2 hat. Nach dem Resultat des vorigen Abschnitts ist dann

d1=δ2+r12ρ222δ, wobei d1>r1 fest sind.

Mit δ2=δd1 lässt sich diese Gleichung umformen zu:

δ22=d12r12+ρ22.
System orthogonaler Kreise: Konstruktion

Gibt man den Radius ρ2 vor, ergibt sich aus dieser Gleichung der Abstand δ2 des neuen Mittelpunktes von der (festen) Potenzgerade. In der Abbildung sind die neuen Kreise lila. Die grünen Kreise (siehe Abbildung) mit Mittelpunkte auf der Potenzgerade schneiden k1,k2 senkrecht und damit auch alle neuen Kreise (lila). Wenn man die (rote) Potenzgerade als y-Achse und M1M2 als x-Achse wählt, haben die beiden Kreisscharen die folgenden Gleichungen:

lila:    (xδ2)2+y2=δ22+r12d12
grün:  x2+(yyg)2=yg2+d12r12 .

((0,yg) ist der Mittelpunkt eines grünen Kreises.)

Eigenschaften:
a) Die grünen Kreise schneiden sich alle auf der x-Achse in den beiden Punkten P1/2=(±d12r12,0), den Polen des orthogonalen Kreissystems, d. h. die x-Achse ist die Potenzgerade der grünen Kreise.
b) Die lila Kreise haben keine (reellen) Punkte gemeinsam. Fasst man aber die reelle Ebene als Teil der komplexen Ebene auf, so schneiden sich die lila Kreise auf der y-Achse (gemeinsame Potenzgerade) in den beiden Punkten Q1/2=(0,±id12r12).

Orthogonale Kreisbüschel: parabolisch

Sonderfälle:
a) Im Fall d1=r1 berühren sich sowohl die grünen als auch die lila Kreise im Nullpunkt. Sie bilden zwei sich orthogonal schneidende parabolische Kreisbüschel (siehe unten).
b) Lässt man k1 auf den Punkt M1 schrumpfen, d. h. r1=0, so vereinfachen sich die Gleichungen und es ist M1=P1.

Kreisbüschel: Typen

Zusammenfassung:
a) Für jede reelle Zahl c gilt für die Kreisschar

k(ξ):(xξ)2+y2ξ2c=0 :
Je zwei Kreise k(ξ1),k(ξ2) haben die y-Achse als Potenzgerade.
Für c>0 schneiden sich k(ξ1),k(ξ2) in den Punkten P1/2=(0,±c).
Für c<0 haben k(ξ1),k(ξ2) keinen Punkt gemeinsam.
Für c=0 berühren sich k(ξ1),k(ξ2) in dem Punkt (0,0).

b) Für jede reelle Zahl c bilden die beiden Kreisscharen

k1(ξ):(xξ)2+y2ξ2c=0 ,
k2(η):x2+(yη)2η2+c=0 
ein System orthogonaler Kreise. D.h.: k1(ξ),k2(η) schneiden sich für alle ξ,η orthogonal.
Für c>0 sind P1/2=(0,±c) die Pole.
Für c<0 sind P1/2=(±c,0) die Pole.
Für c=0 ist P1=P2 und das System ist parabolisch.

c) Die Gleichungen in b) lassen sich zur koordinatenfreien Formulierung verwenden:

Orthogonale Kreisbüschel: Vorgabe der Pole
Sind die beiden Punkte P1,P2 gegeben, O ihr Mittelpunkt und g12 ihre Mittelsenkrechte, so beschreiben die beiden Gleichungen
|XM|2=|OM|2|OP1|2 ,
|XN|2=|ON|2+|OP1|2=|NP1|2
mit M auf P1P2, aber nicht zwischen P1,P2, und N auf g12
das durch P1,P2 eindeutig bestimmte orthogonale System von Kreisen. P1,P2 sind die Pole des Systems.
Für P1=P2=O muss man zusätzlich die beiden Potenzgeraden, die Achsen des Systems, a1,a2 vorgeben. Es ergibt sich das parabolische System:
|XM|2=|OM|2 ,|XN|2=|ON|2
mit M auf a1 und N auf a2.

Konstruktion mit Zirkel und Lineal:

Orthogonales Kreissystem: Konstruktion mit Zirkel und Lineal

Ein orthogonales Kreissystem ist durch die Vorgabe seiner Pole P1,P2 eindeutig bestimmt:

  1. Die Achsen (Potenzgeraden) sind die Gerade P1P2 und die Mittelsenkrechte g12 der Pole.
  2. Die Kreise (im Bild grün) durch P1,P2 haben ihre Mittelpunkte auf g12. Zu einem Punkt N ist der Radius rN=|NP1|.
  3. Um einen Kreis der zweiten Schar (im Bild blau) mit Mittelpunkt M auf P1P2 zu zeichnen, bestimmt man mit dem Satz des Pythagoras den Radius aus rM2=|OM|2|OP1|2 wie in dem Bild gezeigt.

Falls P1=P2 ist, müssen die Achsen vorgegeben werden. Das System ist dann parabolisch und leicht zu zeichnen.

Kreisbüschel

Definition und Eigenschaften:

Sind k1,k2 zwei Kreise und Π1,Π2 ihre Potenzfunktionen, so ist für jedes λ1

  • Π1(x,y)λΠ2(x,y)=0

die Gleichung eines Kreises k(λ) (siehe unten). Diese Schar von Kreisen nennt man das von k1,k2 erzeugte Kreisbüschel.

Die Potenzfunktion von k(λ) ist

 Π(λ,x,y)=Π1(x,y)λΠ2(x,y)1λ.

Man rechnet leicht nach, dass gilt:

  • k(λ),k(μ), λμ , haben dieselbe Potenzgerade wie k1,k2.

(H): Schneiden sich k1,k2 in zwei Punkten P1,P2, so gehen auch alle Kreise k(λ) durch P1,P2 und die Gerade P1P2 ist ihre gemeinsame Potenzgerade. Ein solches Kreisbüschel heißt elliptisch.
(P): Berühren sich k1,k2 in P, so berühren sich alle k(λ) und die gemeinsame Tangente ist die Potenzgerade. Das Kreisbüschel heißt parabolisch.
(E): Haben k1,k2 keinen Punkt gemeinsam, so auch alle Kreise k(λ) und das Büschel heißt hyperbolisch.

Konkret:

Führt man so Koordinaten ein, dass

k1:(xd1)2+y2=r12
k2:(xd2)2+y2=d22+r12d12,

so ist die y-Achse ihre Potenzgerade (siehe oben).

Falls r1>d1 ist, haben k1,k2,k(λ) die beiden Punkte

P1=(0,r12d12),P2=(0,r12d12)

gemeinsam und das Kreisbüschel ist elliptisch.

Falls r1=d1 ist, haben k1,k2,k(λ) den Punkt

P0=(0,0)

gemeinsam und das Büschel ist parabolisch.

Falls r1<d1 ist, haben k1,k2,k(λ) keinen Punkt gemeinsam und das Büschel ist hyperbolisch.

Die Berechnung der Potenzfunktion Π(λ,x,y) liefert die Gleichung des Kreises:

k(λ): x2+y22d1λd21λx+d12r12=0 .

Quadratische Ergänzung und die Substitution δ2=d1λd21λ (x-Koordinate des Mittelpunktes) führt auf die Mittelpunktsform

k(λ): (xδ2)2+y2=δ22+r12d12.

Alternative Formen:
1) In der definierenden Gleichung des Kreisbüschels müssen nicht die Potenzfunktionen selbst stehen. Es können auch jeweils Vielfache davon verwendet werden.
2) Die Gleichung eines der beiden Kreise kann man auch durch die Gleichung der gewünschten Potenzgerade ersetzen. Die Potenzgerade kann man also als einen Kreis mit unendlich großem Radius ansehen. Z.B.:

((xx1)2+y2r12)λ2(xx2)=0 
(x(x1+λ))2+y2=(x1+λ)2+r12x122λx2,

beschreibt alle Kreise, die mit dem ersten Kreis die Gerade x=x2 als Potenzgerade besitzen.
3) Um beide Kreise in der Definitionsgleichung formal gleich zu behandeln, verwendet man auch gelegentlich die symmetrisierte Form

μΠ1+νΠ2=0 ,

wobei μ,ν nicht gleichzeitig Null sein dürfen. Der Nachteil dieser Form: Sie ist bezgl. μ,ν nicht eindeutig.

Anwendung:
a) Kreisspiegelungen und Möbiustransformationen sind kreistreue und winkeltreue Abbildungen der Ebene. Orthogonale Kreisbüschel spielen deshalb bei Untersuchungen dieser Abbildungen eine besondere Rolle.[9][10]
b) In der Elektrodynamik treten Kreisbüschel als Feldlinien auf. Sie werden dort, wie im Englischen (coaxal circles), auch koaxiale Kreise genannt.[11]

Radikal dreier Kreise, Konstruktion der Potenzgerade

Potenzgeraden zu 3 Kreisen
Der grüne Kreis schneidet die drei Kreise senkrecht.
  • Sind drei Kreise gegeben, unter denen keine zwei konzentrisch sind, so existieren drei Potenzgeraden (jeweils eine zu zwei Kreisen). Falls die Mittelpunkte der gegebenen Kreise nicht auf einer Geraden liegen, schneiden sich die Potenzgeraden in einem Punkt (engl. radical center), und zwar im Mittelpunkt des Kreises, der die gegebenen Kreise rechtwinklig schneidet (engl. radical circle). Zum Nachweis: die Potenzgerade gik enthält alle Punkte, die vom i-ten und k-ten Kreis denselben tangentialen Abstand haben. Der Schnittpunkt R von g12 und g23 muss also zu allen drei Kreisen denselben tangentialen Abstand besitzen und damit auch auf g13 liegen.
Diese Eigenschaft gibt die Möglichkeit die Potenzgerade von zwei sich nicht schneidenden Kreisen k1,k2 zeichnerisch zu bestimmen: Man zeichne einen dritten Kreis k3, der die gegebenen Kreise schneidet. Damit lassen sich die Potenzgeraden g13,g23 zeichnen. Ihr Schnittpunkt R liegt auf g12, die als Lotgerade von R auf die Gerade M1M2 gezeichnet werden kann.

Weitere Konstruktion:

Potenzgerade: Konstruktion mit Äquipotenzkreise c1,c2.
Es ist Π1(P1)=Π2(P2).

Die Punkte, die bezgl. eines Kreises k die gleiche Potenz besitzen, liegen auf einem zu k konzentrischen Kreis. Diese Eigenschaft lässt sich zu einer weiteren Methode zur Konstruktion der Potenzgerade zweier Kreise verwenden:

Sind zwei sich nicht schneidende Kreise k1,k2 gegeben, so lassen sich, wie in der Zeichnung gezeigt, zu jedem Kreis ki ein weiterer Kreis ci zeichnen, mit der Eigenschaft: Die Punkte der Kreise c1,c2 haben bezüglich der Kreise k1,k2 die gleiche Potenz. Formal: Π1(P1)=Π2(P2). Ist die Potenz groß genug gewählt, schneiden sich c1,c2 und liefern zwei Punkte der gesuchten Potenzgerade der Kreise k1,k2.

Falls die Radien der beiden Kreise Null sind, ist die Potenzgerade die Mittelsenkrechte von M1,M2 und die Konstruktion ist die für Mittelsenkrechte übliche.

Literatur

  1. G. Aumann: Kreisgeometrie, S. 45
  2. Jakob Steiner: Einige geometrische Betrachtungen. In: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 1, 1826, S. 165
  3. Ph. Fischer: Lehrbuch der analytische Geometrie, Darmstadt 1851, Verlag Ernst Kern, p. 67
  4. H. Schwarz: Die Elemente der analytischen Geometrie der Ebene, Verlag H. W. Schmidt, Halle, 1858, S. 218
  5. Michel Chasles, C. H. Schnuse: Die Grundlehren der neuern Geometrie, erster Theil, Verlag Leibrock, Braunschweig, 1856, S. 312
  6. O. Hesse: Analytische Geometrie der geraden Linie, des Punktes und des Kreises in der Ebene, Teubner-Verlag, Leipzig, 1881, S. 195.
  7. A. Schoenflies, R. Courant: Einführung in die Analytische Geometrie der Ebene und des Raumes, Springer-Verlag, 1931, S. 113
  8. C. Caratheodory: Funktionentheorie, Birkhäuser-Verlag, Basel, 1961, ISBN 978-3-7643-0064-7, S. 46
  9. Caratheodory: Funktionentheorie, S, 47.
  10. R. Sauer: Ingenieur-Mathematik: Zweiter Band: Differentialgleichungen und Funktionentheorie, Springer-Verlag, 1962, ISBN 978-3-642-53232-0, S. 105
  11. Clemens Schaefer: Elektrodynamik und Optik, Verlag: De Gruyter, 1950, ISBN 978-3-11-230936-0, S. 358.
  • Günter Aumann: Kreisgeometrie, Springer Spektrum, 2015, ISBN 978-3-662-45305-6, S. 39
  • Max Koecher, Aloys Krieg: Ebene Geometrie. Springer, 2013, ISBN 978-3-662-06809-0, S. 138–140
  • Harald Scheid, Wolfgang Schwarz: Elemente der Geometrie. Springer, 2016, ISBN 978-3-662-50323-2, S. 156–158