Charakteristische Gleichung

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Die charakteristische Gleichung ist in der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen ein Hilfsmittel, um Lösungen von linearen Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten zu berechnen.[1] Durch sie wird die Bestimmung eines Fundamentalsystems der Differentialgleichung auf die Lösung einer Polynomgleichung zurückgeführt.

Ein analoges Verfahren kann auch zur Lösung linearer Differenzengleichungen mit konstanten Koeffizienten verwendet werden.

Leonhard Euler berichtete über diese Lösungsmethode für Differentialgleichungen im Fall konstanter Koeffizienten 1739 in einem Brief an Johann I Bernoulli[2], noch ohne mehrfache Lösungen der charakteristischen Gleichung zu berücksichtigen. Eine Lösung für eine Differentialgleichung mit mehrfachen Nullstellen in der charakteristischen Gleichung findet sich jedoch dann später in Eulers Institutiones calculi integralis.[3] Weiter haben Augustin-Louis Cauchy und Gaspard Monge dazu geforscht.

Definition

Gegeben sei eine homogene lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung der Gestalt

any(n)(x)+an1y(n1)(x)++a1y(x)+a0y(x)=0

für eine gesuchte Funktion y: mit konstanten komplexen Koeffizienten ak, k=0,,n, an0. Dann lautet die zugehörige charakteristische Gleichung

anλn+an1λn1++a1λ+a0=0.

Das Polynom

P(λ)=k=0nakλk

auf der linken Seite der Gleichung wird auch charakteristisches Polynom der Differentialgleichung genannt.

Formal erhält man also die charakteristische Gleichung P(λ)=0, indem man die k-te Ableitung von y durch die k-te Potenz der Polynomvariable (hier λ genannt) ersetzt.

Lösungen

Gemäß der Theorie linearer Differentialgleichungen bildet die Lösungsmenge einer homogenen linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung einen n-dimensionalen Vektorraum. Demnach genügt es für die Bestimmung der allgemeinen Lösung n linear unabhängige Lösungen der Differentialgleichung zu finden. Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat das Polynom P(λ) genau n komplexe Nullstellen λ1,,λn, wenn man diese gemäß ihrer Vielfachheit zählt. Im Folgenden wird dargestellt, wie mit Hilfe dieser Nullstellen der charakteristischen Gleichung stets eine Basis des Lösungsraums der Differentialgleichung, also ein Fundamentalsystem, angegeben werden kann. Ist allgemein φ1,,φn eine solche Basis, dann ist

y(x)=c1φ1(x)++cnφn(x)

mit c1,,cn die allgemeine Lösung der gegebenen Differentialgleichung. Liegt ein Anfangswert- oder Randwertproblem vor, so können anschließend die Koeffizienten c1,,cn aus den zusätzlich gegebenen Bedingungen bestimmt werden.

Einfache Lösungen

Der Ansatz y(x)=eλx mit einem unbekannten λ führt wegen y(k)(x)=λkeλx auf die Gleichung k=0nakλkeλx=0 und somit nach Division durch eλx0 auf die charakteristische Gleichung. Es gilt also:

Die Funktion y(x)=eλx ist genau dann eine Lösung der Differentialgleichung, wenn λ eine Lösung der charakteristischen Gleichung ist.

Falls nun alle Nullstellen λ1,,λn voneinander verschieden sind, bekommt man auf diese Weise n verschiedene Lösungen yj(x)=eλjx der Differentialgleichung und es lässt sich zeigen, dass diese auch linear unabhängig sind. Die allgemeine Lösung lautet daher in diesem Fall

y(x)=c1eλ1x++cneλnx

mit frei wählbaren Konstanten c1,,cn.

Mehrfache Lösungen

Ist dagegen λ eine mehrfache Lösung der charakteristischen Gleichung, so erhält man auf diese Weise nur eine Lösung eλx, also auch kein Fundamentalsystem mehr. In diesem Fall können aber auf einfache Weise weitere linear unabhängige Lösungen angegeben werden:

Ist λ eine m-fache Nullstelle des charakteristischen Polynoms, dann sind y1(x)=eλx,y2(x)=xeλx,,ym(x)=xm1eλx linear unabhängige Lösungen der Differentialgleichung.

Komplexe Lösungen bei reeller Gleichung

Im Folgenden seien alle Koeffizienten a0,,an reelle Zahlen. In diesem Fall ist man häufig nur an reellen Lösungen der Differentialgleichung und damit auch an einem reellen Fundamentalsystem interessiert. Ist λ=α+iβ mit α,β, β0 eine komplexe Lösung von P(λ)=0, dann ist die konjugiert komplexe Zahl λ=αiβ ebenfalls eine Lösung. Diese entsprechen linear unabhängigen komplexen Lösungen y+(x)=eλx=eαxeiβx und y(x)=eλx=eαxeiβx der Differentialgleichung. Mit Hilfe der eulerschen Formel erhält man hieraus

y1(x)=y+(x)+y(x)2=Re(y+(x))=eαxcos(βx)

und

y2(x)=y+(x)y(x)2i=Im(y+(x))=eαxsin(βx)

als reelle Lösungen der Differentialgleichung. Diese sind ebenfalls linear unabhängig. Analog kann man im Falle mehrfacher komplexer Lösungen jeweils durch Übergang zum Real- und Imaginärteil zu jedem Paar konjugiert komplexer Lösungen zwei linear unabhängige reelle Lösungen konstruieren. So ergeben sich aus den konjugiert komplexen Lösungen xje(α±iβ)x die beiden reellen Lösungen xjeαxcos(βx) und xjeαxsin(βx).

Beispiele

  • Die charakteristische Gleichung der Differentialgleichung y+y6y=0 lautet λ2+λ6=0 und hat die Lösungen λ1=2 und λ2=3. Damit erhält man das Fundamentalsystem y1(x)=e2x, y2(x)=e3x und die allgemeine Lösung der Differentialgleichung lautet y(x)=c1e2x+c2e3x.
  • Die Schwingungsgleichung x¨(t)+ω02x(t)=0 mit ω0>0 hat die charakteristische Gleichung λ2+ω02=0 mit den konjugiert komplexen Lösungen λ1,2=±iω0. Ein komplexes Fundamentalsystem ist also eiω0t,eiω0t, ein reelles cos(ω0t),sin(ω0t). Die allgemeine Lösung ist also x(t)=c1cos(ω0t)+c2sin(ω0t).
  • Die Differentialgleichung
y(7)16y(6)+108y(5)392y(4)+804y880y+400y=0
hat die charakteristische Gleichung
λ716λ6+108λ5392λ4+804λ3880λ2+400λ=0.
Diese hat die sieben Nullstellen (mit Vielfachheit)
0,2,2,3+i,3+i,3i,3i.
Daraus erhält man das reelle Fundamentalsystem
1,e2x,xe2x,e3xcos(x),e3xsin(x),xe3xcos(x),xe3xsin(x)
und die allgemeine Lösung
y(x)=c1+c2e2x+c3xe2x+c4e3xcos(x)+c5e3xsin(x)+c6xe3xcos(x)+c7xe3xsin(x).

Literatur

  • Herbert Amann: Gewöhnliche Differentialgleichungen, 2. Auflage, Gruyter – de Gruyter Lehrbücher, Berlin New York 1995, ISBN 3-11-014582-0, Abschnitt 14, S. 205–217.

Einzelnachweise

  1. Ilja Bronstein u. a.: Taschenbuch der Mathematik. 7. Auflage. Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch, Frankfurt, 2008, ISBN 978-3-8171-2007-9, S. 559 (Vorlage:Google Buch).
  2. E863 -- Der Briefwechsel zwischen Leonhard Euler und Johann I Bernoulli, 1727–1740. Veröffentlicht z. B. im dritten Teil der Serie von G. Eneström, Bibl. math. 63, 1905, S. 37.
  3. Institutiones calculi integralis, 1768–1770, Zweiter Teil, Kapitel 4, Problem 102.