Reduktionsverfahren von d’Alembert

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Das Reduktionsverfahren von d’Alembert ist ein Verfahren aus der Theorie gewöhnlicher Differentialgleichungen, das nach dem Mathematiker und Physiker Jean-Baptiste le Rond d’Alembert benannt ist. Es wird verwendet, um eine lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung mit nicht-konstanten Koeffizienten unter Kenntnis einer Lösung des homogenen Problems auf eine lineare Differentialgleichung (n1)-ter Ordnung zurückzuführen.

Grob beschrieben, gilt Folgendes: Um eine (inhomogene) lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung L(y)=f zu lösen, beschaffe man sich eine nichttriviale Lösung der zugehörigen homogenen linearen Differentialgleichung L(u)=0. Dann führt der Ansatz y(x):=c(x)u(x), also die Variation der Konstanten, für die ursprüngliche Gleichung L(y)=f auf eine inhomogene lineare Differentialgleichung L~(c)=f der niedrigeren Ordnung n1 für c(x).

Formulierung des Satzes

Man betrachte den Differentialoperator n-ter Ordnung

L(v)(x):=k=0nak(x)v(k)(x) .

Hierzu sei eine Lösung u(x) der homogenen linearen Differentialgleichung

L(u)=0

bekannt. Für

y(x):=c(x)u(x)

gilt dann

L(y)(x)=j=0n1[k=j+1n(kj+1)ak(x)u(kj1)(x)]c(j+1)(x).

Mit anderen Worten: y(x) löst die inhomogene Differentialgleichung n-ter Ordnung (y)=f(x) genau dann, wenn

z(x):=c(x)

die inhomogene lineare Differentialgleichung (n1)-ter Ordnung

j=0n1[k=j+1n(kj+1)ak(x)u(kj1)(x)]z(j)(x)=f(x)

löst.

Beweis

Nach der leibnizschen Regel gilt

(cu)(k)(x)=j=0k(kj)c(j)(x)u(kj)(x) ,

also

k=0nak(x)(cu)(k)(x)=k=0nj=0k(kj)ak(x)c(j)(x)u(kj)(x)=j=0nk=jn(kj)ak(x)u(kj)(x)c(j)(x) .

Hierbei gibt die Doppelsumme j=0nk=jn(kj)ak(x)u(kj)(x)c(j)(x) an, dass nunmehr über die Ableitungen von c(j)(x) summiert wird.

Nun ist nach Voraussetzung k=0n(k0)ak(x)u(k)(x)=L(u)=0 und somit entfällt das 0te-Glied in der Summe über j, so dass folgt

L(y)=k=0nak(x)(cu)(k)(x)=j=1n[k=jn(kj)ak(x)u(kj)(x)]c(j)(x) .

Indexverschiebung liefert das Resultat

L(y)=j=0n1[k=j+1n(kj+1)ak(x)u(kj1)(x)]c(j+1)(x),

oder unter Verwendung von z(x)=c(x)

L(y)=j=0n1[k=j+1n(kj+1)ak(x)u(kj1)(x)]z(j)(x).

Beispiel

Gegeben sei die homogene lineare Differentialgleichung 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten

u(x)+4u(x)+4u(x)=0.

Aus der Charakteristischen Gleichung λ2+4λ+4=0 mit der zweifachen Nullstelle λ1,2=2 ergibt sich eine Lösung u(x)=e2x der Differentialgleichung. Mithilfe des Reduktionsverfahrens wird die zweite linear unabhängige Lösung unter Verwendung der bereits bekannten Lösung gefunden. Mit dem Ansatz der Variation der Konstanten folgt

y(x)=c(x)u(x)

und die gegebene Differentialgleichung erhält folgende Darstellung

(c(x)u(x)+2c(x)u(x)+c(x)u(x))+4(c(x)u(x)+c(x)u(x))+4c(x)u(x)=0.

Durch Umsortieren der Differentialgleichung nach den Ableitungen von c(x) ergibt sich

u(x)c(x)+(2u(x)+4u(x))c(x)+(u(x)+4u(x)+4u(x))c(x)=0.

Im dritten Term kommt die Differentialgleichung u(x)+4u(x)+4u(x)=0 zum Ausdruck und entfällt daher. Die Differentialgleichung lautet nun

u(x)c(x)+(2u(x)+4u(x))c(x)=0

und ergibt mit der bereits bekannten Lösung u(x)=e2x für den zweiten Term 2u(x)+4u(x)=4e2x+4e2x=0, so dass die Differentialgleichung reduziert wird auf

u(x)c(x)=0.

Da u(x) die Exponentialfunktion repräsentiert, daher überall größer null ist, folgt als Bedingung für die zweite Lösung der Differentialgleichung

c(x)=0.

Durch zweimalige Integration erhalten wir mit den Integrationskonstanten c1,c2

c(x)=c1x+c2.

Als Ansatz für die zweite Lösung der Differentialgleichung ergibt sich somit

y(x)=(c1x+c2)u(x)=c1xu(x)+c2u(x).

Da der zweite Term c2u(x) lediglich ein skalares Vielfaches der ersten Lösung ist, und somit linear abhängig ist, lautet die zweite Lösung der Differentialgleichung, unter Auslassung der Integrationskonstante

y(x)=xu(x)=xe2x.

Abschließend kann mit der Wronski-Determinante die lineare Unabhängigkeit der beiden Lösungen nachgewiesen werden

W(u,y)(x)=|uxuuu+xu|=u(u+xu)xuu=u2=e4x0.

Spezialfall: Lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung

Sei u(x) Lösung der homogenen linearen Differentialgleichung zweiter Ordnung

u(x)+p(x)u(x)+q(x)u(x)=0 .

Dann ist

y(x):=c(x)u(x)

Lösung der (inhomogenen) Differentialgleichung

y(x)+p(x)y(x)+q(x)y(x)=f(x)

genau dann, wenn

z(x):=c(x)

der Gleichung

u(x)z(x)+(p(x)u(x)+2u(x))z(x)=f(x)

genügt. Diese Gleichung lässt sich mit Hilfe der Variation der Konstanten vollständig lösen.

Beweis

Sei die inhomogene lineare Differentialgleichung

y(x)+p(x)y(x)+q(x)y(x)=f(x)

gegeben, deren Lösung u(x) für die homogene Differentialgleichung bekannt ist. Dann ergibt sich die Lösung der (inhomogenen) Differentialgleichung unter Verwendung des Ansatzes der Variation der Konstanten durch

y(x)=c(x)u(x),

wobei c(x) eine beliebige Funktion ist. Somit ist

y(x)=c(x)u(x)+c(x)u(x)

und

y(x)=c(x)u(x)+2c(x)u(x)+c(x)u(x).

Daraus folgt

(c(x)u(x)+2c(x)u(x)+c(x)u(x))+p(x)(c(x)u(x)+c(x)u(x))+q(x)c(x)u(x)=f(x)

und durch umsortieren nach den Ableitungen von c(x)

u(x)c(x)+(p(x)u(x)+2u(x))c(x)+(u(x)+p(x)u(x)+q(x)u(x))c(x)=f(x).

Da u(x) eine Lösung der homogenen Differentialgleichung ist, also u(x)+p(x)u(x)+q(x)u(x)=0, lässt sich die inhomogene Differentialgleichung um diesen Term reduzieren und es gilt

u(x)c(x)+(p(x)u(x)+2u(x))c(x)=f(x).

Damit ist eine Reduktion der Ordnung der inhomogenen Differentialgleichung erreicht. Dies wird ersichtlich wenn z(x)=c(x) eingeführt wird, so dass gilt

u(x)z(x)+(p(x)u(x)+2u(x))z(x)=f(x).

Division durch u(x)0 liefert

z(x)+(p(x)+2u(x)u(x))z(x)=f(x)u(x).

Die weitere Berechnung erfordert den integrierenden Faktor

μ(x)=eax(2u(t)u(t)+p(t))dt=eax(logu2(t)+p(t))dt=eax(dlogu2(t)dt+p(t))dt=eaxdlogu2(t)eaxp(t))dt=u2(x)eaxp(t)dt,

wobei dlogu2(t) ein totales Differential darstellt und die untere Integrationsgrenze a geeignet zu wählen ist. Nach der Multiplikation mit dem integrierenden Faktor, nimmt die inhomogene Differentialgleichung folgende Gestalt an

ddx(z(x)u2(x)eaxp(t)dt)=u(x)f(x)eaxp(t)dt.

Nach Integration dieser Gleichung folgt z(x) und damit eine Lösung für c(x). Eine weitere Integration von c(x) ergibt, unter Auslassung der Integrationskonstanten, die gesuchte Lösung der (inhomogenen) Differentialgleichung

y(x)=c(x)u(x).

Beispiel

Betrachtet wird die homogene Differentialgleichung mit nicht-konstanten Koeffizienten

v(x)2xv(x)2v(x)=0.

Eine Lösung dieser homogenen Differentialgleichung ist u(x)=ex2. Der Ansatz der Variation der Konstanten y(x)=c(x)ex2 liefert nun

((2+4x2)ex2c(x)+2xex2c(x)+ex2c(x))2x(2xex2c(x)+ex2c(x))2ex2c(x)=0

und nach umsortieren nach Ableitungen von c(x)

ex2(c(x)+2xc(x))=0.

Da ex20 und z(x)=c(x) ist, kann die homogene Differentialgleichung umgeformt werden zu

z(x)z(x)+2x=0

und damit

dlogz(x)dx=2x

oder

z(x)=ex2.

Daher ist die zweite Lösung der homogenen Differentialgleichung gegeben durch c(x)=0xz(t)dt, also

c(x)=0xet2dt=π2erf(x).

Hierbei bedeutet erf(x) die Gaußsche Fehlerfunktion.

Literatur