Retardierte Differentialgleichung

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Retardierte Differentialgleichungen sind ein spezieller Typ Differentialgleichung, oft auch als DDE (Delayed Differential Equation) abgekürzt oder als Differentialgleichung mit nacheilendem Argument bezeichnet. Bei ihnen hängt die Ableitung einer unbekannten Funktion zum Zeitpunkt t nicht nur vom Funktionswert an diesem Zeitpunkt ab, sondern auch von Funktionswerten an früheren Zeitpunkten tτi oder von Integralen über die Funktion über vergangene Zeitintervalle. DDEs spielen in Modellen eine Rolle, in denen die Wirkung erst verspätet (retardiert) auf die Ursache folgt. Bekannte Beispiele sind in der Epidemiologie (Infektion, Inkubationszeit), Populationsentwicklung in der Biologie (Fortpflanzung, Geschlechtsreife) und Regelungstechnik (Verzögerungszeit) zu finden.

Notation

Eine DDE mit einer unbekannten Funktion x(t) und einer punktweisen Verzögerung kann als

x˙=f(t,x(t),xτ1,,xτn) notiert werden, mit
x˙=ddtx(t) und xτn=x(tτn).

Eine DDE mit kontinuierlicher Verzögerung kann als

x˙=f(t,x(t),0x(t+τ)dμ(τ))

geschrieben werden.

Beispiele

  • Populationsentwicklung
Sei x die Populationsdichte geschlechtsreifer Individuen, τ die Dauer bis zur Geschlechtsreife, α die Pro-Kopf-Fortpflanzungsrate, μ die Sterberate und p die Wahrscheinlichkeit, dass die Geschlechtsreife erreicht wird. Dann entwickelt sich die Populationsdichte gemäß
x˙=μx(t)+αpx(tτ) [1]

Besonderheiten

Populationsentwicklung einer Art

Im Vergleich zu den Anfangswerten bei nicht-verzögerten Differentialgleichungen muss bei DDEs die Funktion

x(t)

über ein Zeitintervall gegeben sein, das mindestens so lang wie die maximale Verzögerung ist. Da man nun keine

n

Startwerte wie bei nicht-verzögerten Anfangswertproblemen, sondern Startfunktionen mit prinzipiell unendlich vielen Parametern hat, spricht man auch von unendlich-dimensionalen Systemen. Eine weitere Besonderheit ist, dass Diskontinuitäten in den Anfangsbedingungen schrittweise auf höhere Ableitungen verlagert werden. Wird z. B. obige DDE mit den Parametern

μ=0,1,αp=0,5,τ=3

mit

x(t)=0

bei

3t<0

und

x(0)=10

initialisiert, ergibt sich die abgebildete Populationsentwicklung. Zum Zeitpunkt

t=3

wird der bei

t=0

vorhandene Sprung von

x=0

auf

x=10

auf die erste Ableitung

x˙

übertragen, bei

t=6

wird die Diskontinuität von der ersten Ableitung auf die zweite übertragen und so weiter, siehe auch das Beispiel schrittweises Integrieren. Anfängliche Unstetigkeiten klingen bei DDEs mit der Zeit ab.

Lösungsmethoden

Die meisten DDE haben keine analytische Lösung, so dass man auf numerische Verfahren angewiesen ist.[2]

Schrittweises Integrieren

Ist eine Trennung der Variablen möglich, kann durch schrittweises Integrieren eine geschlossene Lösung gewonnen werden. Zur Veranschaulichung betrachte man eine DDE mit einer Verzögerungszeit τ:

ddtx(t)=f(x(t),x(tτ))

und der Anfangsbedingung ϕ(t):[τ,0]n.

Die Lösung x1(t) auf dem Intervall [0,τ] ist dann durch die Lösung des inhomogenen Anfangswertproblems

ddtx1(t)=f(x1(t),ϕ(tτ))

gegeben mit x1(0)=ϕ(0). Nun kann die Lösung x1(t) als Anfangsbedingung ψ(t):=x1(t) für die Lösung x2(t) auf dem Intervall [τ,2τ] verwendet werden. Durch N-fache Wiederholung dieser Schritte kann eine geschlossene Lösung auf dem Intervall [0,Nτ] gefunden werden.

Beispiel

Die DDE ddtx(t)=x(t1) mit der Anfangsbedingung x(t)=ϕ(t)=1 für t0 führt zur inhomogenen Differentialgleichung

ddtx1(t)=1 für t[0,1].

Durch Trennung der Variablen gewinnt man

x1(0)x1(t)dx=0t1dt
x1(t)1=t
x1(t)=t+1,

womit die Lösung für das Intervall 0t1 bekannt ist. Für das Intervall 1t2 findet man

x2(1)x2(t)dx=1ttdt
x2(t)2=t2212
x2(t)=t22+32,

und so weiter. Die Gesamtlösung ist dann als zusammengesetzte Funktion dieser Teillösungen gegeben:

x(t)={x1(t),0t1x2(t),1t2,xN(t),N1tN.

Als nicht-verzögertes DGL-System umschreiben

Manchmal kann man kontinuierliche DDE als ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen schreiben.

Beispiel

ddtx(t)=f(t,x(t),0x(t+τ)eλτdτ).

Durch die Substitution y(t)=0x(t+τ)eλτdτ erhält man durch partielle Integration

ddtx(t)=f(t,x(t),y(t)),ddty(t)=x(t)λy(t).

Quellen

  1. O. Arino, M.L. Hbid, E. Ait Dads (Hrsg.): Delay Differential Equations and Applications. In: NATO Science Series II: Mathematics, Physics and Chemistry. Springer-Verlag, Niederlande 2006.
  2. M. R. Roussel: Delay-differential equations. (PDF; 110 kB) 2005.

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