Geburts- und Todesprozess

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Als Geburts- und Todesprozess bzw. als Geburts- und Sterbeprozess bezeichnet man in der Stochastik spezielle stochastische Prozesse, die zur Modellierung von Populationen oder in der Warteschlangentheorie benutzt werden können.

Definition

Ein Geburts- und Todesprozess ist ein homogener Markow-Prozess in stetiger Zeit mit Zustandsraum 0={0,1,2,}, bei dem aus einem Zustand i nur Übergänge in den nächstgrößeren Zustand i+1 („Geburt“) oder, falls i>0, in den nächstkleineren Zustand i1 („Tod“) möglich sind. Die Übergangsraten sind dabei gegeben durch nichtnegative Zahlen λi und μi, die als Geburts- bzw. Sterberaten bezeichnet werden. Sind alle μi gleich null, so spricht man von einem reinen Geburtsprozess, sind alle λigleich null, so spricht man von einem reinen Sterbe- bzw. Todesprozess.

Zustandsdiagramm eines Geburtsprozesses

Aufgrund dieser starken Restriktionen an die Übergangswahrscheinlichkeiten stellen Geburts- und Todesprozesse wichtige Spezialfälle allgemeiner Markow-Ketten dar, bei denen vergleichsweise leicht Eigenschaften, wie Übergangswahrscheinlichkeiten oder das Langzeitverhalten, untersucht werden können.

Ein Geburts- und Todesprozess lässt sich als stochastisches Modell verstehen, in dem sich ein System zum Startzeitpunkt in einem bestimmten Zustand befindet (z. B. die Anzahl der Kaninchen einer Population). Nach einem gewissen zufälligen Zeitintervall geht das System dann in einen neuen Zustand über, wobei dafür je nach Zustand unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten existieren. Geburts- und Todesprozesse zeichnen sich speziell dadurch aus, dass vom Zustand i ausschließlich in die Zustände i+1 (entspricht der Geburt eines Kaninchens) und i1 (entspricht dem Tod eines Kaninchens) übergegangen werden kann.

Eigenschaften

Die Eigenschaft eines Geburts- und Todesprozesses (Xt)t0, ein Markow-Prozess zu sein, bedeutet, dass die zeitliche Entwicklung der Zustände nur vom aktuellen Zustand Xt abhängt, aber nicht von davorliegenden Zuständen Xs mit s<t, der Prozess ist sozusagen gedächtnislos. Hieraus folgt, dass die zufällige Verweildauer in jedem Zustand exponentialverteilt ist. Der Erwartungswert dieser Verweilzeit im Zustand i ist gegeben durch 1λi+μi. Wenn der Prozess nach dieser Zeit springt, geht er mit der Wahrscheinlichkeit λiλi+μi in den Zustand i+1 und mit Wahrscheinlichkeit μiλi+μi in den Zustand i1 über.

Anwendungen

Geburts- und Todesprozesse werden in der Telekommunikation zur Modellierung des Verkehrsaufkommens verwendet. Beispielsweise hat ein Telekommunikationsanbieter 200 Leitungen. Jede Leitung kann von einem Anrufer belegt werden, indem er jemanden anruft. Nehmen wir an, dass das Anruferverhalten und die Anruflänge einem Poisson-Prozess folgt. Das heißt, die Zeit zwischen zwei Anrufen ist exponentiell verteilt, ebenso die Telefondauer. Zudem gilt: Falls alle 200 Leitungen belegt sind, kann kein weiterer Anrufer telefonieren – er wird blockiert. Der Telekommunikationsanbieter kann sich nun mit einem Geburts- und Sterbeprozess ein Modell aufstellen. Mit diesem Modell kann er dann zum Beispiel berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Anrufer nicht telefonieren kann. Dieser wird dann blockiert und ist unzufrieden.

Datei:BD-example.gif
Geburts- und Sterbeprozess des Beispiels
  • Die Zustände stehen in diesem Beispiel für die Anzahl der belegten Leitungen. Der Zustand 5 bedeutet zum Beispiel, dass gerade fünf Leute telefonieren.
  • λi gibt an, mit welcher Rate man von einem Zustand in den nächsten wechselt – hier also, wenn ein weiterer Anrufer zu telefonieren beginnt.
  • μi ist die Rate, mit der ein Anrufer das Gespräch beendet.

Der Zustand 200 bedeutet, dass alle Leitungen belegt sind. Falls noch ein Anrufer versucht zu telefonieren, wird er abgewiesen. Zustand 200 repräsentiert die Wahrscheinlichkeit, dass man blockiert wird. Wenn diese Wahrscheinlichkeit hoch ist, muss der Anbieter eventuell mehr Leitungen kaufen.

Bedingungen für Wiederkehr und Vergänglichkeit

Die Bedingungen für Wiederkehr und Vergänglichkeit wurden von Samuel Karlin and James McGregor.[1] festgelegt.

Ein Geburts- und Todesprozess ist wiederkehrend dann und nur dann
i=1n=1iμnλn=.
Ein Geburts- und Todesprozess ist ergodisch dann und nur dann
i=1n=1iμnλn= und i=1n=1iλn1μn<.
Ein Geburts- und Todesprozess ist null-wiederkehrend (null-rekurrent) dann und nur dann
i=1n=1iμnλn= und i=1n=1iλn1μn=.

Die Bedingungen für Wiederkehr, Vergänglichkeit, Ergodizität und Null-Wiederkehr können in einer expliziteren Form hergeleitet werden.[2]

Für eine natürliche Zahl K1, lassen ln(K)(x) bezeichnen die Kte Iteration des natürlichen Logarithmus, d. h. ln(1)(x)=ln(x), und für alle 2kK, ln(k)(x)=ln(k1)(ln(x)).

Dann sind die Bedingungen für das Wiederauftreten und die Vergänglichkeit eines Geburts- und Todesprozesses wie folgt.

Ein Geburts- und Todesprozess ist vergänglich, wenn es c>1, K1 und n0, so dass für alle

n>n0,

λnμn1+1n+1nk=1K11j=1kln(j)(n)+cnj=1Kln(j)(n),

wobei die leere Summe für K=1 wird als 0 angenommen.

Ein Geburts- und Todesprozess ist wiederkehrend, wenn es K1 und n0, so dass für alle

n>n0,

λnμn1+1n+1nk=1K1j=1kln(j)(n).

Es können breitere Klassen von Geburts- und Sterbeprozessen definiert werden, für die die Bedingungen für Wiederkehr und Vergänglichkeit festgelegt sind.[3]

Anwendung

Wir betrachten die eindimensionale Irrfahrt St, t=0,1,, die wie folgt definiert ist. Sei S0=1, und St=St1+et, t1, wobei et die Werte ±1 annimmt und die Verteilung von St definiert ist durch𝖯{St+1=St+1|St>0}=12+αStSt,𝖯{St+1=St1|St>0}=12αStSt,𝖯{St+1=1|St=0}=1,wobei die Koeffizienten αn die Bedingung 0<αn<min{C,n/2} für C>0 erfüllen. Die hier beschriebene Irrfahrt ist ein zeitdiskretes Analogon des Geburts- und Todesprozesses mit den Geburtenraten 12+αn2 und den Sterberaten 12αn2. Die Wiederkehr oder Vergänglichkeit der Irrfahrt ist also mit der Wiederkehr oder Vergänglichkeit des Geburts- und Todesprozesses verbunden.[2]

Die Irrfahrt ist vergänglich, wenn es c>1, K1 und n0, so dass für alle n>n0,
αn14(1+k=1K1j=1k1ln(j)(n)+cj=1K1ln(j)(n)),

wobei die leere Summe für K=1 wird als 0 angenommen.

Die Irrfahrt ist wiederkehrend, wenn es K1 und n0, so dass für alle n>n0,
αn(1+k=1Kj=1k1ln(j)(n)).

Literatur

  • Sören Asmussen: Applied Probability and Queues. 2. Auflage. Springer-Verlag, New-York 2003, ISBN 0-387-00211-1.

Einzelnachweise