Heiratssatz: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 8. März 2024, 10:58 Uhr

Der Heiratssatz, oder auch Satz von Hall, benannt nach Philip Hall, ist ein mathematischer Satz aus der Kombinatorik bzw. aus der Theorie der endlichen Mengen aus dem Jahre 1935.[1] Er gilt als Ausgangspunkt der Matching-Theorie in der Graphentheorie.[2]

Problemstellung

1A1, 2A2, 5A3 und 7A4 ist eine mögliche Auswahl.
Die Mengen A1,A2,A3 verletzen die Hall-Bedingungen, da deren Vereinigung nur 2 Elemente enthält.

Gegeben seien eine natürliche Zahl n, eine endliche Menge X und endlich viele Teilmengen A1,,An von X, die nicht notwendigerweise alle verschieden sein müssen. Dann ist die Frage:

Gibt es ein „Vertretersystem“ (Vorlage:EnS), also Elemente xiAi   (i=1,,n) derart, dass die x1,,xn alle verschieden sind?

Oder anders formuliert:

Gegeben seien eine endliche Indexmenge I und dazu eine Familie 𝒜=(Ai)iI endlicher Mengen. Dann ist die Frage:

Existiert für 𝒜 eine „injektive Auswahlfunktion

a:IiIAi,

so dass a(i)Ai für alle iI gilt?

Interpretation

Folgende Interpretation führte zum weitverbreiteten Begriff Heiratssatz:[3]

Gegeben seien eine endliche Menge I heiratswilliger Frauen und dazu eine endliche Menge X von mit diesen Frauen befreundeten Männern. Für jede Frau iI sei AiX die Menge der mit i befreundeten Männer.

Dann ist die Frage:

Lassen sich die Frauen mit den Männern so verheiraten, dass jede Frau einen der mit ihr befreundeten Männer heiratet, ohne dass die Monogamieregel verletzt wird?[2] Eine Veranschaulichung des Heiratssatzes findet sich in dem Beitrag von Konrad Jacobs in den Selecta Mathematica I.[4]

Notwendige Bedingung

Eine solche Heirat verlangt, dass jede Frau i einen Mann xiAi zur Heirat auswählt, ohne dass dabei zwei Frauen denselben Mann heiraten. Dies muss nicht nur für die Gesamtheit der Frauen gelten, sondern auch für jede beliebige Teilmenge. Es ist also offensichtlich notwendig, dass je k Frauen immer mit mindestens k Männern befreundet sind.[5]

Dies bedeutet: Für jede Teilmenge I0I muss es in der Vereinigungsmenge iI0Ai immer mindestens |I0| Elemente geben.[6]

Zur Existenz einer Auswahl der verlangten Art erhalten wir exakt die folgende notwendige Bedingung, die man auch die Hall-Bedingung oder hallsche Bedingung (Vorlage:EnS) nennt:

Für jede Teilmenge I0I ist |iI0Ai||I0|.

Heiratssatz

Der Heiratssatz sagt nun aus, dass die Hall-Bedingung für die Existenz einer Auswahl nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend ist:

Es seien I und 𝒜 wie oben beschrieben. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:

  • Es existiert für 𝒜 eine injektive Auswahlfunktion
a:IiIAi,ixiAi.
  • Die Hall-Bedingung ist erfüllt.

Beweise und verwandte Sätze

Ein direkter Beweis kann mittels Induktion über die Anzahl |I| der Mengen Ai geführt werden. Ein solcher Beweis findet sich in den Proofs from THE BOOK von Martin Aigner und Günter Ziegler.[2] Der Satz lässt sich ebenfalls direkt auf den Satz von Dilworth zurückführen. Wie sich zeigt, lassen sich der Heiratssatz, der Satz von Dilworth und der Satz von König leicht gegenseitig auseinander herleiten.[7]

Graphentheoretische Darstellung

Die blauen Kanten bilden ein Matching, in dem alle Knoten aus A vorkommen.

Der Heiratssatz von Hall lässt sich wie folgt graphentheoretisch darstellen. Es sei G=(V,E) ein bipartiter Graph mit Bipartition {A,B}. Ein Matching ist eine Menge von verschiedenen Kanten, die keine Knoten des Graphen gemeinsam haben. Für eine Teilmenge SA sei N(S) die Menge aller zu S benachbarten Punkte, die wegen der Bipartitheit notwendigerweise eine Teilmenge von B sind. Die Frage nach einem Matching, in dem alle Knoten aA vorkommen, ist die Frage nach einer Auswahl von paarweise verschiedenen Knoten baN({a}) für alle aA. Der Heiratssatz lautet in diesem Kontext:[8]

Für einen bipartiten Graphen mit Bipartition {A,B} sind folgende Aussagen äquivalent:

  • Es gibt ein Matching, in dem jeder Knoten aus A vorkommt.
  • Für alle Teilmengen SA gilt |N(S)||S|.
  • Es existiert eine injektive Funktion fE mit Definitionsbereich A (welche eine mögliche injektive Auswahlfunktion wie in Kapitel Problemstellung beschrieben ist).

Ob ein derartiges Matching existiert, lässt sich mithilfe des Modells des Netzflusses beantworten.

Verallgemeinerungen

In der Literatur zum Heiratssatz findet sich eine große Anzahl von Verallgemeinerungen und Erweiterungen unter verschiedenen Maßgaben:

Verallgemeinerung nach Philip A. Ostrand

Diese Verallgemeinerung (Satz von Ostrand) verschärft den Heiratssatz in der Weise, dass hier eine untere Schranke zur Abschätzung der Anzahl der Vertretersysteme angegeben wird, mit der sich der Heiratssatz unmittelbar ergibt:[9][5][10]

Gegeben seien eine natürliche Zahl n und dazu eine endliche Familie 𝒜=(A1,,An) endlicher Mengen. Diese sei in folgendem Sinne aufsteigend angeordnet:

|A1||A2||An|

Die Anzahl der Vertretersysteme von 𝒜 werde mit v𝒜 bezeichnet.[11]

Dann gilt:

Erfüllt 𝒜 die Hall-Bedingung, so ist
v𝒜i=1nmax(1, |Ai|i+1).

Die Verbindung zum Heiratssatz ergibt sich aus der Beobachtung, dass für i=1,,n durchweg max(1,|Ai|i+1)>0 gilt. Der Satz von Ostrand sagt also insbesondere aus, dass bei Gültigkeit der Hall-Bedingung die Anzahl der Vertretersysteme mindestens 1 sein muss, dass also in diesem Falle ein Vertretersystem existiert.

Wie der niederländische Mathematiker Jacobus Hendricus van Lint zeigen konnte, ist die oben genannte Schranke, wenn allein die Anzahlen |Ai| bekannt sind, die bestmögliche.[12]

Verallgemeinerung nach Rado

Vorlage:Hauptartikel Diese Verallgemeinerung, welche auf Richard Rado zurückgeht, bringt den Heiratssatz in Verbindung mit der Matroidtheorie. Ausgangspunkt ist hier die folgende Frage:

Unter welchen Bedingungen existiert zu einem gegebenen Matroid =(X;𝒰) und zu einer gegebenen endlichen Familie 𝒜=(Ai)iI von X-Teilmengen ein „Vertretersystem“ (ai)iI derart, dass die Teilmenge A={ai:iI} „unabhängig“ ist?[13][14]

Eine solche Teilmenge A nennt man auch eine „unabhängige Transversale“.

Kurz und knapp formuliert ist die in Rede stehende Frage also so zu stellen:

Unter welchen Bedingungen hat ein gegebenes Matroid zu einer gegebenen endlichen Teilmengenfamilie 𝒜 eine unabhängige Transversale?

Die Antwort auf diese Frage gibt der Satz von Rado, welcher folgendes besagt:[15][16][17][18]

hat zu 𝒜 eine unabhängige Transversale dann und nur dann, wenn für jede Teilfamilie 𝒜H=(Ai)iH   (HI) die Ungleichung ρ(iHAi)|H| erfüllt ist.[19]

Die letzte Bedingung nennt man kurz Rados Bedingung (Vorlage:EnS) oder auch Hall-Rado-Bedingung (Vorlage:EnS) oder ähnlich. Sie bedeutet, dass für jedes HI die zugehörige Vereinigungsmenge eine unabhängige Teilmenge mit mindestens |H| Elementen umfasst. Von ihr aus gelangt man zur Hall-Bedingung, indem man als Rangfunktion die Anzahlfunktion ||:𝒫(X)0 nimmt, welche jeder Teilmenge TX die Anzahl ihrer Elemente |T| zuordnet. In dem zur Anzahlfunktion gehörigen Matroid sind alle Teilmengen von X unabhängig. So erweist sich der Heiratssatz als Spezialfall des Satzes von Rado.

Erweiterung auf den unendlichen Fall

Zum Heiratssatz und zum Satz von Rado (und ebenso zum Satz von Dilworth) gibt es erweiterte Versionen, welche (u. a.) den Fall einbeziehen, dass die Grundmenge unendlich ist. Die Beweise dieser transfiniten Versionen setzen allerdings üblicherweise als entscheidendes Hilfsmittel das Lemma von Zorn bzw. den Satz von Tychonoff ein, gehen also vom Auswahlaxiom aus.[20][21]

Die Erweiterung auf den unendlichen Fall wurde von Ron Aharoni, Crispin Nash-Williams und Saharon Shelah bewiesen.[22][23][24]

Vorlage:Wikiversity

Literatur

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. P. Hall: On representation of subsets. Quart. J. Math. (Oxford) 10, 1935, S. 26–30.
  2. 2,0 2,1 2,2 Aigner-Ziegler: S. 134–136.
  3. Der Terminus „Heiratssatz“ (Vorlage:EnS) und die damit verbundene Interpretation werden in der Fachliteratur auf Hermann Weyl zurückgeführt; vgl. Jacobs-Jungnickel: S. 23, 393. Weyl nennt die in Rede stehende Fragestellung explizit das marriage problem; vgl. Vorlage:Literatur
  4. Vorlage:Literatur
  5. 5,0 5,1 Halder-Heise: S. 145–149.
  6. Dabei bezeichnet |I0| die Anzahl der Elemente von I0.
  7. Jungnickel, Konrad Jacobs: S. 27 ff.
  8. Winfried Hochstättler: Algorithmische Mathematik, Springer-Verlag (2010), ISBN 3-642-05421-8, Satz 4.36.
  9. Vorlage:Literatur
  10. Die Notwendigkeit des Erfülltseins der hallschen Bedingung wird hierbei als evident angesehen.
  11. Dies ist also die Anzahl der injektiven Auswahlfunktionen a:{1,,n}A1An für 𝒜=(A1,,An). Hier gilt im Allgemeinen, wenn nichts weiter vorausgesetzt wird, v𝒜=0.
  12. Halder-Heise: S. 149.
  13. X ist die gegebene endliche Grundmenge, in der alle Ai enthalten sind und 𝒰 ist das zugehörige System der unabhängigen Teilmengen.
  14. Stellt man den Zusammenhang mit der oben beschriebenen injektiven Auswahlfunktion a:IiIAi her, so ist (ai)iI=(a(i))iI, wobei die Teilmenge A genau die a-Bildmenge von I ist, zu der sie auf diesem Wege in umkehrbar eindeutiger Beziehung steht.
  15. Vorlage:Literatur
  16. Aigner: S. 246 ff.
  17. Mirsky: S. 93 ff.
  18. Welsh: S. 97 ff.
  19. ρ:𝒫(X)0 ist die zu gehörige Rangfunktion.
  20. Welsh: S. 389 ff.
  21. Siehe hierzu auch Rados Auswahlprinzip.
  22. R. Aharoni, C. S. J. A. Nash-Williams, S. Shelah,. Marriage in infinite societies, in: Progress in Graph Theory (Waterloo, Ontario, 1982), Academic Press, Toronto, 1984, S. 71–79
  23. R. Aharoni, C. S. J. A. Nash-Williams, S. Shelah, A general criterion for the existence of transversals, Proceedings of the London Mathematical Society, Band 3, 1983, S. 43–68.
  24. R. Aharoni, C. S. J. A. Nash-Williams, S. Shelah, Another Form of a Criterion for the Existence of Transversals, Journal of the London Mathematical Society, Band 2, 1984, S. 193–203