Quelltext der Seite Armutsforschung

Die '''Armutsforschung''' ({{enS|poverty research}}) ist als [[Arbeitsgebiet|Forschungsgebiet]] ein Teil der [[Empirische Sozialforschung|empirischen Sozialforschung]] und befasst sich mit der [[Beobachtung]], [[Analyse]] und [[Erforschung]] der [[Armut]] in der Welt.

== Allgemeines ==
[[Erkenntnisobjekt]] der Armutsforschung ist die Armut, ein schwer definierbarer Begriff. Dieser steht häufig in Zusammenhang mit [[soziale Gruppe|sozial marginalisierten Gruppen]] wie [[Arbeitslose]]n, [[Obdachlose]]n und [[Alleinerziehender|Alleinerziehenden]]. [[Sozialräumliche Struktur|Sozialräumlich]] wird Armut mit so genannten [[sozialer Brennpunkt|sozialen Brennpunkten]] oder mit dem Begriff der [[Unterschicht]] ([[Prekariat]]) in Verbindung gebracht.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Handbuch_Armut_und_Soziale_Ausgrenzung/77YmBAAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Armutsforschung&pg=PA148&printsec=frontcover Lutz Leisering/Petra Buhr, Dynamik von Armut, in: Ernst-Ulrich Huster/Hildegard Mogge-Grotjahn/Jürgen Boeckh (Hrsg.), ''Handbuch Armut und Soziale Ausgrenzung'', 2017, S. 147]</ref> Ausgehend von diesem Verständnis findet sich Armut nicht nur in [[Schwellenland|Schwellenländern]] oder [[Entwicklungsland|Entwicklungsländern]], sondern auch in der so genannten [[Westliche Welt|westlichen Welt]]. Die Armutsforschung hinterfragt die [[Legitimität]] bestehender materieller und immaterieller [[Verteilungsgerechtigkeit|Verteilungsstrukturen]].<ref>[https://www.google.de/books/edition/Armutsforschung/inNxEAAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Armutsforschung+ziele&pg=PA555&printsec=frontcover Ernst-Ulrich Huster, ''Was ist Armutsforschung - und wofür brauchen wir sie?'', in: Kai Marquardsen (Hrsg.), ''Armutsforschung: Handbuch für Wissenschaft und Praxis'', 2022, S. 29]</ref>

Die [[Problematik]] der Armutsforschung besteht in der Wahl einer [[Äquivalenzskala]] und der anschließenden [[#Armutsmessung|Armutsmessung]].<ref>[https://www.google.de/books/edition/Armut_im_Lebensverlauf/BHqYEAAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Armutsforschung&printsec=frontcover Jonas Beste, ''Armut im Lebensverlauf: Messkonzepte in der Armutsforschung'', 2017, S. 45]</ref> Verständigen konnte man sich auf die Messung der Einkommensarmut, wobei in allen [[EU-Mitgliedstaaten]] einheitlich 60 % des äquivalenzgewichteten [[Medianeinkommen]]s als Armutsschwelle definiert werden.<ref>Jonas Beste, ''Armut im Lebensverlauf: Messkonzepte in der Armutsforschung'', 2017, S. 45</ref>

== Geschichte ==
[[Karl Marx]] propagierte 1861 mit seiner [[Verelendungstheorie]] den [[Klassenkampf]], vermied jedoch eine genaue Analyse tatsächlicher Verarmungsprozesse. Marx meinte, dass in dem Maße, wie [[Kapital]] [[Akkumulation (Wirtschaft)|akkumuliert]], sich die Lage des [[Arbeiter]]s verschlechtern muss.<ref>Karl Marx, ''[[Das Kapital. Band I|Das Kapital, Band 1]]'', in: MEW 23, 1861, S. 674 f.</ref> [[Paul M. Sweezy]] zufolge hat Marx auf einem hohen Niveau der [[Abstraktion]] ein „allgemeines Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ mit der [[Tendenz]] zunehmender [[Verelendung]] des [[Proletariat]]s formuliert, das aber nicht als „konkrete Voraussage zu interpretieren“ sei.<ref>Paul M. Sweezy, ''Theorie der kapitalistischen Entwicklung'', 1959, S. 13</ref> [[Emil Münsterberg]] gilt wohl als erster deutscher Armutsforscher, der 1887 ein Buch über die deutsche Armengesetzgebung und ihr Reformpotenzial veröffentlichte.<ref>Emil Münsterberg,  ''Die deutsche Armengesetzgebung und das Material zu ihrer Reform'', Leipzig, 1887, [[passim]]</ref> [[Charles Booth]] untersuchte 1890 das Arbeitsleben Londoner Bürger.<ref>Charles Booth, ''The Life and Labour of the People of London'', 1890, passim</ref><ref>Gaby Lenz/Rita Braches-Chyrek, ''Von der Praxis in die Forschung und wieder zurück'', in: Kai Marquardsen (Hrsg.), ''Armutsforschung: Handbuch für Wissenschaft und Praxis'', 2022, S. 46</ref>

Weitere [[empirisch]]e Armutsforschungen fanden ab 1920 in den [[USA]] statt und konzentrierten sich auf die Untersuchung der [[Ghetto]]s und [[Slum]]s. Die Eröffnung des [[Institut für Sozialforschung|Institutes für Sozialforschung]] im Juni 1924 an der [[Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main|Universität Frankfurt am Main]] institutionalisierte die Armutsforschung. [[Ilse Arlt]] veröffentlichte 1925 einen Aufsatz über das neue Fachgebiet der Armutsforschung in einer im selben Jahr gegründeten Fachzeitschrift.<ref>lse Arlt, ''Armutsforschung'', in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege 1 (4), 1925, S. 145–153</ref> Die empirische Armutsforschung begann in [[Österreich]] 1933, als [[Marie Jahoda]] erstmals mittels quantitativer und qualitativer Methoden die Wirkung von Verarmung erforschte.<ref>Marie Jahoda, ''Die Arbeitslosen von Marienthal: Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit'', 1933, S. 1 ff.</ref> [[Oscar Lewis]] prägte 1959 den Begriff „Armutskultur“ ({{enS|poverty culture}}) im Zusammenhang mit der Armut in Städten [[Mexiko]]s. Der 1965 von [[Daniel Patrick Moynihan]] erschienene [[Moynihan-Report]] sah in den Familienstrukturen der [[Schwarze]]n die Hauptursache ihrer Armut.<ref>Daniel Patrick Moynihan, ''The Negro Familiy: The Case for National Action'', 1965</ref> [[Charles Murray (Politikwissenschaftler)|Charles Murray]] zufolge erzeugten staatliche [[Wohlfahrt]]sprogramme höhere [[Arbeitslosigkeit]] und uneheliche Geburten.<ref>Charles Murray, ''Losing Ground: American Social Policy'', 1984, passim</ref>

== Arten ==
Unterschieden wird allgemein zwischen der statischen und dynamischen Armutsforschung.<ref>Lutz Leisering/Petra Buhr, ''Dynamik von Armut'', in: Ernst-Ulrich Huster/Hildegard Mogge-Grotjahn/Jürgen Boeckh (Hrsg.), ''Handbuch Armut und Soziale Ausgrenzung'', 2017, S. 148 ff.</ref> Die statische ist situativ ausgerichtet, hält zeitpunktbezogene Armutsdaten fest und ist im übertragenen Sinne ein [[Einzelbild (Film)|Standbild]]. Die bisherige statische Armutsforschung wurde ab 1989 durch eine dynamische ergänzt, der zufolge Armut eine [[Lebensphase]] während einer [[Lebensgeschichte]] ist und kein Dauerzustand sein muss.<ref>Lutz Leisering/Petra Buhr, ''Dynamik von Armut'', in: Kai Marquardsen (Hrsg.), ''Armutsforschung: Handbuch für Wissenschaft und Praxis'', 2022, S. 148</ref> Die dynamische Armutsforschung wertet mit Hilfe der [[Verlauf]]sanalyse und von [[Längsschnittstudie]]n [[Zeitreihenanalyse|Zeitreihen]] aus und kann mit einem [[Film]] verglichen werden.

== Einkommensarmut ==
Gemessen wird die Armut anhand des [[Einkommen]]s, das [[Privatperson]]en oder [[Privathaushalt]]e pro Jahr erzielen. Hieran kam 1972 erstmals Kritik auf, denn Armut sei auch das Ergebnis prekärerer [[Arbeitsbedingungen (Betriebsverfassungsgesetz)|Arbeits-]] und Lebensbedingungen.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Armut_und_Kindheit/r7okBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Armutsforschung+geschichte&pg=PA12&printsec=frontcover Christoph Butterwegge, ''Armut und Kindheit'', 2003, S. 13]</ref> Als Einkommensgröße wird häufig das [[Pro-Kopf-Einkommen]] gewählt. Bei hohen [[Sozialstandard]]s kann die „alte Armut“ (von Behinderten, Kranken und Witwen) durch [[Versicherung (Kollektiv)|Versicherungs-]] und [[Umverteilung|Versorgungssysteme]] abgefedert werden. Als „neue Armut“ werden in den [[Industriestaat]]en die [[Kinderarmut in den Industrieländern|Kinderarmut]] und die [[Altersarmut]] eingestuft.

Einkommensarmut wird in den EU-Mitgliedstaaten in Armutsstudien bei einem Einkommen von 50 % des [[Durchschnittseinkommen]]s angenommen, 40 % ist die Grenze für ''starke Armut'', 60 % für ''schwache Armut'' ([[Armutsgefährdung]], Armutsnähe).<ref>[https://www.google.de/books/edition/Gabler_Wirtschafts_Lexikon/VmzRBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Durchschnittseinkommen+lexikon&pg=PA266&printsec=frontcover Ute Arentzen/Eggert Winter, ''Gabler Wirtschafts-Lexikon'', Band 1, 1997, S. 266]</ref> Die [[Weltgesundheitsorganisation|WHO]] und die [[OECD]] definieren Personen, die vom [[Median]] des [[Netto]]-[[Äquivalenzeinkommen]]s weniger als 50 % zur Verfügung haben, als ''arm''. Andere Teile der [[Fachliteratur]] sehen die ''Armutsgrenze'' ({{enS|poverty line}}) bei 15 % des Durchschnitts- oder Pro-Kopf-Einkommens.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Gabler_Wirtschaftslexikon/AewjBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Armutsgrenze+15+prozent&pg=PA199&printsec=frontcover Eggert Winter/Katrin Alisch/Ute Arentzen, ''Gabler Wirtschafts-Lexikon'', Band 1, 2004, S. 199]</ref>

== Äquivalenzskala ==
{{Hauptartikel|Äquivalenzskala}}
Sie nimmt eine [[Gewichtung]] des [[Bedarf]]s für einzelne Mitglieder eines Privathaushalts vor, um die [[Haushaltseinkommen]] in personelle [[Wohlstand]]sindikatoren umzurechnen.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Methoden_Lexikon_f%C3%BCr_die_Sozialwissensc/vszzBQAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=%C3%84quivalenzskala+lexikon&pg=PA13&printsec=frontcover Christoph Weischer/Rainer Diaz-Bone, ''Methoden-Lexikon für die Sozialwissenschaften'', 2015, S. 14]</ref> Eine weit verbreitete Äquivalenzskala ist die [[OECD-Skala]]. Diese berücksichtigt den [[Haushaltsvorstand]] mit einer Gewichtung von „1“, weitere Haushaltsmitglieder ab 15 Jahren mit „0,5“ und Kinder unter 15 Jahren mit „0,3“.

== Armutsmessung ==
Der wohl grundlegendste Armutsforscher und [[Nobelpreisträger]] [[Amartya Sen]] legte 1976 eine Arbeit vor, in der zunächst arme Personen identifiziert wurden und dann mit Hilfe der [[Armutsquote]] ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung gemessen wurde.<ref>Amartya Sen, ''Poverty: An Ordinal Approach to Measurement'', in: [[Econometrica]] 44 (2), 1976, S. 219–231</ref> Die bei ihm auf [[absolute Armut]] ausgerichteten Überlegungen wurden jedoch zur Bestimmung der [[relative Armut|relativen Armut]] – einem Mangel an Verwirklichungschancen – umgedeutet.<ref>Richard Hauser, ''Das Maß der Armut: Armutsgrenzen im sozialstaatlichen Kontext'', in: Ernst-Ulrich Huster/Hildegard Mogge-Grotjahn/Jürgen Boeckh (Hrsg.), ''Handbuch Armut und Soziale Ausgrenzung'', 2017, S. 152 f.; ISBN 978-3-658-19076-7</ref>

Geringes Einkommen bedeutet geringe [[Kaufkraft (Konsum)|Kaufkraft]], so dass im Extremfall nicht einmal die [[Grundbedürfnis]]se [[Gesundheit]], [[Kleidung]], [[Nahrung]], [[Trinkwasser]] oder [[Wohnung]] befriedigt werden können. Zur Ermittlung von relativer Einkommensarmut wird häufig das [[Mittleres Einkommen|mittlere Einkommen]] bevorzugt, da es im Gegensatz zum arithmetischen Mittel unempfindlicher gegenüber Extremwerten ist.

Die [[Bruttonationaleinkommenkategorisierung (Weltbank)|Bruttonationaleinkommenkategorisierung]] der [[Weltbank]] differenziert für 2024 die Pro-Kopf-Einkommen <math>PKE</math> nach dem [[Bruttonationaleinkommen]] <math>BNE</math> und stellt dieses der [[Bevölkerung]] <math>P</math> gegenüber:<ref>[https://datahelpdesk.worldbank.org/knowledgebase/articles/906519 World Bank (Hrsg.), ''World Bank Country and Lending Groups'', 2023]</ref>
:<math>PKE = \frac{BNE}{P}</math>.
Daraus entwickelte sie folgende [[Klassifizierung]]en, denen einzelne [[Staat]]en zugeordnet werden:

{| class="wikitable" style="padding:1em; vertical-align:top; border:2px;"
|-
! [[Klassifizierung]]
! <math>BNE</math> in [[US-Dollar]] <br /> pro Kopf und Jahr
! Beispiele
|-
| [[Low Income Country]] || ≤ 1135 || {{AFG}}, {{BFA}}, {{BDI}}, {{SOM}}, {{SDN}}
|-
| [[Lower Middle Income Country]] || 1136 bis 4465 || {{BGD}}, {{BOL}}, {{IND}}, {{IDN}}
|-
| [[Upper Middle Income Country]] || 4466 bis 13845 || {{ALB}}, {{IRQ}}, {{CUB}}, {{MEX}}, {{TUR}} 
|-
| [[Bruttonationaleinkommenkategorisierung (Weltbank)|High Income Country]] || < 13846 || {{DEU}}, {{AUT}}, {{CHE}}, {{USA}}
|}

Trotz teilweise hohem [[Wirtschaftswachstum]] ist das Wohlstandsgefälle in keinem Kontinent so groß wie in [[Asien]]. Spitzenreiter {{CHN}} und {{JPN}} werden gefolgt von den reichen [[Stadtstaat]]en {{HKG}} und {{SGP}}, während auf der untersten Stufe {{BGD}}, {{BTN}} oder {{KHM}} stehen.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Asiens_M%C3%A4rkte_erfolgreich_erschlie%C3%9Fen/q1TyBQAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Pro-Kopf-Einkommen+Wohlstandsma%C3%9F&pg=PA6&printsec=frontcover Peter Janocha, ''Asiens Märkte erfolgreich erschließen'', 1998, S. 6]</ref>

Der erste [[Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung]] aus 2001 wurde unter anderem dafür kritisiert, dass er mehr als 20 Antworten auf die Frage enthielt, wie viele Personen in Deutschland arm seien.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Handbuch_Armut/yuNwDwAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Armutsforschung+geschichte&printsec=frontcover Petra Böhnke/Jörg Dittmann/Jan Goebel, ''Handbuch Armut: Ursachen, Trends, Maßnahmen'', 2018, S. 56]</ref> Hierin wurden in Westdeutschland für 1998 zwischen 5,3 % und 20,0 % und gleichzeitig in Ostdeutschland zwischen 2,8 % und 29,6 % arme Personen ausgewiesen.<ref>Bundesregierung (Hrsg.), ''Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung'', 2001, S. 26</ref>

== Armutsgrenze ==
{{Hauptartikel|Armutsgrenze}}
Zur Festlegung der Armutsgrenze wird einerseits auf die [[Sozialhilfe]]statistik zurückgegriffen. Als quasi-offizielle Armutsgrenze dient das Leistungsniveau der laufenden Hilfe zum [[Lebensunterhalt]], da dieses als soziokulturelles Minimum einer menschenwürdigen [[Lebensführung]] gilt. Andererseits wird die relative Armut berücksichtigt, wobei die Armutsschwelle im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen festgelegt wird.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Gabler_Volkswirtschafts_Lexikon/xfTNBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=armutsgrenze+lexikon&pg=PA97&printsec=frontcover Thorsten Hadeler, ''Gabler Volkswirtschafts-Lexikon'', Band 1, 1997, S. 97]</ref> 40 % des Durchschnittseinkommens ist strenge oder starke Armut, 50 % Armut und 60 % Einkommensschwäche oder Armutsnähe.

== Wirtschaftliche Aspekte ==
Ergebnisse der Armutsforschung sind Begriffe wie absolute und relative Armut, Armutsgrenze, Armutsmessung, Armutsnähe oder Äquivalenzskala. Die Geschichte der Armutsforschung zeigt, dass sowohl [[Induktion (Philosophie)|induktive]] als auch [[Deduktion|deduktive]] Ansätze leicht an wissenschaftlicher Integrität verlieren, wenn die untersuchten sozialpolitischen Fragen stark moralisch und ideologisch besetzt sind.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Armut_im_modernen_Wohlfahrtsstaat/ecyfBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Armutsforschung+geschichte&pg=PA143&printsec=frontcover Stephan Leibfried/Wolfgang Voges, ''Armut im modernen Wohlfahrtsstaat'', 1992, S. 143]</ref> Auch in der deutschen Armutsforschung haben sich zwei Konzepte herauskristallisiert: die absolute und relative Armut. Erstere liegt vor, wenn das [[Existenzminimum]] einer Person unterschritten wird und ein Mangelzustand auftritt, der das Überleben gefährdet (Grundbedürfnisse auf Gesundheit, Kleidung, Nahrung, Wohnung sind nicht mehr gesichert). Von relativer Armut wird gesprochen, wenn entweder [[Ressource]]n zu gering sind oder fehlen (Einkommensarmut) oder [[Unterversorgung]] in mehreren Lebensbereichen gegeben ist, so dass die durchschnittliche Lebensqualität nicht mehr erreicht wird.<ref>[https://books.google.de/books?id=Nu-eDQAAQBAJ&newbks=0&printsec=frontcover&pg=PA68&dq=Armutsforschung+lexikon&hl=de&redir_esc=y#v=onepage&q=Armutsforschung%20lexikon&f=false Tim Rietzke, ''Armut'', in: Klaus-Peter Horn/Heidemarie Kemnitz/Winfried Marotzki/Uwe Sandfuchs (Hrsg.), ''Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (KLE)'', Band 2, 2011, S. 68]</ref>

Im [[Sozialstaat]] und [[Wohlfahrtsstaat]] wird die Armut vorwiegend als Einkommensarmut aufgefasst, aber zunehmend auch die Teilhabe an und die Integration in nicht-monetäre Bereiche erfasst ([[Ausgrenzung]], [[Deprivation]]).<ref>[https://books.google.de/books?id=4w3TBgAAQBAJ&newbks=0&printsec=frontcover&pg=PA96&dq=Armutsforschung+lexikon&hl=de&redir_esc=y#v=onepage&q=Armutsforschung%20lexikon&f=false Ute Arentzen/Heiner Brockmann/Heike Schule/Thorsten Hadeler, ''Gabler Volkswirtschafts-Lexikon'', Band 1, 1996, S. 95]</ref>

Die dynamische Armutsforschung hat gezeigt, dass die Armen durchaus handlungsfähig sind und dass Armutslagen oft mit Ereignissen im [[Lebenslage|Lebensverlauf]] verknüpft sind.<ref>Lutz Leisering/Petra Buhr, ''Dynamik von Armut'', in: Ernst-Ulrich Huster/Hildegard Mogge-Grotjahn/Jürgen Boeckh (Hrsg.), ''Handbuch Armut und Soziale Ausgrenzung'', 2017, S. 147</ref> Solche Ereignisse sind insbesondere [[Arbeitslosigkeit]], [[Ehescheidung]] oder [[Wohnungsmangel|Wohnungsverlust]].

Die Erkenntnisse der Armutsforschung können in der [[Wirtschaftspolitik]] und [[Sozialpolitik]] verwertet werden.

== Literatur ==
* [[Thomas Rommelspacher]]: ''Armutsforschung in der BRD'', in: Gertrud Tobias/Johannes Boettner (Hrsg.): ''Von der Hand in den Mund'', 1992, ISBN 978-3-88474-016-3, S. 106 ff.
* [[Christoph Kühberger]]: ''Historische Armutsforschung. Eine Perspektive der Neuen Kulturgeschichte''. VWF, Berlin 2004, ISBN 3-89700-411-9.
* Christoph Kühberger, [[Clemens Sedmak]]: ''Aktuelle Tendenzen der historischen Armutsforschung''. Lit, Wien 2005, ISBN 3-8258-7713-2

== Einzelnachweise ==
<references />

[[Kategorie:Armutsmessung]]
[[Kategorie:Empirische Sozialforschung]]
[[Kategorie:Sozialforschung]]
[[Kategorie:Sozialstruktur]]
[[Kategorie:Ungleichheitsforschung]]
[[Kategorie:Volkswirtschaftslehre]]