Quelltext der Seite Ammoniumperchlorat-Verbundtreibstoff

'''Ammoniumperchlorat-Verbundtreibstoff''' ({{enS|Ammonium Perchlorate Composite Propellant}}, '''APCP''') ist eine Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Treibstoffen, die vorrangig in [[Feststoffraketenmotor]]en (z.&nbsp;B. Booster) eingesetzt werden.<ref name="NASA_dryden">{{Webarchiv|url=https://www.nasa.gov/centers/dryden/pdf/88635main_H-2330.pdf |wayback=20170809033901 |text=THE HISTORY OF SOLID-PROPELLANT ROCKETRY: WHAT WE DO AND DO NOT KNOW (PDF; 754 kB) }} J. D. Hunley, NASA Dryden Flight Research Center (englisch)</ref> Sie unterscheiden sich von klassischen Festtreibstoffen wie [[Schwarzpulver]] nicht nur in der chemischen Zusammensetzung, sondern vor allem in ihren physikalischen Eigenschaften. Im Gegensatz zu anderen Festtreibstoffen können APCPs in Form gegossen oder modelliert/extrudiert werden, was eine deutlich bessere Wiederholgenauigkeit und geringere Varianz in der Fertigung bedeutet.
{{TOC limit}}
== Anwendungen ==
Ammoniumperchlorat-Verbundtreibstoffe gehören zu den am häufigsten eingesetzten Festtreibstoffen in Luft- und Raumfahrt. Der [[Spezifischer Impuls|spezifische Impuls]] ist, verglichen mit anderen Raketentreibstoffen, vergleichsweise gering,<ref name="rocketology" /> jedoch sind&nbsp;– insbesondere im Vergleich mit flüssigen Treibstoffen&nbsp;– Handhabung und Verarbeitung deutlich einfacher und die Sicherheit signifikant erhöht. Viele [[Trägerrakete]]n-Systeme, wie z.&nbsp;B. die europäische [[Ariane 5]], die US-amerikanischen [[Delta IV]] oder [[Atlas V]], nutzen Feststoffraketen auf Basis von APCP. Zu den populärsten Anwendungen gehören die Feststoffbooster des [[Space Shuttle]] und des [[Space Launch System]], welches erstmals am 16.&nbsp;November 2022 mit der Mission [[Artemis&nbsp;1]] zum Mond gestartet ist. Aufgrund der Langzeitstabilität und Lagerfähigkeit eignen sich APCPs insbesondere für militärische Anwendungen (z.&nbsp;B. [[ballistische Rakete]]n); aber auch für [[Amateurrakete|Amateur-]] oder [[High-Power-Rakete]]n werden Verbundtreibstoffe auf Basis von [[Ammoniumperchlorat]] häufig genutzt. Weitere Anwendungsgebiete sind Kompaktraketenmotoren für Sicherheitssysteme wie z.&nbsp;B. Bremsraketen oder [[Schleudersitz]]e.

== Zusammensetzung ==
=== Überblick ===
[[Datei:Pathfinder boosters arrived at Kennedy Space Center.jpg|mini|Segment eines [[Space Launch System|SLS]]-Boosters; APCP in der Mitte (in grau), die Enden sind für einen gleichmäßigen Abbrand von innen mit einem schwarzen [[Polybenzimidazole|PBI]]-[[Acrylnitril-Butadien-Kautschuk|NBR]]-Gummi (Inhibitor) überdeckt]]
[[Datei:Ammonium Perchlorate Composite Propellant (uncured) is shaped by a Worker.png|mini|Nicht ausgehärteter APCP am Ende eines SLS-Booster-Segments wird in Form gebracht, bevor der Inhibitor aufgebracht werden kann.]]

APCPs sind Verbundtreibstoffe, was bedeutet, dass der [[Oxidationsmittel|Oxidator]] und der Treibstoff durch ein Bindemittel (in der Regel ein Kunststoff, welcher ebenfalls als Treibstoff dient) in Form eines homogenen Stoffgemenges vorliegen. Die Konsistenz entspricht häufig der eines Radiergummis{{FN|a}}. Je nach Zusammensetzung ist die Farbe bräunlich oder grau bis schwarz<ref name="rocketology">[https://blogs.nasa.gov/Rocketology/2016/04/21/weve-got-rocket-chemistry-part-2/ ''Rocketology: NASA’s Space Launch System: We’ve Got (Rocket) Chemistry, Part 2''] (englisch)</ref>.

Ammoniumperchlorat (AP), der Oxidator, zersetzt sich ab ca. 210&nbsp;°C<ref name="GESTIS">{{GESTIS|Name=Ammoniumperchlorat|ZVG=500057|CAS=7790-98-9|Abruf=2025-02-11}}</ref> nach folgender Gleichung in einer stark [[exotherm]]en Reaktion zu [[Chlor]], [[Sauerstoff]], [[Stickstoff]] und [[Wasser]].
{{Formel |formel=<chem>2  NH4ClO4 -> Cl2 + 2 O2 + N2 + 4 H2O</chem>}}

Das in der Reaktion freiwerdende Chlor und Wasser reagieren teilweise nach folgender Gleichung zu [[Chlorwasserstoff]] und [[Hypochlorige Säure|hypochloriger Säure]]:
{{Formel |formel=<chem>Cl2 + H2O -> HOCl + HCl</chem>}}

Die gasförmigen Reaktionsprodukte<ref name="GESTIS" /> expandieren stark und sorgen für den nötigen Vortrieb<ref name="rocketology" />.

=== Metallischer Treibstoff ===
Um den Impuls signifikant zu steigern, werden weitere Treibstoffkomponenten beigemengt. Besonders [[Aluminium]]pulver ist aufgrund seiner Eigenschaft, mit dem freiwerdenden Sauerstoff und Chlor zu Aluminiumoxid und Aluminiumchlorid zu reagieren,<ref name="rocketology" /> in praktisch allen modernen Rezepturen enthalten. Aluminium steigert den spezifischen Impuls um bis zu 10 % im Vergleich zu Treibstoffen ohne metallische Komponente<ref name="jpyro" />. Zusätzlich dient Aluminium als Stabilisator für den Verbrennungsvorgang<ref name="SAND2017-4477J">[https://www.osti.gov/pages/servlets/purl/1356857 Study of aluminum particle combustion in solid propellant plumes using digital in-line holography and imaging pyrometry]</ref>.

=== Bindemittel ===
Da AP nicht geschmolzen werden kann, liegt es üblicherweise als kristalliner, körniger Feststoff vor. Darum ist es erforderlich, dass es mit einem Bindemittel (welches i.&nbsp;d.&nbsp;R. zugleich als Initialzünder oder Treibstoff dient) gebunden wird. Geeignete Bindemittel sind verschiedene Thermoplaste, Duroplaste, Elastomere oder Polysulfide.<!--ref name="chemieschule" /--> Da das Bindemittel oft einen signifikanten Anteil (15 bis über 80 %<ref name="nakka" /><ref>[https://ntrs.nasa.gov/api/citations/20000033816/downloads/20000033816.pdf THE 260 – THE LARGEST SOLID ROCKET MOTOR EVER TESTED] (englisch).</ref>) des Treibstoffs ausmacht, ist der Beitrag zum Gesamtimpuls von elementarer Bedeutung.<ref name="NASA_dryden" />

Eine weitere wichtige Aufgabe des Bindemittels ist, den Treibstoff permanent mit dem Gehäuse des Raketenmotors zu verbinden sowie bei großen Motoren dafür zu sorgen, dass diese strukturell gestützt und nicht durch die eigene Masse (bzw. die Masse des Treibstoffs) beschädigt bzw. zerstört werden.<ref name="NASA_dryden" /><ref name="jpyro">[http://www.jpyro.co.uk/wp-content/uploads/j03_35_sw3sa.pdf Ammonium Perchlorate Composite Basics] Randall R. Sobczak, High Power Rocketry, Mai/Juni 1993(englisch)</ref>

=== Sonstige Bestandteile ===
Zur Steigerung des Impulses wurden in der Vergangenheit oft brisante Stoffe wie z.&nbsp;B. [[Nitramine]] (vorwiegend [[Oktogen]]), [[Nitroglycerin]] oder [[Cellulosenitrat]] als Bindemittel oder hochenergetischer Treibstoff eingebracht.<ref name="NASA_dryden" /> Hierfür fand sich in den 1950er Jahren die Bezeichnung CMDB (Composite-Modified Double-Base).<ref name="NASA_dryden" /><ref name="astronautix" />

Um die notwendigen Festigkeitsparameter besser steuern zu können, werden dem Bindemittel noch weitere Stoffe wie z.&nbsp;B. [[Weichmacher]], [[Verdünnungsmittel]], [[Füllstoff]]e oder [[Vernetzung (Chemie)|Härter]] zugesetzt.<ref name="jpyro" />

Als Katalysator bzw. [[Abbrandmodifikator]] kommt oft eine geringe Menge [[Eisen(III)-oxid|Eisenoxid]] oder [[Lithiumfluorid]] zum Einsatz.<ref name="astronautix" /><ref name="nakka">{{Internetquelle |url=https://www.nakka-rocketry.net/propel.html |titel=Amateur Experimental Solid Propellants |werk=Richard Nakka’s Experimental Rocketry Site |sprache=en |abruf=2022-11-18}}</ref> [[Industrieruß]] kann als Trübungsmittel eingesetzt werden, damit die freiwerdende Strahlungswärme nicht zu tief in den noch nicht abgebrannten Treibstoff eindringen kann.<ref name="nakka" />

== Geometrie ==
Vor allem bei größeren Raketenmotoren hat die Geometrie des Festbrennstoffs einen signifikanten Einfluss auf dessen Leistung und Abbrandverhalten. Die Geometrie bezieht sich hier einerseits auf die Korngröße und -form (vorrangig bezogen auf das Ammoniumperchlorat) des Treibstoffs, andererseits auf die Geometrie des gemischten und in Form gebrachten Treibstoffs (siehe auch [[Feststoffraketentriebwerk#Brennstoffgeometrie und Schubkraftverlauf]]).

=== Partikelparameter ===
Ammoniumperchlorat wird in verschiedenen Korngrößen (zwischen 55 und 400 μm) verwendet und kann mit [[Calciumphosphat]] als Trennmittel überzogen werden. Bei Korngrößen ab 200 µm ist es möglich, diese zu [[Gleitschleifen|trommeln]], um die kantigen Kristalle abzurunden. Die Form und Partikelgröße des Ammoniumperchlorats ist dabei von kritischer Wichtigkeit für die Verarbeitung sowie das spätere Abbrandverhalten. Allgemein lässt sich sagen, dass eine kleinere Partikelgröße zu schnellerem Abbrand führt. Der Effekt ist dabei so signifikant, dass mehrere völlig unterschiedliche Treibstoffe mit derselben Zusammensetzung hergestellt werden können, wenn nur die Partikelgröße variiert wird.<ref name="jpyro" /> In der Praxis werden daher unterschiedliche Korngrößen kombiniert. Die größeren Körner werden dabei abgerundet, damit die kleineren Körner in die Zwischenräume passen. Somit kann die höchstmögliche Masse pro Volumen untergebracht werden, was zugleich den spezifischen Impuls und die mechanischen Eigenschaften verbessert.<ref name="jpyro" />

=== Struktur / Verarbeitung ===
==== Neutral ====
Ein einfacher Vollzylinder, der an einem Ende gezündet wird, zeigt z.&nbsp;B. ein praktisch lineares Abbrandverhalten, weil sich die Flammenfront als kreisförmiger Querschnitt des Zylinders fortbewegt.

==== Progressiv ====
Ein Hohlzylinder, der an einem Ende gezündet wird, zeigt ein progressives Verhalten, weil durch den ausbrennenden Hohlraum die Oberfläche der Flammenfront über die Brenndauer zunimmt.

==== Regressiv ====
Ein Profil in Form einer diagonalen oder kreuzförmiger Teilung zeigt ein regressives Verhalten, weil die Oberfläche der Flammenfront über die Brenndauer abnimmt.

==== Progressiv/regressiv ====
Ein exzentrischer, zylinderförmiger Hohlraum („Moonburn“) sorgt zuerst für eine progressive Vergrößerung der Flammenfront, bis die Gehäusewand erreicht ist – danach wird der Abbrand zunehmend regressiv.

Um das gewünschte Profil zu erreichen, kann der Verbundtreibstoff je nach Zusammensetzung und verwendetem Bindemittel unter Verwendung von duro- oder thermoplastischen Bindemitteln in eine Form geknetet bzw. direkt in den Raketenmotor gegossen und gehärtet werden<ref name="jpyro" />.

== Beispiele ==
{| class="wikitable sortable"
|-
! Rakete / Booster
! Hersteller
! Bezeichnung
! Oxidator
! Bindemittel
! Treibstoff
! Sonstige Zusammensetzung, Anmerkungen
! [[Spezifischer Impuls|I<sub>sp</sub>]] <small>[m/s]</small>
|-
| [[MGM-29 Sergeant]]
| [[Thiokol]]
| 
| Ammoniumperchlorat
| Polysulfide
|
| 
| 1800
|-
| [[UGM-27 Polaris#Polaris A1 (UGM-27A)|Polaris A1]] (1. und 2. Stufe)
| [[Aerojet]]
|
| Ammoniumperchlorat
| Polyurethan
| Aluminum
| 
| 2200–2500
|-
| [[UGM-27 Polaris#Polaris A2 (UGM-27B)|Polaris A2]] (2. Stufe)
| [[Hercules Inc.|Hercules PowderCompany]]
| 
| Ammoniumperchlorat
| Cellulosenitrat
| Aluminium, Nitroglycerin
| 
| 2500
|-
| [[UGM-27 Polaris#Polaris A3 (UGM-27C)|Polaris A2]] (2. Stufe)
| Hercules Powder
Company
|
| Ammoniumperchlorat
| Cellulosenitrat
| Aluminium, Oktogen
| 
| 2750
|-
| [[LGM-30 Minuteman|Minuteman I]] (1. Stufe)
| Thiokol
|
| Ammoniumperchlorat
| PBAA
| Aluminium
| 
| 2400
|-
| [[LGM-30 Minuteman|Minuteman I]] (2. Stufe)
| Aerojet
|
| Ammoniumperchlorat
| Polyurethan
| Aluminium
| 
| 2650
|-
| [[LGM-30 Minuteman|Minuteman I]] (3. Stufe)
| Hercules Powder Company
| 
| Ammoniumperchlorat
| Cellulosenitrat
| Aluminium, Oktogen, Nitroglycerin,
| 
| 2650
|-
| UA120 (Booster der [[Titan (Trägerrakete)#Titan IIIC und IIID|Titan III]])
| Hercules Powder Company
|
| Ammoniumperchlorat
| PBAN
| Aluminium
| 
| 2600
|-
| [[Space Transportation System]] (Booster)
| ATK Thiokol Propulsion
| TP-H1148<ref name="NG-Propulsion">[https://www.northropgrumman.com/wp-content/uploads/NG-Propulsion-Products-Catalog.pdf Northrop Grumman Propulsion Products Catalog]</ref><ref name="nakka" />
| Ammoniumperchlorat (69,6 %)
| PBAN (12,04 %), Epoxidharz (1,96 %),
| Aluminium (16 %)
| Eisenoxid (0,4 %)
| 2400
|-
| [[Space Launch System]] (Booster)
| [[Northrop Grumman]]
| TP-H1148 VIII<ref name="NG-Propulsion" />
|
| PBAN
|
| Feststoffanteil: 86 %; ähnlich TP-H1148
| 
|-
| [[Space Launch System]] (Launch Abort Motor)
| Northrop Grumman
| TP-H1264<ref name="NG-Propulsion" />
| Ammoniumperchlorat
| HTBP
| Aluminium (6 %)
|
| 
|-
| [[Delta II]] („GEM 40“ Booster)<br />
[[Pegasus (Rakete)|Pegasus XL]] (2. Stufe)<br />
[[Minotaur (Rakete)|Taurus XL]] (1. Stufe)<br />
| Northrop Grumman
| QDL-1<ref name="NG-Propulsion" />
| Ammoniumperchlorat
| HTBP
| Aluminium (19 %)
|
| 2800–2850
|-
| [[FIM-92 Stinger]] (Startmotor)<ref name="RG281207123">[https://www.researchgate.net/publication/281207123_Kirchner_DB_Gaydos_JC_Battigelli_MC_Combustion_Products_of_Propellants_and_Ammunition_in_Occupational_Health_The_Soldier_and_The_Industrial_Base_Chapter_10_Vol_2_of_the_Textbook_of_Military_Medicine_s Combustion Products of Propellants and Ammunition in Occupational Health] in Textbook of Military Medicine series [Part III. Disease and the Environment], Jänner 1993</ref>
| [[Aerojet Rocketdyne]]
| 
| Ammoniumperchlorat
| PVC
| Aluminiumpulver
| [[Diethylhexyladipat]], [[Kupferchromit]], Industrieruß
| 
|-
| [[FIM-92 Stinger]] (Flugmotor)<ref name="RG281207123"/>
| Aerojet Rocketdyne
| 
| Ammoniumperchlorat
| CTPB, Epoxidharz
| Aluminiumpulver
| <!-- Chromium octate, --> Diethylhexyladipat, [[Lecithin]], Eisenoxid; keine homogene Zusammensetzung ([[dual-thrust]])<ref name="FAS">[https://man.fas.org/dod-101/sys/land/docs/ch2.pdf Stinger Weapon System]</ref>
| 
|-
|}

== Geschichte ==
Im Juni 1942 erfand der Chemiker [[John Whiteside Parsons|John Parsons]] den ersten gießbaren Verbundtreibstoff in Form von [[Asphalt (Geologie)|Asphalt]] und [[Kaliumperchlorat]]<ref name="NASA_dryden" /><ref name="rg306325004">[https://www.researchgate.net/publication/306325004_Highlights_of_Solid_Rocket_Propulsion_History Highlights of Solid Rocket Propulsion History]</ref>. Gegen Ende der 1940er Jahre löste Ammoniumperchlorat zunehmend das vorherrschende Kaliumperchlorat als Oxidator in Verbundtreibstoffen ab<ref name="NASA_dryden" />.

Bis Anfang der 1950er Jahre wurde [[Polymethylmethacrylat]] („Aeroplex“, vergleiche [[Plexiglas]]) als Bindemittel eingesetzt, dies hatte jedoch die negative Eigenschaft, dass es sich nicht ausreichend mit dem Gehäuse des Raketenmotors verbinden ließ. Es wurde daher durch auf [[Polyurethan]]en (PU) und [[Polybutadien]] (PB) basierte Bindemittel ersetzt<ref name="NASA_dryden" /><ref name="astronautix">{{Astronautix|solid|Solid |abruf=2022-11-18}}</ref>. 1954 wurde von Forschern bei [[Thiokol]] (heute Teil von [[Northrop Grumman Space Systems]]) mit [[Polybutadien-Acrylsäure]] (PBAA) ein geeignetes Copolymer entdeckt, welches PU ersetzen konnte, im selben Jahr wurde diese Formulierung durch [[Polybutadien-Acrylnitril]] (PBAN) ersetzt<ref name="NASA_dryden" />.

Im Jahr 1955 fanden Keith Rumbel und Charles Henderson heraus, dass das Hinzufügen von größeren Teilen Aluminium eine signifikante Erhöhung des spezifischen Impulses zur Folge hat. In ihrem Versuch mischten sie 21 % Aluminium zu 59 % AP und 20 % PVC. Sie widerlegten damit die bis dahin vorherrschende Meinung, dass ein Aluminiumanteil von etwas über 5 % (Masse) das Maximum wäre. Die Ergebnisse wurden Anfang 1956 von Aerojet verifiziert, was letztlich großen Einfluss auf die Weiterentwicklung von Feststoffraketenmotoren hatte, die später bei der Titan&nbsp;III oder dem [[Space Transportation System]] zum Einsatz kamen<ref name="NASA_dryden" /><ref name="rg306325004" />.

Das in den späten 1950er Jahren entwickelte [[Carboxyl-terminiertes Polybutadien|Carboxyl-terminierte Polybutadien]] (CTPB), welches im Vergleich zu PBAN bessere mechanische Eigenschaften und einen höheren Impuls erzielte, fand aufgrund der signifikant höheren Kosten kaum Verbreitung. 1961 wurde die Entwicklung an [[Hydroxyl-terminiertes Polybutadien|Hydroxyl-terminiertem Polybutadien]] (HTPB) begonnen. Der Vorschlag an die NASA 1969, es zu verwenden, resultierte in den Höhenforschungsraketen [[Astrobee|Astrobee D und F]], die HTPB als Bindemittel nutzen. Weil aber auch HTPB teurer und teilweise schwieriger in der Verarbeitung ist als PBAN, ist Letzteres das verwendete Bindemittel für die meisten Treibstoffe<ref name="NASA_dryden" />.

Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind APCPs der de facto Standard für Festtreibstoffe, jedoch verlagert sich seit den 2010er Jahren die Forschung zunehmend auf [[Ammonium Dinitramide/Glycidyl Azide Polymer Composite Propellant|ADN/GAP-Treibstoffe]]. Hier wird bei annähernd vergleichbaren Leistungsdaten auf das chlorhaltige Ammoniumperchlorat als Oxidator verzichtet.<ref name="ict">{{Internetquelle |autor= |hrsg= |url= https://www.ict.fraunhofer.de/content/dam/ict/de/documents/medien/em/EM_Raketenfesttreibstoffe_V01-0_de.pdf|format= |titel=Raketenfesttreibstoffe|werk=www.ict.fraunhofer.de |seiten= |datum= |abruf=2022-11-27|archiv-url=|archiv-datum=}}</ref><ref name="rg322344887">{{internetquelle |autor= |hrsg= |url= https://www.researchgate.net/publication/322344887_ADNGAP_Composite_Rocket_Propellants_with_and_Without_Metallic_Fuels|format= |titel=ADN/GAP Composite Rocket Propellants with and Without Metallic Fuels|werk=www.researchgate.net |seiten= |datum= |abruf=2022-11-29|archiv-url=|archiv-datum=}}</ref>

== Toxizität und Schadwirkung ==
Beim Abbrand werden große Mengen an Chlorwasserstoff freigesetzt, die besonders unter atmosphärischen Bedingungen mit hoher Luftfeuchtigkeit in der Bildung eines [[Salzsäure]]-Nebels resultieren. Zudem sind die Abgase von APCP-Motoren stark korrosiv für viele Materialien. [[Beryllium]] als metallische Treibstoffkomponente bietet mitunter den höchsten spezifischen Impuls, jedoch sind [[Berylliumoxid|die Verbrennungsprodukte]] stark toxisch.<ref name="jpyro" />

Abhängig vom Bindemittel ist auch die Verarbeitung teils stark gesundheitsgefährdend. Besonders der Einsatz von HTPB erfordert giftige [[Isocyanate]] als Härter. [[Dioctyladipat]] dient als Weichmacher, um die Gießeigenschaften zu verbessern.<ref name="jpyro" />

In militärischen Anwendungen kommen unter anderem auch Stoffe zum Einsatz, die zu einer saubereren Verbrennung mit einem weitgehend unsichtbaren Abgasstrahl führen („minimum signature propellant“). Hierzu werden vor allem stickstoffreiche Verbindungen wie z.&nbsp;B. [[Ammoniumdinitramid]] (ADN) hinzugefügt.<ref name="ict" /> Die Abwesenheit von Halogenen erschwert das Aufspüren des Abgasstrahls per Radar<ref>[https://www.spektrum.de/lexikon/chemie/ammoniumdinitramid/442 Lexikon der Chemie Ammoniumdinitramid]</ref>, der positive Nebeneffekt ist eine Verringerung des Ausstoßes an Chlorwasserstoff. Zur Verringerung des Ausstoßes kann z.&nbsp;B. Natriumnitrat eingesetzt werden, welches mit einem Großteil des Chlorwasserstoffs bereits im Motor zu [[Natriumchlorid]] reagiert.<ref name="RTO-MP-091">[https://www.sto.nato.int/publications/STO%20Meeting%20Proceedings/RTO-MP-091/MP-091-32.pdf Ballistic Properties of Scavenged Solid Rocket Propellants] NATO, 23-26 September 2002</ref> Eine maximale Reduktion der Chloremissionen kann nur durch den vollständigen Verzicht auf Ammoniumperchlorat erreicht werden, weswegen sich die Forschung bei Verbundtreibstoffen zunehmend auf [[ADN/GAP]]-Treibstoffe verlagert.

== Weblinks ==
* [https://www.youtube.com/watch?v=H0BgLPq6PkE Recipie for Power] Herstellung eines Booster-Segments für das SLS; NASA’s Marshall Space Flight Center, 11. Februar 2015
* [https://www.youtube.com/watch?v=2t9ET7GP-iU Careful Diets for Missiles] Werbefilm der [[Mettler Toledo|Toledo Scale Company]] über die APCP Herstellung bei Thiokol, ca. 1960

== Fußnoten ==
{{FNZ|a|Bezogen auf die häufig verwendeten Bindemittel PBAN oder HTBP; bei der Verwendung von z.&nbsp;B. [[Polymethylmethacrylat|PMMA]] oder [[Polyvinylchlorid|PVC]] ist die Konsistenz deutlich weniger elastisch.}}

== Einzelnachweise ==
<references />

{{SORTIERUNG:AmmoniumperchloratVerbundtreibstoff}}
[[Kategorie:Festbrennstoff]]
[[Kategorie:Raketentechnik]]
[[Kategorie:Pyrotechnik]]